# taz.de -- Interview mit dem "FAZ"-Feuilletonchef: "Bürger sind vernünftiger… | |
> Patrick Bahners, Feuilletonchef der "FAZ", im Gespräch über sein Buch | |
> "Die Panikmacher", Fukushima, die Wahlen in Baden-Württemberg und die | |
> Zukunft des Konservatismus. | |
Bild: Das Volk in seiner Weisheit demonstriert Schwarmintelligenz, hier bei ein… | |
taz: Herr Bahners, kann man als Konservativer im Angesicht der Natur- und | |
Reaktorkatastrophe in Japan noch an so etwas wie den | |
technologisch-zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit glauben? | |
Patrick Bahners: Ein Konservativer glaubt, wenn er an etwas glaubt, an | |
Gott, nicht an den Fortschritt. Der klassische politische Konservatismus | |
des neunzehnten Jahrhunderts hat den Fortschrittsglauben als Häresie | |
bekämpft: die liberale Irrlehre von der Selbsterlösung der Menschheit. Das | |
bekannte Wort von Franz Josef Strauß, konservativ heiße, an der Spitze des | |
Fortschritts zu marschieren, zeigt nur, dass die Unionsparteien mit der | |
konservativen Tradition gebrochen haben. | |
Die Gefahren und Risiken der Atomkraft sind seit Jahrzehnten bekannt. Doch | |
Ignoranz und Unverstand überwogen, gerade auf konservativer Seite. Was | |
meinen Sie: Sind Habgier, "dummer" Konsum, Verdrängung der Risiken eine | |
anthropologische Konstante? | |
Die konservative Doktrin, dass das politische Denken auf die Tatsache der | |
Erbsünde gegründet sein müsse, gibt es auch in einer säkularen Variante. | |
Dann betont man die Grenzen der menschlichen Einsichtsfähigkeit und die | |
unwiderstehlichen Anreize zur Selbsttäuschung. Die deutsche | |
Anti-AKW-Bewegung hatte einen konservativen Flügel. Der Philosoph Robert | |
Spaemann und der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis machten im Kampf um | |
Wyhl Einreden einer skeptischen Klugheit geltend. Schon das Endlagerproblem | |
übersteigt unsere Vorstellungskraft. Seine Lösung setzt eine Stabilität der | |
politischen Verhältnisse über Äonen voraus, die aller historischen | |
Erfahrung zuwiderläuft. | |
Wir müssten auf wenig "verzichten", sondern nur anders konsumieren. Warum | |
ist dies so ungeheuer schwer in die Köpfe zu bekommen? | |
Das hat wohl mit Kant zu tun. In unser Bewusstsein hat sich der Verdacht | |
eingesenkt, dass jede konsequente Moralität ein Rigorismus sein muss. Daher | |
stellen wir uns Verzicht als totale Entsagung vor. Karen Duves Buch | |
"Anständig essen" ist da amüsant und instruktiv. Den Argumenten der | |
Vegetarier setzte sie lange seelischen Widerstand entgegen, weil sie | |
fürchtete, sie müsse als Überzeugte erstens ein für alle Mal auch auf die | |
dünnste Scheibe Wurst verzichten und zweitens selbst missionarisch tätig | |
werden. Das ist die Kant-Falle, der Zwang zur Universalisierung: Gut soll | |
nur die Regel sein, die keine Ausnahme zulässt. Die Welt wird aber schon | |
besser, wenn man sich Ziele setzt, die man nur an bestimmten Wochentagen | |
oder nur bei gutem Wetter erfüllen möchte. | |
Ist bewusst zu leben, sich gut zu ernähren eher eine Klassen- oder eine | |
kulturelle Frage? | |
Zu den Belohnungen jedes Regimes der Lebensführung, von der Diät bis zur | |
Ordensregel, gehört ein Distinktionsvorteil, eingebildet oder real. Diese | |
