# taz.de -- Radio Kalima in Tunesien: Die Stimme der Revolution | |
> Einst wurde Radio Kalima von den Behörden verboten, die Macher mussten | |
> ins Exil. Doch nach dem Sturz von Machthaber Ben Ali ist der Sender | |
> wieder "on air". | |
Bild: Soll bald auf UKW im ganzen Land verfügbar sein: Radio Kalima. | |
MADRID taz | Die Begeisterung der 20 Journalisten und Tontechniker ist | |
nicht zu übersehen. Sie errichten ein neues Studio in einer Büroetage | |
unweit des Flughafens Tunis-Carthage. Radio Kalima heißt der Sender. Seit | |
Anfang 2009 ist die Stimme der tunesischen Opposition per Satellit und | |
Internet zu hören. | |
Doch jetzt wird es richtig ernst. "Wir werden sobald wie möglich auf UKW | |
gehen, im ganzen Land, rund um die Uhr", erklärt Omar Mestiri, der | |
60-jährige Direktor von Kalima. Die Lizenz ist beantragt. Doch noch ziert | |
sich die Übergangsregierung unter Béji Caied Essebsi. | |
Erst sendete das Radio über den Satellit Hotbird. Als das Regime von Ben | |
Ali die Schließung der Frequenz erreichte, ging es über Internet weiter. | |
Das Büro in einer kleinen Altbauwohnung im Zentrum von Tunis war nur drei | |
Tage nach der ersten Sendung von der Polizei versiegelt worden. Radio | |
Galère im südfranzösischen Marseille bot daraufhin Unterschlupf. | |
Die meist jungen Reporter von Radio Kalima sind für ihre kritischen | |
Interviews, engagierten Meinungsbeiträge und vor allem für die Reportagen | |
aus dem ganzen Land bekannt. In den Wochen der Protestbewegung, die | |
schließlich am 14. Januar zum Sturz des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali | |
führte, verbreitete Kalima mehr als ein Dutzend erschreckender Nachrichten, | |
lange bevor die großen Presseagenturen darauf aufmerksam wurden. Ob blutige | |
Polizeieinsätze, Schusswaffengebrauch gegen Protestierende, die | |
Kalima-Macher waren meist vor Ort. | |
Am 15. Januar, ein Tag nach dem Sturz Ben Alis, kamen Omar Mestiri und | |
seine Frau, die Menschenrechtlerin und Chefredakteurin von Radio Kalima, | |
Sihem Bensedrine, aus dem Exil zurück und öffneten das alte Studio wieder. | |
Jetzt hat es ausgedient. "Wir wollen ein modernes Medienunternehmen | |
aufbauen", erklärt Mestiri. Ohne die neuen, größeren Räume am Flughafen sei | |
dies nicht möglich. | |
## "Proteste aller Art" | |
Jetzt steht Weiterbildung auf dem Programm. Moez Jemai ist einer der | |
Korrespondenten, die aus der Provinz angereist sind, um sich auf die neuen | |
Zeiten vorzubereiten. Der 32-Jährige deckt den Süden Tunesiens ab. Mit | |
seinem Aufnahmegerät und einem in die Jahre gekommenen Notebook produziert | |
er Reportagen. "Soziale Bewegungen, Probleme mit der Verwaltung, | |
Menschenrechtsverletzungen, Proteste aller Art", zählt Jemai auf, worüber | |
er seit mehr als zwei Jahren berichtet. | |
Immer wieder wurde er von der politischen Polizei dafür verfolgt. | |
Unmittelbar vor dem Sturz Ben Alis verschwand er zweimal für mehrere Tage | |
hinter Gitter und wurde misshandelt. Zum Beweis zeigt er seine linke Hand. | |
Der kleine Finger ist krumm und steif. "Gebrochen", erklärt Radiomacher | |
Jemai. | |
Was bisher hauptsächlich politisches Engagement war, wird für Jemai und | |
seine Kollegen jetzt zum Beruf. "Wenn wir auf UKW gehen, gibt es Verträge | |
für alle", erklärt Jemai zufrieden. Möglich wird das durch internationale | |
Unterstützung aus mehreren europäischen Ländern, allen voran Frankreich. | |
"Radio France hat uns eine Studioeinrichtung geschenkt", berichtet Mestiri, | |
der längst Partner in Tunesien gefunden hat, die Radio Kalima finanzieren. | |
Außerdem plant Mestiri die Gründung eines Unterstützervereins, in den die | |
Hörer Spenden einbezahlen können. Falls dieses Modell beim Radio | |
funktioniert, soll bald schon ein unabhängiger Fernsehsender folgen. | |
"Die Medienlandschaft ist ein Zeichen dafür, ob der Übergang zur Demokratie | |
ernst gemeint ist oder nicht", gibt Mestiri zu Bedenken. Die alten Medien | |
haben sich zwar geöffnet, halten sich aber mit Kritik an der | |
Übergangsregierung zurück. Am 24. Juli stehen Wahlen für eine | |
verfassunggebende Versammlung an. "Wenn diese ohne neue, wirklich | |
unabhängige Medien abgehalten werden, droht eine Restauration der alten | |
Machtstrukturen", befürchtet Mestiri. Deshalb will er mit seiner Redaktion | |
eine Reihe von Protestaktionen vorbereiten, sollte die Sendelizenz nicht | |
bald kommen. | |
5 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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