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# taz.de -- Montagsinterview Mieterverein-Chef Reiner Wild: "Es fehlt an einem …
> Das Thema Mieten wird im Wahlkampf zentral, glaubt Reiner Wild. Als
> Grüner beschäftigt ihn vor allem, wie Mieten bezahlbar bleiben, wenn
> Häuser für den Klimaschutz saniert werden.
Bild: Seit 30 Jahren beim Berliner Mieterverein: Reiner Wild.
taz: Herr Wild, wohin ging Ihre letzte Städtereise?
Reiner Wild: Ich war in Madrid.
Wo haben Sie da gewohnt: Hotel oder Ferienwohnung?
In einem Hotel. Aber demnächst fliege ich mit meiner Familie nach
Barcelona. Und ich gebe zu, dass ich da das tue, was auch viele machen, die
nach Berlin kommen: Wir nehmen uns eine Ferienwohnung im Stadtzentrum. Wir
sind zu fünft. Ein Hotel wäre dort ziemlich teuer. Da ist eine
Ferienwohnung eine echte Alternative.
Die Kreuzberger Grünen haben beim Thema Ferienwohnungen, überhaupt beim
Thema Tourismus, Alarm geschlagen. Gerechtfertigt oder nicht?
Tourismus und Stadtverträglichkeit ist ein altes Thema, das haben nicht
erst die Kreuzberger Grünen erfunden. Mit dem Wachsen des Städtetourismus
ist das Thema noch dringlicher geworden. Die Nutzung von Wohnraum für
Ferienunterkünfte ist ein Problem. Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit
zu tun, sondern mit einer Touristisierung der Innenstädte, die nicht nur
positive Effekte hat.
Was soll Berlin gegen die zunehmende Zahl an Ferienwohnungen machen?
Die Entwicklung des Tourismus in den Innenstädten bedarf einer besonderen
Beobachtung. Die betroffenen Städte sollten sehr wohl auch das Interesse
der Bewohner berücksichtigen. Die Einschränkung solcher Unterkünfte ist ein
probates Mittel, ohne dass man dabei in den Verdacht gerät, Fremde
vertreiben zu wollen. Ich würde es auch akzeptieren, wenn die Stadt
Barcelona dies täte.
Nun beschwört Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) wie ein
Mantra die angebliche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt. Ist die
Mietenpolitik bei der SPD in guten Händen?
Von der Politik der SPD in der Landesregierung bin ich in der Tat sehr
enttäuscht. Es ist nicht zu erkennen, dass dort der Mieterschutz wirklich
ernst genommen wird. Nehmen Sie die Bundesratsinitiative, mit der unter
anderem die Mieten bei Neuvermietungen begrenzt werden sollen. Wir begrüßen
natürlich diese Initiative als ersten Schritt. Aber es ist überhaupt nicht
zu erkennen, dass Frau Junge-Reyer und der Senat dafür etwas tun. Mehrfach
haben wir vorgeschlagen, um die Erfolgsaussicht der Initiative zu erhöhen,
Kontakt zu anderen Stadtstaaten und Großstädten aufzunehmen und eine große
Mietenkonferenz in Berlin abzuhalten. Nichts. Da passiert nichts
Wahrnehmbares.
Also bloße Symbolpolitik.
Die SPD will sich, auch im Hinblick auf den Wahltag am 18. September, nun
als Mieterpartei darstellen. Doch hier sind Zweifel angebracht. Über Jahre
hat die Stadtentwicklungssenatorin mit dem Hinweis auf angeblich mehr als
100.000 dem Berliner Wohnungsmarkt zur Verfügung stehenden leeren Wohnungen
jedwede Notwendigkeit für eine Einflussnahme abgestritten. Ob
Mietentwicklung, Zweckentfremdung von Wohnraum, sozialverträglicher
Klimaschutz, Mieterschutz bei Umwandlung in Eigentumswohnungen und vor
Verdrängung aus Sozialwohnungen, die Liste der unerledigten Probleme des
Berliner Wohnungsmarktes ist lang.
Und der Regierende Bürgermeister freut sich, dass steigende Mieten auf den
wirtschaftlichen Erfolg Berlins hinweisen.
Das Mieter sich mit solchen Sprüchen nicht ernst genommen fühlen, liegt auf
der Hand. Von einer wachsenden Kaufkraft verspüren die meisten Berliner
eben nichts. Wem nutzen denn die steigenden Mieten bei den neuen
Mietverträgen? Mit den Mehreinnahmen wird noch lange nicht in die Häuser
investiert. Im Grunde geht dieser Aufschwung auf dem Immobilienmarkt nur in
die Kassen der Vermieter und beispielsweise nicht in die gebotene
energetische Verbesserung der Wohngebäude.
Die Berliner sind sehr verunsichert. Es gibt viele Ängste, auch vor
Verdrängung. Wird das Thema Mieten am 18. September wahlentscheidend sein?
