| # taz.de -- Boxfilm mit Mark Wahlberg: Erzählung voll raffinierter Haken | |
| > David O. Russell entfaltet in seinem Film "The Fighter" mit Mark Wahlberg | |
| > in der Hauptrolle ein komplexes Porträt eines Mannes, der schließlich als | |
| > Weltmeister triumphiert. | |
| Bild: Old Kids on the Block: Mark Wahlburg und Christian Bale in "The Fighter". | |
| "Life in the streets isn't easy" lautet der Titel einer | |
| Eurodance-Schmuseballade von Mark Wahlberg von 1993, in der der spätere | |
| Schauspieler an der Seite von Prince Ital Joe mit verklärtem | |
| autobiografischem Pathos die Härte des Gossenlebens zwischen Dealereien und | |
| Messerstechereien besingt. | |
| Damals nannte sich Wahlberg noch "Marky Mark", propagierte den Verzehr von | |
| Hühnchenbrust, verdingte sich mit spitzbübisch offensiver Jungserotik als | |
| glatt rasiertes Unterwäschemodell für Calvin Klein und wurde im Allgemeinen | |
| als Donnie Wahlbergs kleiner Bruder im Schlepptau der New Kids on the Block | |
| herumgereicht. | |
| Diese leicht lächerliche Phase im Schaffen von Mark Wahlberg ist heute, | |
| nach einer beachtlichen Schauspielkarriere, in der ihm der Spagat zwischen | |
| Arthouse und Hollywood-Action regelmäßig mit Bravour gelingt, in einer | |
| Weise überwunden und ausgeblendet, dass man sie für die Erinnerungsspur aus | |
| einem anderen Leben halten könnte. | |
| Jetzt aber schimmert sie in David O. Russells Film "The Fighter", einem | |
| Biopic über die außergewöhnliche Karriere des Boxers Micky Ward, von Anfang | |
| an immer wieder als Hintergrundfolie durch die Bilder durch: Wenn Micky | |
| (Wahlberg) anfangs zu lässigem Funk mit seinem älteren Halbbruder Dick | |
| Eklund (Christian Bale) Hände abklatschend durch die Straßen von Lowell, | |
| Massachusetts zieht, steht zweierlei im Vordergrund: zum einen Street | |
| Credibility als wichtigstes symbolisches Kapital, hier, am unteren Ende des | |
| Prekariats, vor allem durch die Meisterschaft des spontanen parlare und des | |
| improvisierten Austauschs von Gesten, Floskeln und Posen markiert. | |
| Zum anderen: Dies sind immer noch Dick Eklunds Straßen. 1978 hatte ihn ein | |
| zwar verlorener, aber schon deshalb spektakulärer Kampf gegen Sugar Ray | |
| Leonard zur lokalen Ikone gemacht, da er darin die Boxlegende auf die | |
| Bretter geschickt hatte. Ein Achtungserfolg, von dem er jetzt noch | |
| bereitwillig erzählt, den er jedoch nie ausbauen konnte. Stattdessen: | |
| Cracksucht, Abstieg ins kriminelle Milieu. | |
| ## Grundsympathisch melancholische Underdog-Kämpfernatur | |
| Old Kids on the Block: Während Dicks Arme und Hände unablässig durch die | |
| Menge wirbeln, hält Micky seine streng an sich, bleibt im Hintergrund. | |
| Damit ist der wesentliche Unterschied zwischen den beiden auch schon im | |
| Bild angekommen: Während Dick Eklund ein Tänzer und Fechter war, ist Micky | |
| Ward eine bullige Festung, ganz Körper in Abwehrhaltung, die Fäuste stets | |
| am eigenen Kopf, nur um im günstigsten Moment den gefürchteten Haken von | |
| unten hervorschnellen zu lassen. Mit Mickys Ruhm ist es noch nicht allzu | |
| weit her: Um sich über Wasser zu halten, richtet er zwischen zwei eher | |
| miesen Fights als Bauarbeiter mühsam jene Straßen, auf denen sein | |
| ausgemergelter Bruder mit lockerer Selbstverständlichkeit seine Show | |
| abzieht. | |
| Für eine ernsthafte Karriere als Boxer ist Micky an dieser Stelle, 1993, | |
| fast schon zu alt. Umso erstaunlicher ist sein mühseliger Aufstieg in den | |
| folgenden Jahren, den er 2000 mit dem erfolgreich erkämpften | |
| Weltmeistertitel abschließt. "The Fighter" fokussiert diese Phase, anders | |
| aber als etwa die "Rocky"-Filme von Sylvester Stallone stilisiert Russell | |
| seinen Boxer nicht zu einer zwar grundsympathisch melancholischen | |
| Underdog-Kämpfernatur, die sich wahlweise als Parabel über den | |
| amerikanischen Traum oder über die Bewältigung des ganz normalen, zu | |
| meisternden Alltagskampfs anbietet. | |
| Vielmehr entwickelt er in genau beobachteten sozialen Relationen die These | |
| einer Dialektik, aus der Ward schlussendlich in Überwindung aller | |
| Widersprüche und Konflikte zur Meisterschaft gelangt. Als mythische | |
| Struktur ist dies zwar auch in den gängigen Boxerfilmen angelegt, doch | |
