# taz.de -- Doku-Reihe "Wild Germany": Wir gehen dahin, wo es wehtut | |
> Porno, Crystal Meth, Satanismus: Die Doku-Reihe "Wild Germany" (Sa., | |
> 22.15 Uhr, ZDF Neo) zeigt ein grelles Deutschland. Dahinter stehen die | |
> Macher der deutschen "Vice". | |
Bild: Lässt auch mal die Hüllen fallen: Moderator Manuel Möglich. | |
Will man wirklich wissen, warum sich HIV-negative schwule Männer beim | |
ungeschützten Sex mit Infizierten absichtlich das Aidsvirus einfangen? Will | |
man wissen, ob man in Oberfranken die Droge Crystal Meth tatsächlich quasi | |
hinterhergeschmissen bekommt? Ob in diesem Land tatsächlich noch Menschen | |
Opfer von Satanskulten werden? | |
Will man? Ja, doch, eigentlich schon. Vielleicht nicht beim ZDF. Aber bei | |
ZDFneo, dem digitalen Spartensender, der das vergreiste Hauptprogramm seit | |
Ende 2009 mit Serien, Dokus und Reportagen für eine deutlich jüngere | |
Zielgruppe konterkariert, zeigt man sich derlei Themenfeldern aus | |
Dunkel-Deutschland gegenüber aufgeschlossen. Und kauft unbefangen eine | |
sechsteilige Reportagereihe ein, die von der deutschen Vice produziert | |
wurde - diesem Magazin, das sich als Gonzo-Blättchen für urbane Hipster | |
genauso einen Namen gemacht hat wie als Produktionsfirma für tollkühnen | |
Wir-gehen-dahin-wo's-weh-tut-Journalismus, etwa der Doku "Heavy Metal in | |
Baghdad". | |
Tom Littlewood, Chefredakteur der deutschen Vice hat sich das Format "Wild | |
Germany" ausgedacht und den in Sachen Trendnäschen und subkultureller | |
Beschlagenheit durchaus krediblen Berliner Musikjournalisten Manuel Möglich | |
als rasenden Reporter gewonnen. "Völlig freie Hand" habe der Sender dem | |
Team gelassen, erzählt Möglich, der als "Host" der Sendung seine Recherchen | |
vor laufender Kamera vollführt, vor keiner dubiosen Begegnung | |
zurückschreckt, Experten befragt und auch mal die Hüllen fallen lässt, um | |
authentische Eindrücke von schwulen FKK-Partys in Darkrooms zu gewinnen. | |
Man mag es scheinheilig finden: Möglich versucht in jeder halbstündigen | |
Folge der Reihe - ob zum saftigen Thema Bugchasing (eben jenem | |
absichtlichen Anstecken mit dem HI-Virus), Porno, Crystal Meth, Satanismus, | |
Metal oder islamistischer Rap - möglichst viele Informationen | |
zusammenzutragen, dabei aber weder auf seine eigenen situativen Reaktionen | |
noch auf seine Meinung zum Thema zu verzichten. | |
Auch wenn er dann kommentiert: "Krass!", "Bitter!" oder "Wahnsinn!" - mit | |
erhobenem Zeigefinger, Provo-Infotainment oder Exploitation seiner | |
Gesprächspartner habe das alles nichts zu tun, betont Möglich: "Der | |
Ursprung des Formats ist investigativer Journalismus. Wir wollen zeigen, | |
wie es wirklich ist, und dabei sauber arbeiten. Ich glaube einfach, man | |
kann eine Reportage nur gut rüberbringen, wenn man eine persönliche Ebene | |
reinbringt und auch subjektiv kommentiert." | |
Der Reporter also als glaubwürdiger Investigator in sensiblen, oftmals im | |
Graubereich zur Kriminalität befindlichen gesellschaftlichen Gefilden, in | |
die man nicht jeden Nachrichtenagentur-Fuzzi schicken könnte, einfach weil | |
der nicht über das Vokabular verfügt, um Drogen konsumierende Teenager | |
nicht schon nach der ersten Ansprache Reißaus nehmen zu lassen. Das ist in | |
der Tat ein Ansatz, den es so im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen | |
noch nicht gibt. Vice mit einem Schuss Louis Theroux (investigativer | |
Extrem-Reporter beim BBC, läuft im Anschluss), und fertig ist ein kesses | |
Zielgruppenfernsehen zwischen voyeuristischer Faszination und unverstellter | |
Machart. | |
Deutschland auf jeden Fall sieht in "Wild Germany" deutlich skurriler, | |
devianter, bunter, abgründiger und dabei trotzdem lebensechter aus als | |
sonst in den Medien. Die schalkhaft durchblitzende Freude der Macher an | |
Crazy- und Krassheiten mag man etwas pubertär finden, am Ende steht doch | |
flotte, wissbegierige und unarrogante TV-Unterhaltung, die sich nicht | |
scheut, ihr subkulturelles Wissen mit den Zuschauern zu teilen. | |
11 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
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