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# taz.de -- Musikexperte Elflein über Heavy Metal: "Bewusst inszenierte Gegenw…
> Kanon-Bildung im Heavy Metal: Der Braunschweiger Musikwissenschaftler
> Dietmar Elflein über die Entwicklung des Genres, den Geschmack der Fans
> und erste Küsse.
Bild: Ein Besucher des Heavy Metal Festival in Wacken.
taz: Herr Elflein, Sie gewinnen Ihr Untersuchungskorpus aus einer
statistischen Auswertung von Best-of-Listen. Sind die wirklich
aussagekräftig?
Dietmar Elflein: Ich weiß nicht, ob ich den Geschmack der Fans abbilde,
aber doch zumindest eins: Das scheinen Leute, die auf Heavy Metal stehen,
wichtig zu finden. Ob sie nun wirklich die Musik gut finden oder bloß das
Cover oder ob sie zufälligerweise ihren ersten Kuss dabei bekommen haben,
das kann man nicht wissen. Aber wenn ich einen vergleichenden Ansatz habe
und versuche, das Verbindende dieser Musik darzustellen, dann muss ich mir
eben anschauen, was die Kenner für wichtig erachten, aus welchen Gründen
auch immer. Die Cultural-Studies-Literatur oder die Forschung zu populärer
Musik sucht dagegen meist das Besondere eines Künstlers. Ich hasse es, dass
man in diesem Zusammenhang häufig nicht mehr begründet, wieso man sich mit
diesem oder jenem Stück beschäftigt. Warum das Stück und nicht das? Warum
der und nicht besser der Musiker? Gut, es hat dem Autor halt gefallen. Das
ist okay, aber es reicht mir nicht. Wenn es Wissenschaft sein soll, dann
hätte ich schon gern eine Begründung.
Black Sabbath, Judas Priest, Iron Maiden, Metallica, Slayer etc. - ist das
schon der festgeschriebene Metal-Kanon?
Der Prozess der Kanonbildung ist noch nicht abgeschlossen, der läuft schon
noch. In zehn Jahren werden die schwedischen Metal-Bands mit Sicherheit
stärker vertreten sein als jetzt. Weil man sich jetzt nicht so einig ist.
Die Musik muss ein bestimmtes Alter haben, bevor man anfängt, sich auf
bestimmte Sachen zu einigen. Vorher ist das noch ausdifferenziert und
diskutierbar.
Ich habe mir nach Ihrer Analyse noch einmal "British Steel" von Judas
Priest angehört, das zu den Genre-Klassikern zählt, und siehe da, so viel
Metal ist da gar nicht.
Es ist schon sehr Pop. Aber ich finde das Album gar nicht so auffallend,
weil sich eine solche Geste auch immer wieder reproduziert: dass sich Bands
formal reduzieren, möglicherweise auch weil sie kommerziell eine Stufe
raufwollen. Das ist ein Vorwurf, der jetzt gerade mal wieder der Band In
Flames gemacht wird. Deshalb finde ich "British Steel" da drin auch gar
nicht falsch, ich finde nur falsch, dass immer gesagt wird, das Album hätte
dem Metal den Blues ausgetrieben, das stimmt nämlich nicht. Aber es zeigt
noch etwas sehr schön: dass nämlich ein gutes Metal-Stück nicht notwendig
ein Solo braucht. "Breaking the Law", da wird das Riff mal zweistimmig
gespielt, und das ist es dann, trotzdem ist es ein Klassiker. Gerade bei
den jüngeren Bands hört man das jetzt auch viel stärker, dass sie auch ohne
Soli auskommen, trotzdem sind sie nicht weniger Metal. Das ist ein
wichtiger Hinweis, denn in der musikwissenschaftlichen Literatur hat man
sich bisher immer vor allem auf die virtuosen Soli gestürzt.
Sie kümmern sich um andere Dinge, etwa um die typischen
Kompositionsprinzipien. Woran liegt es eigentlich, dass der Metalhead keine
konventionelle Vers-Chorus-Lied-Struktur möchte?
Zum einen an der rebellischen Grundhaltung. Man will es eben anders machen,
man will sich abgrenzen von der sogenannten Industriescheiße. Das, gepaart
mit einer Wertschätzung für handwerkliches Können, führt zu komplexeren
Strukturen. Im Gegensatz etwa zu einer Punk-Haltung, die mit der Industrie
auch nichts zu tun haben will, sich aber auch nicht für das Handwerkliche
interessiert. Das andere ist die Tatsache, dass man Riffs haben will. Und
wenn man, gerade am Anfang, noch nicht so genau weiß, wie man einen Song
baut, reiht man Riffs hintereinander und tobt sich aus. Man sieht das ja
oft auch bei Bands: Im Laufe der Zeit, wenn sie professioneller werden,
wird das weniger und sie beschäftigen sich mehr mit existenten
Songstrukturen.
Aber der Gitarrist Tony Iommi zum Beispiel, mit dem die Metal-Urgeschichte
beginnt, war doch gar kein Anfänger mehr, der hatte doch bereits als
Club-Musiker in diversen Bands gespielt und die Blues-Standards intus.
Ja, und das ist ein drittes Moment, das noch hinzukommt. Der frühe Metal
entwickelt sich aus dem Blues, und Blues hat auch diese reihende Struktur.
