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# taz.de -- Ein Minenräumkommando in Kambodscha: Hauptsache, die Null steht
> Ohne einen Unfall: Ein Team von Vollprofis und ein pensionierter Offizier
> der Bundeswehr holen seit drei Jahren Sprengmittel aus Kambodschas Boden.
Bild: Schnell lassen sich mehrere Hektar verminen, doch die Räumung funktionie…
SIEM REAP taz | Wenn alles gut geht, enden die Minen in den Händen von Seng
Phally. Auf freiem Feld hat er ein Loch gegraben, 30 Zentimeter tief, und
platziert darin vier dunkelgrüne Tretminen. Seine Kollegen haben sie nach
Jahren aus der Erde geholt und entschärft. Drei russische, groß wie
Margarinebecher. In jeder stecken 150 Gramm Sprengstoff. Eine kleinere
chinesische mit 35 Gramm. Genug, um einem Menschen den Fuß abzureißen.
"Ohne Zünder kann nichts passieren", sagt Phally. Eine lange
Splitterschutzweste trägt er trotzdem. An anderen Tagen legt er
Mörsergranaten in die Grube, Splitterminen, ab und zu auch welche aus der
DDR.
Der stämmige 44-Jährige mit dem Oberlippenbart steckt noch eine
100-Gramm-Sprengladung dazu und klemmt alles mit Sandsäcken fest. Seit 20
Jahren ist es sein Job, Sprengkörper aus der Welt zu schaffen. Davor war er
selbst Soldat, und wahrscheinlich hat seine Armee viele der Minen gelegt,
die nun wieder in seinen Händen landen. Genau kann das keiner mehr sagen.
In Kambodschas Bürgerkrieg verschoben sich die Fronten ständig, alle Seiten
befestigten ihre Stellungen und blockierten feindliche Routen. Ein Krieg
der Armen, geführt mit Minen statt Panzern.
Als dann wieder Frieden herrschte, wartete niemand auf Soldaten wie Seng
Phally. Nur in den unter UN-Schirmherrschaft gegründeten Minenräumteams
waren ihre Fähigkeiten gefragt. Mit einem Monatsverdienst von 200 bis 300
US-Dollar ist die Arbeit selbst für ehemalige Offiziere attraktiv. Lehrer
oder Polizisten verdienen in Kambodscha weniger als 100 Dollar.
Seng Phallys Truppe untersteht einer kambodschanischen Behörde. Die
deutsche Fahne am Uniformärmel des Sprengmeisters aber weist darauf hin:
Sein Gehalt kommt aus Berlin. Wie auch die USA, Japan und Australien
finanziert Deutschland eine Einheit, seit 1999. Der 300 Mann starke
Minenräumverband 6 ist dem Auswärtigen Amt etwa eine Million Euro pro Jahr
wert.
So kommt es, dass der Mann, der das Kommando hat, das Geld verwaltet und
Seng Phally in diesem Moment auf die Finger schaut, ein fast zwei Meter
großer Rheinländer ist. "Die Minen müssen ordentlich geschichtet werden",
kommentiert Peter Willers, "damit der Druck von einer zur anderen
durchzündet und es eine vernünftige Explosion gibt."
Bündig und auf den Punkt kommen solche Sätze. Als Oberstleutnant der
Bundeswehr war Willers in den Neunzigern sieben Jahre in Afrika
stationiert, hat nach seiner Pensionierung in Bosnien, im Kosovo und im
Tschad Minenräumteams geleitet. Mit 70 lebt er nun seit mehr als drei
Jahren mit seiner Frau in einem Hotel in Kambodschas Touristenmagnet Siem
Reap. Die Tempel von Angkor Wat, Höhepunkt vieler Asienreisen, passiert er
auf dem Weg in die Minenfelder fast täglich. "Das Auswärtige Amt hat mich
gefragt, ob ich den Posten will", erklärt er auf der Fahrt mit dem
Dienstjeep. "Wenn die meinen, ich könne was für sie tun, kann ich mich ja
nicht versagen." Es geht über ungeteerte Landstraßen, vorbei an Kindern,
die Wasserbüffel am Seil führen.
## 400 Hektar in einem Jahr
Aus dem Stegreif kann Peter Willers referieren, dass seine Leute 2010 fast
400 Hektar von Minen befreit und dabei 4.000 Sprengkörper und 16.000
Blindgänger aus der Erde geholt haben. Und dass jeder Quadratmeter, den sie
dabei geräumt haben, den deutschen Staat 25 Eurocent kostete. Die
wichtigste Zahl aber: null. Kein Unfall in der Einheit, seit er 2008 das
Kommando übernahm. Da seien eben Vollprofis am Werk, sagt Willers, die es
verinnerlicht hätten, dass man im Minenfeld keine Abkürzungen nimmt und
nicht über bestimmte Linien tritt. "Die oberste Priorität hat immer die
Disziplin. Kambodschaner sind das von klein auf gewohnt."
Sätze, wie man sie erwartet von einem altgedienten Bundeswehroffizier. Doch
Willers hat im Tschad erlebt, was passieren kann, wenn etwas schiefläuft.
