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# taz.de -- Verlegung des Straßenstrichs: Kein Herz für Prostituierte
> Der Hansaplatz im einstigen Hamburger Schmuddel-Stadtteil St. Georg soll
> schöner werden. Der Straßenstrich rund um den Platz passt da nicht mehr
> ins Bild.
Bild: Nicht hübsch, aber immerhin im fahlen Licht der Öffentlichkeit: Prostit…
HAMBURG taz | Der Hansaplatz mit seinen Gründerzeitfassaden und dem
prächtigen Brunnen in der Mitte ist für viele einer der schönsten Plätze
Hamburgs - wenn da nur das Umfeld nicht wäre. Lange galt der Platz im
Herzen des Stadtteils St. Georg als Drogenumschlagsort, in den
Seitenstraßen stehen noch immer Prostituierte.
Doch das soll sich ändern: Von einer "neuen urbanen Qualität für Anwohner
und Touristen" spricht Erwin Jochen, Koordinator des Amtes für
Gebietsentwicklung. Sein Amt hat ein Konzept ausgearbeitet, in dem genau
festgelegt ist, was in welcher Zone auf dem Platz stattfinden darf - sogar
die Gestaltung des Sonnenschutzes müssen die Kneipenwirte künftig mit den
Stadtplanern abstimmen. Im Juni soll der neu gestaltete Platz fertig sein.
"Ich freue mich sehr, dass der Platz jetzt endlich eröffnet wird", sagt
Helmut Voigtland, Vorstand des Bürgervereins St. Georg. Voigtland ist
Anwalt und hat seine Kanzlei in St. Georg, wohnt jedoch in einem anderen
Stadtteil. Seit zehn Jahren kämpft sein Verein für die Umgestaltung des
Hansaplatzes.
Der Stadtteil St. Georg, hinter dem Hamburger Hauptbahnhof gelegen, hat
eine stürmische Entwicklung durchgemacht. Schon seit einigen Jahren ist der
zur Alster hin gelegene Teil im Hamburger Mietenspiegel von "normaler
Wohnlage" in "gute Wohnlage" hochgestuft worden, und in der
Hauptausgehstraße, der Langen Reihe, machen immer teurere Läden und
Restaurants auf.
Der Kampf um den Hansaplatz ist Teil dieser Entwicklung. "Geh raus und
renovier das Wohnzimmer St. Georgs", dieser Satz steht auf der Homepage der
Anwohner-Initiative "Kultur statt Kameras". 2009 wehrte sich die Initiative
erfolgreich gegen die Videoüberwachung auf dem Platz, die dort zur
Bekämpfung der Drogenkriminalität installiert worden war. Statt den Platz
zu überwachen, so die Forderung, sei es besser, ihn zu bespielen. In der
Folge gab es auf dem Platz Filmvorführungen und Konzerte.
Auf dem Hansaplatz habe sich "eine Monokultur des Saufens und der
Prostitution eingestellt, die ergänzt werden muss", sagt Kristopher Sell,
Mitglied der Initiative. Der Journalist wohnt mit seiner Familie seit fünf
Jahren am Hansaplatz. Er sagt, dass er sich darauf freue, den Platz wieder
zum "Wohnzimmer des Viertels" zu machen.
Hassan* sitzt in seiner Kneipe am Hansaplatz und hat Angst um seine
Existenz. Es ist 23 Uhr und der Raum ist voll von Menschen. An der Bar
sitzen zwei transsexuelle Prostituierte, eine Frau tanzt alleine durch den
Raum. Aus der Jukebox schallt Musik. "Das ist Rassismus, was hier
passiert", sagt Hassan. Viele Anwohner seien MigrantInnen und könnten sich
gegen die Veränderungen nicht wehren. Bereits jetzt würden die ersten
Mietverträge nicht verlängert. Die Vermieter würden sagen: "Ihr passt hier
nicht hin", berichtet Hassan.
Gebietsentwickler Jochen sieht die Lage nicht so dramatisch. In St. Georg
würden kaum noch sozial schwache Menschen wohnen, meint er. Sein Kollege
Andreas Pfad bezeichnet die Kneipen am Platz als "Absteigen, die hier
sowieso keiner mehr haben will". Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD)
meint, es würde gar keine richtigen Kneipen mehr am Hansaplatz geben: "Die,
in denen die Geschäfte der Prostituierten angebahnt werden, brauchen wir
nicht."
Den Straßenstrich am Hansaplatz will Schreiber in die Hamburger Randbezirke
verlegen - die Prostituierten sollen dann in Rothenburgsort in der
Großmannstraße stehen. Auch der Süderstraßen-Strich soll dorthin umziehen,
sagt Schreiber - in ein Gebiet, in dem es weder schutzbietende Kneipen noch
Menschen auf der Straße gibt, die den Frauen im Notfall helfen könnten.
Dafür fühlen sich die Anwohner nicht gestört - es gibt schließlich keine.
Schreiber hat so einen Umzug schon öfter angeregt, doch die
CDU-Innensenatoren Heino Vahldieck und Christoph Ahlhaus sahen dazu keine
Notwendigkeit. Schreiber will nun Kontakt zum neuen Innensenator und
Parteifreund Michael Neumann aufnehmen. Frank Reschreiter, Sprecher der
Innenbehörde, sagt, man werde den Vorschlag prüfen.
Vorbild für die Umzugspläne ist Bremen: Dort hat die Stadt eine Straße im
Außenbezirk zur Prostitution freigegeben. Allerdings ist in Bremen noch
kein Straßenstrich wirklich verlegt worden.
Seit ein paar Tagen hat sich unter den Prostituierten herumgesprochen, dass
in St. Georg vom 1. April an eine neue Verordnung gelten soll. Danach
können Polizisten ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Prostituierte
einleiten, wenn diese wiederholt "in erkennbarer Haltung ihren Geschäften"
nachgehen - offiziell ist in dem Stadtteil Prostitution verboten. Bisher
musste eine konkrete Handlung, wie das Ansprechen der Freier nachgewiesen
werden.
Um das Verbot durchzusetzen, möchte Schreiber die polizeiliche
"Präsenzgruppe" wieder einführen. Die hatte in Hamburg die Prostituierten
überwacht, bis sie abgezogen wurde, um sich um die Autobrände zu kümmern.
Anke Mohnert, Leiterin des Café Sperrgebiet, einer Anlaufstelle für
Prostituierte am Hansaplatz, ist empört: "Keiner spricht mit uns, seit
Monaten werden die Frauen unter Druck gesetzt", sagt sie. Die Umlegungen
des Straßenstrichs bedeutete für die Frauen, dass sie keine Anlaufstellen
mehr hätten.
St. Georg, sagt Mohnert, sei schon immer ein Gebiet für Prostituierte
gewesen und die ließen sich nicht so einfach vertreiben. Am gestrigen
Donnerstag zogen Straßenprostituierte aus St. Georg durch den Stadtteil und
protestierten mit Sprüchen wie "Heute wir, morgen ihr" gegen die
Vertreibungspläne.
Doch der über zwei Millionen Euro teure Umbau des Hansaplatzes wird Fakten
schaffen. So sollen die Autos der Freier mit Pollern an der Zufahrt
gehindert werden. Im November hat mit dem Doria bereits ein Edelrestaurant
aufgemacht. Zur Eröffnung gab es geschmorte Kalbsbäckchen mit weißem
Zwiebelpüree, dazu wurde Champagner gereicht.
1 Apr 2011
## AUTOREN
Lea Zierott
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