Die Reihung ist im Grunde eine afroamerikanische Idee, im Gegensatz zur
europäischen Liedtradition. Und dann kommen eben auch noch andere Einflüsse
hinzu, Prog Rock zum Beispiel, Jethro Tull bei Black Sabbath. Was man halt
so kennt und mag. Die kannten sich ja auch alle, wenn die auf dem Touring
Circuit durch die Pubs geeiert sind. Und aus alldem entwickelt sich dann
was. Natürlich einschließlich dem, was dann noch spezifisch Iommi ist, also
seine Ideen, seine Ästhetik, und was er künstlerisch ausdrücken will.
Auffällig ist ja ohnehin das Kalkül der Macher selbst. Die wissen offenbar
genau, was sie tun. Lemmy sagt, Motörhead ist Rock 'n' Roll und kein Metal
- und Ihre Analyse bestätigt das im Detail.
Deswegen sollte man ihm irgendwann auch mal glauben. Motörhead war mir
wichtig, weil diese Band auch immer als Metal-Band herhalten muss, und das
sind sie schlicht und einfach nicht. Das ist Chuck Berry, nur verzerrter
und lauter. Man hat eine sehr einfache Formel und versucht eben mit sehr
begrenztem Material immer wieder etwas Neues und Spannendes zu bauen. Und
davor habe ich höchsten Respekt. Das muss man erst mal hinkriegen mit
diesen begrenzten Mitteln. Das ist definitiv schwerer, als sehr viel zu
machen. Aber das ist auch mein Privatgeschmack. Geht noch einer weniger?
Wenn man sich auf einer so strukturanalytischen Weise dem Gegenstand
nähert, verdirbt einem das den Spaß an der Musik?
Na ja, als Wissenschaftler schlage ich schon um bestimmte Lieblingsstücke
von mir einen großen Bogen. Denn du hörst diese Stücke natürlich, wer weiß,
wie oft an, über Kopfhörer, zählst dieses aus, zählst jenes aus, und es
dauert eine gewisse Zeit, bis das wieder aufhört, bis man die Musik einfach
mal so hören kann. Das ist das Problem mit der Lieblingsmusik, die kann man
sich damit auch versauen, wenn man permanent weiß, jetzt verspielt er sich
gleich. Aber es hat mir schon auch viel gebracht. Als jemand, der immer nur
"auch" Metal gehört hat, habe ich durch diese Arbeit unglaublich viel Zeug
kennengelernt, das ich jetzt liebe. Ich weiß nicht, durch wie viele tausend
Platten ich mich durchgearbeitet habe, und da bleibt natürlich einiges
hängen.
Sie beschreiben die Heavy-Metal-Kultur als eine bewusst inszenierte
Gegenwelt.
Das ist das, was Keith Kahn-Harris unter dem Begriff der "Transgression"
fasst. Also, dass man sich eine Szene schafft, in der man sich scharf nach
außen hin abgrenzt und dort Spaß hat auf eine bestimmte Art und Weise. Und
das geht auch nur, indem man das Außen wirklich ausblendet, und das
bedeutet auch, dass man von diesem Außen nichts will, jedenfalls nicht als
Metalhead. In seinem Job möglicherweise schon. Kaum jemand wird nur
Metalhead sein.
Ihrer Ansicht nach zeugt das indirekt von Fatalismus und Schwermut. Warum?
Der Eskapismus hat immer ein fatalistisches Moment, weil er davon ausgeht:
Hier und jetzt kann ich sowieso nichts ändern, deshalb - party on! Deshalb
haben wir jetzt lieber eine gute Zeit, als dass wir uns grämen.
Interessanterweise finden Sie dann auch für diesen Subtext musikalische
Entsprechungen. Den häufigen Gebrauch des Tritonus, des Teufelsakkords
etwa. Dass der Schwermut symbolisiert, versteht man ja noch. Das hat man
kulturell mit auf den Weg bekommen …
Ja, und Moll ist auch klar. Aber bei den rhythmischen Sachen ist es eben
noch nicht klar, dazu gibt es auch kaum Literatur.
Sie sprechen von der häufigen Verwendung eines ternären, also eines
dreiteiligen Metrums, das eine Kreisbewegung, etwas Zyklisches,
Unveränderliches suggerieren soll. Im Gegensatz zum binären Metrum, das man
eher mit einer voranschreitenden Geste identifiziert.
Ob ternär auf der Stelle steht und sich dreht und binär fortschreitet, das
ist eine Analogie, die man ziehen kann, aber nicht muss. Man kann es auch
anders sehen. Man kann auch sagen, es dreht sich fröhlich im Kreise, ist
Ausdruck der Lebensfreude. Grundsätzlich glaube ich sowieso, die Welt ist
komplexer. Es ist nie so, dass es nur das ist oder nur das. Realität kann
man nicht eins zu eins abbilden. Aber doch zumindest Aspekte davon. Und auf
der Ebene würde ich sagen, dass der Dreierpuls auf der Stelle tritt, ist
ein Aspekt, der neben der Lebensfreude auch dabei ist. Den könnte ich
sogar, wenn ich mir Zeit nähme, geschichtlich herleiten aus den Drehtänzen
Europas. Die stammen von den Bauern, also das ist ursprünglich eine
bäuerliche Tradition, und die sind natürlich Ausdruck der Lebensfreude. Ein
erotisches Moment kommt hinzu, man durfte sich anfassen, aber sie sind
gleichzeitig Ausdruck einer Gesellschaft, in der es keine soziale Mobilität
gibt. Die Gesellschaft ist ständisch, statisch. Als Bauer geboren, als
Bauer gestorben. Dieser Stillstand ist da also auch abgebildet. Wie gesagt,
als ein Aspekt.
1 Apr 2011
## AUTOREN
Frank Schäfer
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