Als seine Leute dort einmal zehn Tonnen Blindgänger und Panzerminen
vernichten sollten, kam es zu früh zur Explosion. Willers' französischer
Stellvertreter, ein guter Freund, stand noch mit fünf Tschadern am
Sprengloch. Man fand von ihnen nicht viel mehr als ein Paar Schuhe.
Warum macht jemand so eine Arbeit? "Ich bin von unserer Aufgabe zutiefst
überzeugt", sagt Willers. "Wir geben der Zivilbevölkerung Land für den
Ackerbau zurück. Arme Bauern können wieder ihre ein, zwei Hektar Reis
anpflanzen." Er steht am Rand eines Minenfelds, auf dem die Vegetation seit
Jahrzehnten ungehindert wuchern konnte. Früher waren hier Reisfelder für
die Bewohner von Boeung Mealea.
Bis 1982 vietnamesische Truppen durch den kleinen Ort zogen und das Gelände
hinter dem buddhistischen Tempel am Dorfrand verminten. "Niemand hat uns
gewarnt", erinnert sich Bürgermeister Hun Hatt. "Dies war ein schwer
umkämpftes Schlachtfeld." Schnell lassen sich mehrere Hektar verminen, doch
die Räumung funktioniert nur im Schneckentempo.
Von den Rändern her arbeiten sich die Spezialisten nach innen vor. Rote
Schnüre haben sie gespannt, um die Grenzen des sicheren Bereichs zu
markieren. Übermannshohe Büsche, Gräser und Sträucher – alles muss restlos
weg, damit der Metalldetektor die meist etwa 15 Zentimeter tief vergrabenen
Minen erfassen kann. Mit Schutzhelm, Plexiglasvisier und Splitterweste
arbeiten sich die Zweierteams Quadratmeter für Quadratmeter vor. Die Füße
immer im geräumten Bereich, befreit einer mit Motorsense, Heckenschere und
bloßen Händen das Stückchen Land, das er mit seinen Armen erreichen kann,
vom Bewuchs. Dann kommt der Kollege mit dem Metalldetektor, führt ihn
wenige Zentimeter über der Erde hin und her und lauscht auf das Piepen im
Kopfhörer. Gibt es keinen Ausschlag, legt er die rote Holzleiste auf dem
Boden einen Schritt nach vorn, und die Heckenschere kann wieder zum Einsatz
kommen.
## Immer von der Seite
Oft müssen die Männer aber mit einem kleinen, weißen Holzdreieck einen
Metallfund markieren. Mit einer kleinen Schaufel graben sie sich dann näher
– immer von der Seite, um keine Mine durch Druck von oben auszulösen – und
stochern mit einer Art Stricknadel im Boden. Meist kommen Patronenhülsen
zum Vorschein, Granatsplitter oder ein abgebrochenes Sägeblatt. Nur etwa
jedes hundertste Mal wird es ernst. Zugführer Sun Vey übernimmt. Mit einem
Pinsel legt er eine sowjetische Mine frei, zieht sie mit bloßen Händen aus
der aufgelockerten Erde und schraubt die rosafarbene Zündkapsel heraus, als
hätte er nur irgendein Stück Plastik in der Hand.
"Ich freue mich über jede Mine, die wir aus der Welt schaffen können",
kommentiert Willers. Immer wieder begegnet er auf den Dörfern Männern mit
Beinprothesen und Frauen ohne Unterschenkel. Noch in den Neunzigern wurden
in Kambodscha jährlich tausende Zivilisten Minenopfer. 2010 gab es nur noch
knapp 300 Unfälle – auch dank der Arbeit des Minenräumverbands 6.
Von der Grube mit den Minen zieht Sprengmeister Seng Phally einen Draht 100
Meter durchs Feld. Leute aus dem Dorf sind aus ihren auf Pfählen gebauten
Holzhäusern herübergekommen, um die Sprengung zu sehen. Einige Kinder
interessieren sich mehr für Peter Willers, der mal wieder der einzige
Ausländer ist. Eine Warnung per Megafon, dann dreht Seng Phally am
Kurbelzünder. Eine Staubwolke schießt 20 Meter in die Höhe, Erdbrocken
fliegen, eine halbe Sekunde später der Knall. Ein Hund läuft über das Feld.
Wieder vier Minen unschädlich gemacht.
Bis 2020 will Kambodschas Regierung das Land minenfrei machen. Peter
Willers wird dann 80 sein. Um den Zeitplan einhalten zu können, müssen noch
mehr Flächen noch schneller entmint werden. Das kostet Geld, und die
Geberländer seien zurückhaltender geworden in Krisenzeiten: "Die Japaner
sind wichtige Partner, aber ob sie sich bei ihren derzeitigen Problemen
weiter engagieren, ist nicht sicher." Auch wenn er den Job gern noch ein
paar Jahre machen will, Kambodschas letzte Mine werden andere aus der Erde
holen.
4 Apr 2011
## AUTOREN
Klaus Bardenhagen
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