| Russell hat keine epische, allegorische Heldensaga im Sinn - stattdessen | |
| zeichnet er ein Milieubild. | |
| Ein sich durchbeißender Kämpfer ist Ward, dem Titel zum Trotz, zunächst | |
| nicht. Vielmehr erscheint er als hin und her geworfener Spielball: Gerade | |
| als sein allerdings höchst unzuverlässiger Trainer projiziert Dick den | |
| eigenen Traum vom Comeback auf den jüngeren Bruder, gestützt auch durch ein | |
| Fernsehteam von HBO, das ihn im Glauben lässt, einen Film über eine | |
| fantastisch anmutende Rückkehr in den Ring zu drehen, in Wahrheit aber an | |
| einem Porträt über die Folgen von Crackkonsum arbeitet. | |
| Auf ähnliche Weise hinderlich ist seine Mutter Alice (Melissa Leo) als | |
| Managerin, die weniger die Karriere des Sohns als die Familienkasse im Sinn | |
| hat. Im Vorfeld aussichtsreiche, dann aber doch verlorene Kämpfe | |
| veranlassen Micky zum schamhaften sozialen Rückzug, in dem ihm erst seine | |
| neue Freundin Charlene (Amy Adams) den nötigen Rückhalt verleiht, um aufs | |
| Neue und in zunehmender Loslösung von der Familie sportliche | |
| Herausforderungen zu suchen | |
| ## Grundsympathisch melancholische Underdog-Kämpfernatur | |
| Aus der Verwicklung und gegenseitigen Auflösung dieser mikrosozialen | |
| Konflikte bezieht "The Fighter" einen guten Teil seiner Kraft. Dabei | |
| entwickelt Russell ein auch in Momenten größter sozialer Depravation nie | |
| miserabilistisches Panoptikum von White-Trash-Episoden, das der Logik des | |
| mythischen Boxfilms, der alle Konflikte und Widrigkeiten seiner Hauptfigur | |
| nach und nach auf einen dramaturgischen Höhepunkt zuspitzend sortiert, | |
| mitunter entgegenläuft. | |
| Stark ist "The Fighter" deshalb gerade nicht in den vergleichsweise roh und | |
| wenig stilisiert inszenierten Boxkämpfen, sondern immer dann, wenn er das | |
| Momenthafte des Augenblicks, der Episode betont: die Umstände von Dicks | |
| Verhaftung etwa, die ihm mehrere Jahre Gefängnis einbrocken wird, ein | |
| lächerlich in die Binsen gegangener Kinobesuch von Charlene und Mickey, der | |
| Streit zwischen Charlene und Mickys Mutter, bei dem Micky fast so hilflos | |
| wie ein Stück Frachtgut zwischen den Besitzanspruch anmeldenden Fronten | |
| sitzt. | |
| Folgerichtig verlässt "The Fighter" Micky regelmäßig und rückt dessen | |
| soziales Umfeld in den Mittelpunkt - auch dies ein Unterschied zum | |
| mythischen Boxfilm, der dicht an seiner Figur haftet und diese zugunsten | |
| des übrigen Ensembles allenfalls zur funktionalen Unterfütterung des | |
| narrativen Hauptzwecks verlässt. Micky Ward und sein Aufstieg lassen sich | |
| aber, so Russells These, nicht vom Boxer als monolithischem Zentrum des | |
| Geschehens her verstehen, sondern nur, wenn man etwa Dick Eklund, die | |
| gemeinsame Mutter und Charlene als eigenständige und aufeinander | |
| ausgerichtete Pole berücksichtigt. | |
| Nicht zuletzt liegt darin auch eine bildästhetische Entsprechung von Micky | |
| Wards Lage: Der gescheiterte Traum des großen Bruders liegt wie ein Alb auf | |
| seiner eigenen Karriere. "The Fighter" beginnt mit quasidokumentarischem | |
| Film-im-Film-Material: Freimütig erzählt ein sich allein auf dem Sofa | |
| lümmelnder Dick davon, wie er schon als Jugendlicher seinem Bruder das | |
| Boxen beigebracht hat. Erst nach und nach und unter vielen Entbehrungen | |
| wird Micky den Bildkader für sich erobern können und sich von Dick - nicht | |
| zuletzt in einer Synthese beider Boxstile - als bestimmende Instanz | |
| emanzipieren können. | |
| Am Ende sitzen beide Brüder auf der Couch vor der Kamera des Fernsehteams: | |
| voneinander gelöst und doch vereint, nach allen im Ring und außerhalb | |
| dessen kulminierten und ausgefochtenen Konflikten. So irgendwie wandelt | |
| sich "The Fighter" dann doch wieder zum mythischen Boxfilm. Und das Leben | |
| auf der Straße ist auch weiterhin nicht einfach. | |
| ## "The Fighter". Regie: David O. Russell. Mit Mark Wahlberg, Christian | |
| Bale, Melissa Leo u. a. USA 2010, 116 Min. | |
| 7 Apr 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Groh | |
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| Kino | |
| Boxen | |
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