Gratifikation mag für Rigoristen ein Stein des Anstoßes sein, ist aber ein | |
so simpler wie segensreicher Mechanismus der moralischen Evolution. In der | |
Zeit des Kampfes gegen den Sklavenhandel wurde das Mitleid als | |
Sentimentalität denunziert. Heute spotten die Verächter der "Gutmenschen" | |
über fair gehandelten Espresso - und kommen sich dabei ihrerseits ganz toll | |
vor. | |
So nachvollziehbar die Furcht vor der Atomkraft ist, so irrational scheint | |
mir hierzulande die Angst vor der Migration aus dem Süden. Ist es eine | |
Übertreibung, zu sagen: Die, die sich vor der Veränderung durch die | |
Globalisierung fürchten, sind die Gleichen, die unser altes Konsum- und | |
Wirtschaftsmodell bis zur Kernschmelze verteidigen? | |
Dafür spricht jedenfalls der bizarrste Satz, auf den ich bei der Arbeit an | |
meinem Buch "Die Panikmacher" gestoßen bin. CSU-Generalsekretär Dobrindt | |
sagte auf dem CSU-Parteitag im Oktober letzten Jahres: "Diejenigen, die | |
gestern gegen Kernenergie und heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, die | |
müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein | |
Minarett im Garten stehen haben, meine Damen und Herren!" Es klingt wie | |
eine Erfindung von Polt, aber Dobrindt hat das so gesagt. | |
Nun wird am Wochenende in Baden-Württemberg gewählt. Das Land hatte einen | |
Zuwanderungs- und Integrationstest eingeführt. CDU-Chef und | |
Ministerpräsident Mappus kämpfte zudem für seine AKWs sowie das Großprojekt | |
Stuttgart 21. Nun dürfte er abgewählt werden: Die Bürger scheinen | |
vernünftiger als er oder Thilo Sarrazin? | |
Die Bürger sind in der Demokratie immer vernünftiger als Politiker oder | |
Journalisten, wie auch immer ihre Entscheidung ausfällt. Schon Machiavelli | |
hat eine Theorie der Schwarmintelligenz formuliert: Das Volk urteilt | |
sicherer als der Fürst, wenn es nicht um allgemeine Fragen, sondern um | |
Einzelheiten geht, die die Leute im Licht der alltäglichen Erfahrung | |
betrachten. Die entscheidende Einzelfrage der Demokratie ist die Frage, wer | |
regieren soll beziehungsweise abgewählt gehört. | |
Sie schreiben in Ihrem Buch "Die Panikmacher" an einer Stelle: "Das | |
aufgeklärte Denken hat den orientalischen Despotismus als Gegenbild zur | |
westlichen Freiheit erfunden." Kann man dies angesichts real existierender | |
islamistischer Despotien tatsächlich so sagen? | |
Der Satz, den Sie zitieren, ist eine geistesgeschichtliche Feststellung in | |
einem Exkurs zu Sloterdijk. Die aufgeklärte Geschichtsphilosophie hat den | |
stehenden Begriff des orientalischen Despotismus geprägt und damit ein | |
polemisches Interesse innerhalb einer abendländischen Diskussion verfolgt. | |
Natürlich ging Anschauung in die Definition dieses Typus ein. Aber die | |
Pointe ist, dass man den französischen König oder den Papst als Herrscher | |
östlichen Typs beschreibt und wegen Verrats an der europäischen Leitkultur | |
unter Anklage stellt. Die islamistischen Diktaturen sind Produkte der | |
Moderne und fallen schon wegen ihres ideologischen Ehrgeizes aus dem Schema | |
der aufgeklärten Staatslehre heraus. | |
Der türkische Premier hielt in seiner Rede kürzlich in Düsseldorf | |
Assimilation tatsächlich wieder mal für ein Verbrechen. | |
