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# taz.de -- James Blake im Berghain: Bass ohne Grenzen
> Hypetest bestanden: Der Brite James Blake demonstriert im Berghain die
> Stärke seiner Musik. Dabei arbeitet er viel mit Dynamik.
Bild: Der junge Blake: schüchtern zum Kerngeschäft.
BERLIN taz | Im Pop verlaufen Hypes oft nach bestimmten Konjunkturgesetzen,
denen auch die Popkritik gern folgt. Erst schreibt man jemanden hoch, dann
verflüchtigt sich die heiße Luft allmählich wieder, so dass man bei
nächster Gelegenheit gar nichts mehr vom eigenen Lob wissen will. Doch da
es sich hierbei nicht um Naturgesetze handelt und die Konjunkturzyklen
ebenfalls nicht mehr das sind, was sie früher einmal waren, kann es
durchaus zu Abweichungen von der Norm kommen.
So auch bei dem jungen Londoner James Blake, der am Samstag im
ausverkauften Berliner Club Berghain sein Debütalbum einem Bühnentest
unterzog. Die Berichterstattung zu seiner im Februar erschienenen Platte
hatte vorübergehend etwas hysterische Züge angenommen, und die Sorge schien
berechtigt, das Konzert des zweiundzwanzigjährigen
Musikhochschulabsolventen könnte sich zum großen Ernüchterungskorrektiv
auswachsen.
Es kam zum Glück ganz anders. Schon mit der Vorband, dem von Meister Blake
höchstpersönlich gelobten Londoner Duo Cloud Boat, empfahl sich eine neue
Dubstep-Hybrid-Formation mit einer Mischung aus pointillistischen Beats,
flächigen Gitarren und engelhaftem Falsettgesang. Ihr Wall-of-Sound-Step
unterscheidet sich dabei mit seinem stark flächigen Klang deutlich von
James Blakes sparsamen Arrangements. Auf ihre erste Veröffentlichung, die
in einigen Wochen auf dem renommierten Elektroniklabel R & S Records
erscheint, darf man sehr gespannt sein.
Blake selbst erschien danach fast schüchtern vor dem Berliner Publikum, das
er knapp begrüßte, um sich, unterstützt von einem Schlagzeuger und einem
Gitarristen, sogleich seinem Kerngeschäft an Keyboard und Klavier zu
widmen. Zu Beginn des Auftritts erinnerte seine Musik mit ihren suchenden
Akkorden und computergestütztem Gesang noch ein wenig an unentschlossene
Hintergrundmusik mit einer deutlichen Note von britischer Distanziertheit.
Etwaige Zweifel an der Darbietung zerstreuten sich aber spätestens mit dem
mehrstimmigen A-cappella-Gesang von "I Never Learned to Share", in dem sich
ein anscheinend nicht ganz einfaches Erzähl-Ich beklagt, dass Bruder und
Schwester nicht mehr mit ihm sprechen, "but I dont blame them". In Stücken
wie diesen, deren Text aus gerade einmal zwei Zeilen bestehen, entfaltet
Blake sein ganzes wunderbar schattierungsreiches Spiel mit Effekten, die in
erster Linie dazu dienen, ein kurzes Melodiefragment so lange zu
wiederholen, bis das Ausgangsmaterial sich zu etwas völlig anderem
entwickelt.
## "Post Dubstep"-Bearbeitung
Man hat James Blake vorgeworfen, die basszentrierte Clubmusik Dubstep in
Richtung Indie-Songwritertum aufzuweichen. Doch mit Blakes Musik verhält es
sich ein bisschen wie mit dem H-E-Kopf des Philosophen Ludwig Wittgenstein,
einer Kippfigur, die man wahlweise als Hasen oder als Ente sehen kann.
Denn obwohl der Gesang ein zentraler Bestandteil der Stücke seines selbst
betitelten Albums ist und Blake einen durchaus expressiven Gesangsstil
pflegt, sind es keine Songs im eigentlichen Sinne, die er schreibt. Vom
Aufbau her folgen seine Stücke vielmehr der Struktur von Tracks, deren
Spuren aus sich wiederholenden Elementen bestehen, die verändert werden
können - wie beim genannten "I Never Learned to Share".
Der einzig "richtige" Song in seinem Programm ist "Limit to Your Love", im
Original von der Kanadierin Feist. Tatsächlich ist Blakes Version sein
bisher größter Hit, und im Berghain bekam man körperlich zu spüren, worin
die Stärke dieser "Post Dubstep"-Bearbeitung liegt: Neben einigen
überraschenden Pausen ist es der unterirdische Bass, den Blake als
popfremdes Mittel verwendet, durch den der Song eine Dimension bekommt, die
nur mit sehr leistungsfähigen Lautsprechermembranen richtig nachvollzogen
werden kann. Dank Funktion-One-Anlage bekam man diese Tiefe aufs
Energischste zu spüren, was das Publikum mit befreitem Gekreische
quittierte.
Dankenswerterweise setzt Blake nicht auf konstante Lärmpegel, sondern
arbeitet, anders als viele Produzenten sonst, viel mit Dynamik. Dass seine
Stücke meistens dem Aufbau "leise beginnen, allmählich anschwellen, wieder
verklingen" folgen, störte keineswegs. Laut war es immer noch oft genug.
In seinen stilleren Momenten nähert sich Blakes Gesang dafür dem Gospel an,
wodurch sein leicht klagender Tonfall etwas moderiert wird. Auch die
mitunter an Nabelschau erinnernde Innerlichkeit seiner Texte erscheint
plötzlich in einem anderen Licht.
Man muss das nicht gleich spirituell nennen, mehr als Indie-Gejammer ist es
aber allemal. Ganz großer Jubel für ein großes Konzert.
17 Apr 2011
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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