# taz.de -- Neues Buch von Siri Hustvedt: Frauen auf dem Lande | |
> Weibliche Atemzüge einer Sommerzeit: In "Ein Sommer ohne Männer" | |
> inszeniert Siri Hustvedt ein literarisches Kammerspiel mit femininer | |
> Besetzung. | |
Bild: Besser, als einen Mann zu haben, kann es manchmal auch sein, einen gehabt… | |
Wer ist Niemand? Auch Texte haben Geheimnisse, die sich niemals vollständig | |
ergründen lassen. Und so wird Mia, Heldin und Ich-Erzählerin von Siri | |
Hustvedts neuem Roman mit dem erfrischenden Titel "Der Sommer ohne Männer", | |
wahrscheinlich nie herausfinden, wer der Absender jener mysteriösen E-Mails | |
ist, die sie einen Sommer lang bekommt. | |
Der anonyme Absender, der sich Mr. Niemand nennt, beginnt mit eher | |
bedrohlich scheinenden Botschaften ("Ich weiß alles über dich. Du bist | |
geisteskrank, verrückt, übergeschnappt"), wird im Laufe des Sommers immer | |
philosophischer und für Mia fast so etwas wie ein idealer Gesprächspartner, | |
um schließlich nach langer Pause nur noch sehr einsilbig zu antworten | |
("Nierensteine"). | |
Vielleicht sollten wir uns Mr. Niemand als eine Art Über-Ich vorstellen, | |
als augenzwinkernde kleine Meta-Kommentarfunktion. Denn Niemands | |
Botschaften korrespondieren mit Mias Gemütszustand. Zu Beginn des Sommers | |
ist der noch reichlich zerrüttet. Sie hat einen Aufenthalt in der | |
Psychiatrie hinter sich, der nötig wurde, nachdem ihr Mann Boris, ein | |
bekannter Physiker, ihr erklärt hat, er brauche eine Pause in der | |
Beziehung. | |
Dass er die Pause zusammen mit seiner Laborassistentin verbringen möchte, | |
bringt Mia vorläufig um den Verstand. Zur Rekonvaleszenz zieht sie sich | |
aufs Land zurück, in jene Gegend von Minnesota, wo sie geboren wurde, und | |
wo ihre alte Mutter nunmehr in einem Heim lebt. | |
Die kammerspielhafte Personenkonstellation, die Hustvedt aufbaut, gleicht | |
einer verhaltensbiologischen Versuchsanordnung. Getreu dem Romantitel sind | |
alle handelnden Personae weiblichen Geschlechts, abgesehen von kleineren | |
akustischen Auftritten - hinter der Szene - des mitunter gewalttätigen | |
Ehemanns von Mias Nachbarin Lola, einer jungen Mutter zweier Kinder. Der | |
einzige Penisträger, der persönlich dabei sein darf, ist Lolas Baby. | |
## Kunstgattungen in Nebenrollen | |
Mia, selbst Mitte fünfzig, steht im Alter genau zwischen den Frauen, die | |
sie umgeben. Da gibt es zum einen die Gruppe der Hochbetagten um Mias | |
Mutter, die in ihrem Heim zufrieden und agil inmitten eines | |
Freundinnenzirkels lebt. Als im Sommer nacheinander zwei der Freundinnen | |
versterben, wird das allgemein traurig, doch mit gefasster Einsicht in die | |
Endlichkeit allen Lebens aufgenommen. | |
Und niemand außer Mia weiß, dass die ehemalige Handarbeitslehrerin Abigail | |
ein besonderes Vermächtnis hinterlassen hat: In bestickte Tischdecken und | |
Kissenbezüge hat sie versteckte Botschaften eingearbeitet, Kunstwerke | |
teilweise drastischen oder sogar obszönen Charakters. | |
Am anderen Ende des Altersspektrums stehen die pubertierenden Mitglieder | |
des Ferien-Schreibkurses, den Mia, im Hauptberuf Lyrikerin, gibt, um sich | |
abzulenken. Auch in diesem Kurs darf die Kunst sich von ihrer | |
therapeutischen Seite zeigen; denn eines der Mädchen wird von den anderen | |
hinterhältig gemobbt, und Mia betreibt Konfliktbewältigung, indem sie die | |
Teenager das Mobbingdrama aus wechselnden Perspektiven niederschreiben | |
lässt. | |
Weitere Kunstgattungen treten in Nebenrollen auf. Mias Tochter Daisy, die | |
Ende des Sommers zu Besuch kommt, ist Schauspielerin, und sogar die | |
dreijährige Tochter von Nachbarin Lola, die stets eine Harpo-Marx-Perücke | |
trägt, übt sich bereits in fantasiereichem Rollenspiel. | |
Ja, und ist nicht auch das Leben selbst eine Form der Kunst?, möchte man da | |
fragen und glauben, dass es eben dies ist, was Hustvedt uns so variations- | |
und geistreich vorführt. Vielleicht. Auf jeden Fall ist dieser so kluge wie | |
verspielte Roman auch eine kleine Feier für die Kraft der Künste, die das | |
Leben erst beseelen - als Trost, als Triebabfuhr, als Geistes- und | |
Seelennahrung. | |
## "Mach mir den Hof" | |
Und was hat das alles mit Männern und deren Abwesenheit zu tun? Vielleicht | |
nichts, vielleicht auch alles. Das virtuelle Vorhandensein des anderen | |
Teils der Menschheit hinter den Kulissen ist jederzeit spürbar. Mias | |
Gespräche mit ihrer Mutter handeln zu einem guten Teil von Männern; die | |
Mädchenintrige entzündet sich an Fantasien über den süßesten Jungen der | |
Schule; und Mias gesamte Sommerexistenz dreht sich, wenn man ehrlich ist, | |
lange Zeit um die Abwesenheit des untreuen Boris. | |
Fast wird man ärgerlich mit der sich so ausufernd wie selbstironisch selbst | |
bemitleidenden Ich-Erzählerin, die sich dann doch zum guten Schluss von den | |
Dramen und Drämchen in der sie umgebenden Damenwelt so vereinnahmen lässt, | |
dass sie am Ende des Sommers dem rückkehrwilligen Gatten den ziemlich | |
kühlen Bescheid geben kann: "Mach mir den Hof." | |
Um ein Haar nimmt man ihr diese Nonchalance sogar ab. Denn eines dürfte Mia | |
nach diesem Sommer mit ihren altersgemischten Freundinnen begriffen haben: | |
Besser, als einen Mann zu haben, kann es manchmal auch sein, einen gehabt | |
zu haben. Mindestens. | |
Siri Hustvedt: "Der Sommer ohne Männer". Aus dem Englischen von Uli | |
Aumüller. Rowohlt, Reinbek 2011, 304 Seiten, 19,95 Euro | |
5 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Kunstbetrieb | |
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