Ich hoffe, wir können etwas dazu beitragen. Auf der anderen Seite gibt es
natürlich einen Gewöhnungseffekt. Die Entwicklung, die wir jetzt haben,
besteht im Grunde seit 2007. Mieter sind seit drei oder vier Jahren
gewohnt, bei neuen Mietverträgen einen höheren Preis zu zahlen. Sie haben
auch festgestellt, dass es bei den Bestandsmietverhältnissen einen
deutlichen Trend nach oben gibt. Es fehlt also an einem Schlüsselereignis,
das die Menschen mobilisieren könnte.
In Hamburg war das die Besetzung des Gängeviertels.
Richtig. Eine Zeitlang dachte ich, in Berlin könnten die dramatischen
Mietsteigerungen im sozialen Wohnungsbau, die ja ganz deutlich zu
Verdrängungen führen, wachrütteln. Aber offenbar ist die Situation derer,
die da verdrängt werden, für die Mehrheit der Bevölkerung und der Politik
zu weit weg. Da war offenbar die Situation der Künstler in Hamburg anders.
Eine Forderung, die aus Hamburg die Runde gemacht hat, heißt "Recht auf
Stadt". Wo sehen Sie denn dieses Recht in Berlin politisch am besten
vertreten? Bei der SPD ja ganz offenbar nicht. Bei der Linken?
Ich muss bei meiner Kritik an der Landesregierung die Linken
miteinbeziehen. Ich sehe nicht, dass es den Linken gelungen ist, innerhalb
dieser Koalition Markenzeichen zu setzen. Lange Zeit hat die Linke die
Konflikte mit der SPD gescheut. Ich habe mal geguckt, wie viele
Pressemitteilungen wir von der Linken zum Thema Wohnen und Stadtentwicklung
bekommen haben. Sehr wenig. Viele Vorstellungen der Linken decken sich mit
den Forderungen des Mietervereins, aber es fehlte an Leidenschaft und
Konfliktbereitschaft.
Nun sind Sie selbst Mitglied der Grünen. Ist Ihre Kritik womöglich
parteipolitisch motiviert?
Das ist nicht der Fall. Sollte es den Grünen gelingen, nach den Wahlen die
Landesregierung mit zu stellen, dann werden Sie sehr schnell sehen, dass
sich der Mieterverein auch der Regierungsarbeit der Grünen kritisch widmen
wird. Unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Mieter zu wahren, und das
überprüfen wir bei jeder Partei. Aber natürlich können sich Mitarbeiter
auch parteipolitisch engagieren. Ich tue das landespolitisch aber nicht
aktiv. So gesehen kann ich das ganz neutral bewerten.
Wie viel Berliner Mieterverein steckt denn im Wahlprogramm der Grünen?
Da gilt das Gleiche wie für SPD und Linke. In den Wahlprogrammen steht viel
Richtiges. Entscheidend ist aber, was von den Versprechen übrig bleibt. Der
Mieterverein hat sich in den letzten beiden Jahren zum Zwecke der
Energieeinsparung und der CO2-Reduktion auf ein organisationspolitisch
nicht ganz einfaches Bündnis mit der Naturschutzorganisation BUND und der
Industrie- und Handelskammer eingelassen. Dass wir dafür wenigstens eine
klare Unterstützung der Grünen erhalten haben, hat mich gefreut.
Sie meinen das Stufenmodell zur energetischen Sanierung, das eine
Alternative war zum Gesetzentwurf von Umweltsenatorin Katrin Lompscher.
Ja. Das Bemerkenswerte ist, dass es von allen Bündnispartnern ein Umdenken
verlangt hat. Gerade bei der IHK und bei uns ist ein solcher politischer
Vorstoß nicht selbstverständlich gewesen. Energieverbrauch und Klimaschutz
haben erheblichen Einfluss auf das Wohnen. Das Thema muss und darf dem
Mieterschutz nicht zuwiderlaufen. Wir können die Prozesse aber nur mit
beeinflussen, wenn wir uns dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe
stellen.
Die Kreuzberger Grünen fordern, dass es energetische Sanierung nur geben
soll, wenn die Mietsteigerungen nicht höher sind als die Einsparungen.
Das lässt sich leider nicht immer realisieren, so unsere Erfahrung.
Außerdem muss auch der Zeitfaktor berücksichtigt werden. Schauen Sie 15
oder 20 Jahre in die Zukunft. Wenn es bei einem sieben- bis zehnprozentigen
Anstieg der Energiepreise bleibt und einem zwei- bis dreiprozentigen
Anstieg der Grundmiete, dann werden die Heizkosten in nicht allzu ferner
Zeit höher sein als die Grundmiete.
Der Geschäftsführer eines Mietervereins als Verfechter des
Nachhaltigkeitsgedankens?
Im Prinzip ja. Das ist aber innerhalb einer Organisation, in der die
sozialpolitische Seite im Vordergrund steht, schwer umzusetzen. Es gibt
viele Mietervereine, die die Existenz dieses Problems leugnen und jede
unmittelbare Zusatzbelastung ablehnen. Das Entscheidende aber ist, dass die
Verknüpfung des ökologischen Themas mit dem sozialpolitischen eine
ungeheure Bedeutung hat. Was wäre das für eine Stadt, in der in den
schlechten Gebäuden, die nicht energetisch saniert sind, nur noch Haushalte
mit geringem Einkommen wohnen und die mit hohem Einkommen in den
Ökopalästen? Das ist nicht mein Ziel.
Sie sind 1954 in Hannover geboren, haben in Konstanz und Berlin Soziologie
studiert. Was hat Sie politisch geprägt?
In erster Linie die Bürgerinitiativbewegung. Als Schüler durfte ich in
Hannover miterleben, wie sich die Bürger der Stadt mit Blockaden und selbst
organisiertem Personentransport gegen Fahrpreiserhöhungen und
Privatisierung erfolgreich wehrten. Mit dieser Rote-Punkt-Aktion wurde der
eingestellte öffentliche Nahverkehr durch eine Solidaritätsaktion der
Autofahrer ersetzt. Damit gelang es, fast die gesamte Mobilität zu sichern.
In Konstanz habe ich mich in der Anti-AKW-Bewegung engagiert, war in Wyhl,
Kaiseraugst und Fessenheim.
Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Wohnung in Berlin?
Klar, das war in der Hohenfriedbergstraße in Schöneberg. Ich zahlte damals
73 Mark für eine 42-Quadratmeter-Wohnung. Das war 1975. Das Haus ist
inzwischen abgerissen. In Berlin habe ich dann angefangen, Stadtteilarbeit
zu machen. Darüber kam ich letztendlich 1981 auch zum Mieterverein.
Sie arbeiten dort seit 30 Jahren und führen seit anderthalb Jahren die
Vereinsgeschäfte. Hat es Sie nie gedrängt, in die Politik zu gehen?
Politik ohne Regieren ist schwer. Regierung wiederum ist nur Macht auf
Zeit. Man muss immer wieder von vorne anfangen. Im Gegensatz dazu konnte
ich beim Mieterverein dauerhaft Einfluss auf die Politik zu nehmen. Als
Berliner Landesverband des Deutschen Mieterbundes sind wir ein
vergleichsweise politisch stark engagierter Verein.
Und wenn nach der Wahl Frau Künast anruft und sagt: Herr Wild, können Sie
sich vorstellen, uns als Staatssekretär oder Senator zu unterstützen?
Sie wird sich davor hüten, einen Vertreter einer Mieterorganisation
anzurufen. Das würde sie angreifbar machen. Besser wäre es, sie würde sich
unabhängigere Kandidaten suchen.
Der Spielraum, den das Land in der Wohnungs- und vor allem der
Mietenpolitik hat, ist gering. Was könnte ein grüner
Stadtentwicklungssenator oder eine grüne Stadtentwicklungssenatorin tun?
Seit der Föderalismusreform hat sich der Spielraum der Länder vergrößert.
Berlin könnte, mit Hinweis auf eine angespannte Wohnungssituation auch in
bestimmten Quartieren, die Zweckentfremdung wieder untersagen. Das betrifft
den Abriss, aber auch die missbräuchliche Nutzung von Wohnungen, zum
Beispiel die Vermietung als Ferienwohnungen. Hamburg macht das mit einem
Wohnraumschutzgesetz. Oder zum Beispiel die Geschäfte mit der Umwandlung
von Wohnungen in Eigentum erschweren: Hamburg hat die Sperrfrist für
Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlung auf zehn Jahre festgelegt und
stellt in Gebieten der sozialen Erhaltungsverordnung Umwandlung unter einen
Genehmigungsvorbehalt. Berlin tut sich bislang schwer mit solchen
Schutzinstrumenten.
Welche Stadt machts besser? Etwa Wien, die Metropole des kommunalen
Wohnungsbaus?
Das österreichische Mietrecht verfolgen wir mit großem Interesse. Auch mit
restriktiven Regeln für Vermieter geht weder die Welt noch Wien unter.
Vorbildlich ist der kommunale Wohnungsbau in der österreichischen
Hauptstadt. Da die Bedingungen an Donau und Spree aber inzwischen sehr
unterschiedlich sind, setzen wir andere Akzente. Im Grunde benötigen wir
eine neue Form der Wohnungsgemeinnützigkeit.
In Wien hat die Kommune selbst gebaut, in Berlin wurden Investoren im
angeblich sozialen Wohnungsbau mit Milliardensummen beschenkt …
… und 15 Jahre später sind die Mieten oft höher als im frei finanzierten
Wohnungsbau. Nach Verlust der Bindungen stehen die Wohnungen für eine
soziale Wohnraumversorgung der Stadt nicht mehr zur Verfügung. Leider lässt
sich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Wir können nur versuchen, die
schlimmsten Auswüchse des Finanzierungssystems abzumildern. Wenn überhaupt,
können Neubausubventionen heute über die Grundstücksvergabe oder bei der
Vergabe von Baudarlehen an Baugruppen eine Rolle spielen. Umfangreiche
Neubauprogramme sind so jedoch nicht zu erwarten und in Anbetracht der
demografischen Entwicklung vermutlich in Berlin auch nicht erforderlich.
10 Apr 2011
## AUTOREN
Uwe Rada
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