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# taz.de -- Die Katastrophe weitet sich aus: Strahlen wie in Tschernobyl
> Die Atomenergiebehörde berichtet über extreme Werte. Vielen Forschern
> reichen die Messungen aber nicht. Und das radioaktive Meerwasser wird zum
> schwierigen Problem.
Bild: Verwaiste Landschaft um Tschernobyl. Die Gegend um das AKW Fukushima I k�…
BERLIN taz | Es war eine dürre Zeile im x-ten Absatz einer Pressemeldung:
"Die zugänglichen Resultate zeigen eine Kontamination im Bereich 0,2 bis
0,9 MBq pro Quadratmeter." Dieser für Laien unverständliche Satz deutet
eine mögliche Katastrophe für die Bewohner der Region rund um das
japanische AKW Fukushima Daiichi an. Übersetzt heißt das nämlich, dass an
den Messpunkten in der Region Strahlenwerte gemessen werden wie an den
berüchtigten "Hotspots" der evakuierten Zone rund um den ukrainischen
Katastrophenreaktor Tschernobyl.
Der Satz stammt aus einer Pressemitteilung der Internationalen
Atomenergiebehörde in Wien, der IAEO. Sie berichtet am 21. März über die
Messungen ihres Strahlenbeobachtungsteams vor Ort. In einer Entfernung von
16 bis 58 Kilometern vom Reaktor wurden "hohe Werte von Beta- und
Gammastrahlen-Kontamination gemessen", heißt es. Dann folgen die obigen
Werte. MBq steht dabei für Megabecquerel, das heißt eine Million Becquerel.
Die Strahlenwerte liegen also bei 200.000 bis 900.000 Becquerel pro
Quadratmeter. In einer Sekunde zerfallen demnach bis zu 900.000 radioaktive
Teilchen auf der Fläche eines Tisches.
## Wie die Tschernobyl-Hotspots
Sebastian Pflugbeil, Berliner Physiker und Präsident der Gesellschaft für
Strahlenschutz, ordnet solche Werte in die Größenordnung der Belastung rund
um Tschernobyl ein. "Auf der Belastungskarte für die Zone rund um
Tschernobyl gelten als Hotspots Bereiche mit einer Aktivität von über
500.000 Becquerel pro Quadratmeter", sagt Pflugbeil. Hotspots sind
besonders stark verseuchte Stellen.
Das staatliche Messnetz für Radioaktivität in der betroffenen Präfektur sei
ausgefallen, so Pflugbeil. Flugzeuge der US Air Force haben ebenfalls die
Dosis rund um den Reaktor gemessen. Ihre Werte sind nicht zugänglich.
Allerdings empfehlen die US-Behörden seitdem, einen Radius von 80
Kilometern zu evakuieren, statt der bisher von der japanischen Regierung
angeordneten 20 Kilometer. In diesem weiteren Radius liegen allerdings
mehrere größere Städte.
Auch die hohen Werte von radioaktivem Jod im Trinkwasser und Belastungen
von Gemüsesorten bis 163.000 Becquerel pro Kilogramm (der 270-fache
Grenzwert, 40 Kilometer vom Meiler entfernt) allein durch den Zerfall des
radioaktiven Isotops Cäsium-137 deuten auf die Gefahr für die Bevölkerung
hin. Japanische Strahlenforscher fordern nun, mehr Messungen durchzuführen,
damit eine genauere Karte der Belastungen erstellt werden kann. Das
Bundesamt für Strahlenschutz bezeichnet die Gemüsebelastung auch als "sehr
hohen Wert", der zeige, "dass es dort eine andauernde Kontamination gab
oder gibt".
Sebastian Pflugbeil weist darauf hin, dass "bisher nur ein unvollständiges
Bild der Strahlenbelastung" vorhanden sei - auch weil Werte für die
komplizierter zu messenden radioaktiven Isotope gar nicht vorlägen. Bisher
gibt es nur Werte für die leicht zu messenden Isotope Jod-131 und
Cäsium-137. Andere strahlende Atomarten wie Strontium-90 und schnell
zerfallende Kerne seien aber ebenfalls gefährlich, wie Tschernobyl gezeigt
habe.
## Verstrahlte Arbeiter
Innerhalb der Katastrophenreaktoren herrscht offensichtlich auch massive
Strahlung: Zwei Kabelverleger mussten gestern vom Reaktor 3 in eine Klinik
gebracht werden. Sie arbeiteten in ihren Strahlenschutzanzügen und standen
mit ihren Stiefeln im radioaktiven Meerwasser, das in den Reaktoren steht.
Offensichtlich ist dieses Wasser derart strahlend, dass sie sich die Beine
verbrannten - und zwar laut Angaben der Atomsicherheitsbehörde NISA mit
Betastrahlen. Betastrahlen sind schnelle Elektronen, die nur wenige
Millimeter in feste Materie wie etwa Gummistiefel eindringen.
Ansonsten gibt der Reaktorbetreiber Tepco bekannt, dass 13 Tage nach dem
Tsunami in den ersten Kontrollräumen wieder die Lichter brennen. Nun wird
geprüft, ob und welche Messgeräte oder Notkühlpumpen sich an die äußere
Stromversorgung anschließen lassen.
Solange keine direkten Temperaturmessungen vorliegen, hilft das
Verteidungsministerium mit Infrarotkameras in Hubschraubern aus. Demnach
sind die hohen Temperaturen an manchen Reaktorbehältern und Abklingbecken
am Donnerstag Morgen um 7 Uhr alle außerhalb des gefährlichen Bereichs
gewesen. Allerdings rauchen und dampfen die Anlagen 1 bis 4 weiterhin
abwechselnd vor sich hin und geben so ständig Radioaktivität frei.
24 Mar 2011
## AUTOREN
Reiner Metzger
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