Und Thilo Sarrazin hat mich in seiner Rezension meines Buches als Erdogans | |
Ghostwriter empfohlen, obwohl ich dargelegt habe, dass es einen | |
Parteienkonsens in der Integrationspolitik auf der Grundlage der | |
Forschungen des Soziologen Hartmut Esser gibt. Assimilation ist das Ziel: | |
Wer Unähnlichkeit fördert, konserviert Ungleichheit. | |
In "Die Panikmacher" kritisieren Sie auch Außenminister Westerwelle, der | |
erst die Thesen Sarrazins verwarf ("Rassismus"), dann begrüßte ("die | |
deutsche Tradition ist christlich-jüdisch"), nachdem dieser Hunderttausende | |
von Buchkäufern fand. Demokratische Politik muss auf veränderte | |
Stimmungslagen reagieren. Wo aber ist die Grenze des Opportunismus | |
erreicht? | |
Westerwelle hat den Rollenwechsel vom Parteivorsitzenden zum Außenminister | |
immer noch nicht geschafft. Wie oft hat man von ihm nicht schon gehört, | |
diese oder jene Äußerung eines Gegners oder Kritikers sei unerträglich? | |
Jedes Mal muss er die Kränkungen dann aber doch ertragen, er will ja nicht | |
immer den Bundestag verlassen, wenn Jürgen Trittin ans Rednerpult tritt. | |
Westerwelles Einlassungen zu Sarrazin hatten eine andere Verbindlichkeit. | |
Er sprach ausdrücklich als Außenminister und warnte vor einem | |
Ansehensverlust im Ausland. Sarrazins Verbleib im Bundesbankvorstand, so | |
war das zu verstehen, schadet dem nationalen Interesse. Auf die Staatsräson | |
dürfen Stimmungsschwankungen nicht durchschlagen. | |
Eine letzte Frage als Variation eines Satzes des neuen deutschen | |
Innenministers: Die Atomkraft gehört nicht zu Deutschland - gutes oder | |
schlechtes Motto? | |
Nun, in der Historie, um die Analogie fortzuspinnen, gibt es Anhaltspunkte | |
genug für die Zugehörigkeitsthese. Otto Hahn war Frankfurter, sein Labor | |
stand in Berlin-Dahlem. Heinz Haber, der für Walt Disney den Lehrfilm | |
"Unser Freund, das Atom" produzierte, stammte aus Mannheim und kehrte | |
später nach Deutschland zurück. Es wird in diesen Tagen gelegentlich | |
behauptet, die Deutschen stünden in Europa allein da mit ihrer Ablehnung | |
der Atomkraft. Die Botschaft lautet: Nur kein deutscher Alleingang, kein | |
deutscher Sonderweg! Auch in anderen biopolitischen Fragen wird diese | |
Maxime als Lektion der deutschen Katastrophengeschichte ausgegeben. Aber | |
kann das richtig sein: aus Vorsicht lieber nicht selbst zu denken und ein | |
eigenes Urteil zu vermeiden? Robert Spaemann hat uns den Nutzen der | |
Teleologie demonstriert, der Frage nach der Zweckmäßigkeit unserer | |
Einrichtungen. Jeder Mensch, jede Gesellschaft muss sich fragen: Welche | |
Ziele sind vernünftig? Schließen sie sich zusammen zu einem Horizont des | |
guten Lebens? Die Deutschen haben lange daran gelitten, keinen | |
Nationalstaat zu besitzen. Ihre Heimat war das Heilige Römische Reich | |
gewesen, das die Obrigkeiten auf die Herstellung von Recht und Frieden in | |
der Welt verpflichtet hatte, während die progressiven Nationen Macht | |
akkumulierten. An diesen eigensinnigen Universalismus könnte sich erinnern, | |
wer an eine abendländische Sendung Deutschlands glauben möchte. Warum | |
sollte das Land der Kernspaltung nicht das Land der Überwindung der | |
Kernkraft werden? | |
24 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |