# taz.de -- Polizei-Geschichte: Kurras war der Spitzenspitzel | |
> Die Stasi wusste nahezu alles über Dienstellen der Westberliner Polizei. | |
> Einfluss auf deren Entscheidungen hatte sie allerdings nicht. Das ergibt | |
> eine Studie der Freien Universität. | |
Bild: Dokument der Stasi: SED-Ausweis von Westpolizist Karl-Heinz-Kurras | |
Die West-Berliner Polizei ist massiv von der Stasi beobachtet worden. Es | |
ist dem DDR-Ministerium für Staatsicherheit jedoch nicht gelungen, | |
Entscheidungen der West-Polizei zu beeinflussen - zumindest nicht bis zum | |
Jahr 1972. Das ist das Fazit einer Studie, die am Mittwoch vorgestellt | |
wurde. Sie war von Polizeipräsident Dieter Glietsch in Auftrag gegeben | |
worden. | |
Vor zwei Jahren war bekannt geworden, dass der Polizist Karl-Heinz Kurras | |
jahrelang für die Stasi aktiv war. Kurras war der Westberliner Polizist, | |
der am 2. Juni 1967 am Rande einer Demonstration den Studenten Benno | |
Ohnesorg erschossen hatte. Die Tat gilt als Fanal für die | |
68er-Studentenbewegung. Bei einer TV-Debatte über Kurras Rolle habe | |
Marianne Birthler, die damalige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, im | |
Juni 2009 erwähnt, dass es rund 180 Aktenordner über die | |
West-Berliner-Polizei gebe. Davon sei zuvor in seiner Behörde nichts | |
bekannt gewesen, sagte Glietsch am Mittwoch. Er habe daher den | |
Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität (FU) um eine Prüfung | |
gebeten. | |
Dessen Leiter, der Politologe Klaus Schroeder, lobte Glietsch. Die Polizei | |
sei die erste staatliche Institution im Westen, die eine solche | |
Untersuchung in Auftrag gegeben habe. Sie stellt der Polizei ein gutes | |
Zeugnis aus. Zwar seien im gesamten Untersuchungszeitraum ständig 10 bis 20 | |
Westberliner Polizisten für die Stasi aktiv gewesen, sagte der Politologe | |
Jochen Staadt, der die Studie zusammen mit Schroeder erstellt hat. Der | |
Ostgeheimdienst habe aber in erster Linie ein militärisches Interesse | |
verfolgt. So seien Fotos, Telefon- und Mitarbeiterlisten von | |
Polizeidienststellen gesammelt worden - für den Tag X, an dem im Falle | |
eines Krieges Osttruppen den Westteil der Stadt besetzen sollten. Zudem | |
habe die Stasi durch Desinformationskampagnen die Westpolizei verunsichern | |
wollen. So sei sie in dem angeblich von kritischen Gewerkschaftlern, | |
tatsächlich aber in Ostberlin produzierten Blatt Die demokratische Polizei | |
"als faschistischer Kampfzirkel, der von Ex-Nazis aufgebaut wurde" | |
dargestellt worden. | |
In Führungspositionen der Westpolizei habe die Stasi keine Quellen gehabt. | |
Karl-Heinz Kurras sei es als einzigem gelungen, aus dem für politische | |
Straftaten zuständigen Staatsschutz zu berichten, sagte Staadt. Von ihm | |
lägen die meisten Berichte vor. Einen Hinweis, dass Kurras 1967 im Auftrag | |
der Stasi geschossen habe, sei nicht gefunden worden. "Unsere These aber | |
ist: Er konnte sicher sein, daas die DDR-Führung an einer solchen | |
Verschärfung der Situation auf äußerste interessiert war", so der | |
Politolge. | |
Etwas weniger als der Hälfte der in den Akten erwähnten Decknamen konnten | |
reale Polizisten zugeordnet werden. Konsequenzen muss aber vorerst niemand | |
fürchten. Zwar kündigte Glietsch an, dass die Studie der Staatsanwaltschaft | |
vorgelegt werde. Von den enttarnten Spitzeln sei aber keiner mehr im | |
Dienst, sagte Schroeder. Viele seien bereits verstorben. Bei den übrigen, | |
meinte Glietsch, dürften die Taten verjährt sein. | |
Das bedeutet aber nicht, dass kein West-Polizist mehr zur Rechenschaft | |
gezogen wird. Die jetzt untersuchten Akten stammen aus der Zeit vor 1973. | |
Glietsch hat die Forscher noch am Mittwoch beauftragt, auch die Zeit bis | |
1989 unter die Lupe zu nehmen. | |
23 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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