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# taz.de -- Sänger und Musiker Clueso: Blühende Song-Landschaften
> Clueso, Junge aus Thüringen, gesamtdeutscher Popstar, ist keineswegs
> genervt, ständig zu Ost-West-Fragen Stellung nehmen zu müssen. Nun gibt
> es eine neue Platte.
Bild: Erzähl von dir und von dem, was dich bewegt – zu Musik, zu der man tan…
Einmal hat Clueso dann Helmut Kohl die Hand schütteln dürfen. Der Kanzler
der Wiedervereinigung hat ihn gefragt, woher er stamme. Aus Erfurt, hat der
Sänger da wahrheitsgemäß geantwortet. Ach, Erfurt, brummte Kohl, dort habe
er, lange sei es her, mal eine Rede gehalten, vor mehr als 100.000
Menschen. "Riesenkonzert also", grinst Clueso bei der Erinnerung an seine
Antwort, "wahrscheinlich waren meine Eltern da."
Auf die berühmten blühenden Landschaften, die der damalige Kanzler auf
seiner Tournee durch das Beitrittsgebiet allerorten vorhergesagt hatte,
warten Cluesos Eltern immer noch, und nicht nur sie. Doch gut zwei
Jahrzehnte später hat sich immerhin ihr Sohn zu einer der wenigen Blumen
entwickelt, die erblüht sind. Sein neues Album "An und für sich" wird die
oberen Regionen der deutschen Charts erklimmen, dazu muss man mit nur
unwesentlich besseren prophetischen Fähigkeiten als Helmut Kohl gesegnet
sein, mehr als die Hälfte der Termine der kommenden Tournee sind bereits
ausverkauft.
Aber auch ohne die in den vergangenen Jahren stetig gewachsenen Umsätze
hätte Clueso eine der seltenen Erfolgsgeschichten aus dem Osten
Deutschlands geschrieben. Ja er ist wohl, gibt er lächelnd zu, neben
Rostern, Klößen und Vita-Cola zu einer Thüringer Marke geworden.
## Das Aushängeschild
Demnächst wird Thomas Hübner, der sich als jugendlicher Rapper nach dem
tolpatschigen Inspektor Clouseau aus "Der rosaroten Panther" benannte, 31
Jahre alt. Die hat er, abgesehen von einem knapp dreijährigen Intermezzo in
Köln, allesamt in Erfurt gelebt. Er ist nicht nach Berlin geflüchtet wie
viele andere, er hat sich zu Hause etwas aufgebaut. Neben der eigenen
Karriere, die in Fahrt kam, als er das Rappen aufgab und mit dem Singen
begann, ist Clueso außerdem die zentrale Figur und Aushängeschild des
Zughafens: Im alten Güterbahnhof von Erfurt ist ein kreatives Zentrum mit
Übungsräumen, Studios und Büros für Bands, Labels und Agenturen entstanden.
Ein lebendiges Netzwerk, das längst eine Strahlkraft entwickelt hat, die
über die thüringischen Landesgrenzen hinausreicht.
So ist Clueso mittlerweile auch ein Symbol dafür, dass im Osten nicht alles
schlecht ist. Deshalb hat ihn das Goethe-Institut als Botschafter der
deutschen Kultur nach Italien, Neuseeland und Australien geschickt. Deshalb
hat ihn die Bundesregierung im vergangenen Jahr eingeladen, zum 20.
Jahrestag der Wiedervereinigung vor dem Brandenburger Tor zu spielen. Beim
anschließenden Empfang kam die Begegnung mit Kohl zustande. Der eine hatte
Geschichte geschrieben, der andere muss nun damit klarkommen.
Doch überraschenderweise ist Hübner nicht davon genervt, immer wieder zum
Status der deutsch-deutschen Beziehungen Stellung nehmen zu müssen. "Man
fragt mich gar nicht genug", sagt er, "ich vermisse diesen
Ost-West-Dialog." Er weiß, es liegt allerhand im Argen, aber er glaubt,
dass das nur besser wird, wenn man möglichst viel darüber redet. "Aber wenn
die Politiker Musiker wären, dann wären sie Musiker, die Songs schreiben,
die nichts mit den Leuten zu tun haben, die sie hören sollen."
Weil aber Clueso kein Politiker ist, hat er ein Lied geschrieben, das sehr
viel mit den Menschen zu tun hat, weil es die desillusionierte Stimmung
nicht nur in Erfurt auf den Punkt bringt. "Enttäuscht von einem Bild, das
Litfaßsäulen schmückt/rückt schon der Nächste nach, der uns noch mehr
verspricht", singt er in "Die Straßen sind leer" und zeigt sich im Gespräch
enttäuscht von der parlamentarischen Demokratie. Vielleicht liegt hier das
Geheimnis seines Erfolgs: Clueso drückt ein Unbehagen aus, das viele junge
Menschen spüren, aber bietet zugleich Fluchtmöglichkeiten an ins Private,
in die Innerlichkeit.
Denn Cluesos beste Lieder sind ambivalent wie sein bisher größter Hit
"Keinen Zentimeter" von 2008. Oberflächlich ein Liebeslied, lässt es sich
auch als Kommentar lesen zur noch nicht vervollständigten
Wiedervereinigung. So ein Song ist heute "Das alte Haus", in dem
Alltagsbetrachtungen mit Konsumkritik und einer Bestandsaufnahme der
Erfurter Lokalpolitik verknüpft werden.
## Gar nicht unpolitisch
So sind die meisten seiner Songs gebaut. Vordergründig unpolitisch,
beschreiben sie die Mühen der Liebe, die Freuden der Freundschaft,
entwickeln aber schnell eine assoziative Kraft, die Raum für
Interpretationen öffnet. Dazu verlegt seine Band einen erstaunlich
kuscheligen und tatsächlich sehr eigenen Soundteppich, der nur die besten
Fasern aus HipHop und Reggae, Folk und Jazz verwendet. Auf dem neuen Album
ist eine Entwicklung zu beobachten, da verliert sich schon mal ein Song in
einer tanzbodentauglichen Rhythmusexpedition, und da nehmen generell
elektronische Klänge größeren Raum ein. Aber das Grundgerüst ist das alte,
bislang so erfolgsträchtige: Ein junger Mann erzählt einfühlsam von sich
und dem, was ihn bewegt, und die Musik spielt dazu, dass jeder mittanzen
kann.
Das aber hat Helmut Kohl an diesem Abend im vergangenen Jahr schon nicht
mehr interessiert - nicht nur, weil er da im Rollstuhl saß. Clueso hatte,
erzählt er, "das Gefühl, der checkt gar nichts mehr". Eine Eigenschaft, die
er auch an aktiven Politikern allzu oft schon beobachtet habe. Also hat
Clueso die Dinge selbst in die Hand genommen. In Erfurt. Eben.
26 Mar 2011
## AUTOREN
Thomas Winkler
Thomas Winkler
## TAGS
Popstar
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