# taz.de -- Italien gibt Migranten Papiere: Frankreich sperrt sich | |
> Italien lässt jetzt illegal eingewanderte Tunesier mit Sondervisa | |
> ausreisen. Die Papiere bekommt offenbar jeder. Paris verschärfte | |
> daraufhin die Kontrollen und stoppte einen Flüchtlingszug. | |
Bild: Migranten und italienische Aktivisten protestieren gegen Frankreichs Stop… | |
VENTIMIGLIA/ROM/PARIS dpa | Rom macht seine Drohung war: Die italienischen | |
Behörden begannen am Samstag damit, den ersten von Tausenden tunesischen | |
Migranten vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen zur Weiterreise nach | |
Frankreich auszustellen. Mindestens 20 Migranten passierten am Samstag in | |
Ventimiglia die Grenze zu Südfrankreich. Am Sonntagmorgen folgten weitere, | |
wie italienische Medien berichteten. Hunderte warteten noch in der Stadt | |
auf die Papiere und den ersehnten Übergang. | |
Frankreich reagiert mit verschärften Kontrollen und ordnete am Sonntag | |
sogar eine Unterbrechung der Bahnverbindung zwischen Ventimiglia und der | |
französischen Küstengemeinde Menton an. Erst zum Abend wurde die Strecke | |
wieder freigegeben. Mit den Tunesiern hätten auch Menschenrechtler im | |
Rahmen einer nicht angemeldeten Demonstration einreisen wollen, hieß es von | |
den Behörden. Es habe eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung bestanden. | |
Nach dem Schengen-Abkommen zum offenen Grenzübergang können die | |
umstrittenen Ausweise tatsächlich zum Übertritt berechtigen. Doch der | |
Großteil der EU hatte sich unter der Leitung von Deutschland und Frankreich | |
auf einem Sondergipfel in Luxemburg bereits vor einer Woche heftig gegen | |
das italienische Vorgehen ausgesprochen. Besonders zwischen Rom und Paris | |
ist die Frage zum Politikum geworden. | |
Die Kontrollen wurden in Frankreich bereits in den vergangenen Wochen und | |
Monaten verstärkt. Nach Angaben von Innenminister Claude Guéant wurden | |
allein zwischen dem 23. Februar und dem 28. März insgesamt 2800 Illegale | |
aus Tunesien bei Personenkontrollen erwischt. 1700 von ihnen wurden bereits | |
zurückgeführt, die meisten nach Italien. | |
Selbst mit den Papieren aus Italien dürften die meisten Tunesier keine | |
Chance auf eine legale Einreise haben. Sie müssen unter anderem nachweisen, | |
dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. 31 Euro pro Tag | |
und Person sind notwendig, wer keine Bleibe hat muss sogar 62 Euro pro Tag | |
und Person nachweisen. | |
## 31 Euro pro Tag | |
Seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali im | |
Januar kamen mehr als 23.000 Tunesier illegal nach Italien. Rom darf nach | |
einem vor knapp zwei Wochen geschlossenen Sonderabkommen mit Tunis | |
Migranten von dort zwar ab sofort wieder abschieben. Die zuvor angekommenen | |
müssen jedoch versorgt werden. Da die meisten Migranten ohnehin weiter nach | |
Frankreich wollten, hatte die italienische Regierung von Silvio Berlusconi | |
die Ausstellung von Sonderpapieren zur Weiterreise angeordnet. | |
Allein am Samstag hatten die Behörden in Ventimiglia an der Grenze zu | |
Frankreich rund 400 Anträge wartender Tunesier bearbeitet. 120 von ihnen | |
wurden laut Medienberichten mit Dokumenten ausgestattet. Viele der | |
wartenden Tunesier verbrachten auch die Nacht zum Sonntag erneut im | |
Aufnahmezentrum des kleinen Grenzorts, andere auf dem Bahnhof. Es wird | |
damit gerechnet, dass Italien ab sofort täglich rund 100 Dokumente | |
ausstellt. | |
Zum Zwist zwischen Frankreich und Italien schreibt die linksliberale | |
spanische Zeitung El País "Schengen-Abkommen adieu? Frankreich verweigert | |
arabischen Immigranten die Einreisen und verstößt damit eindeutig gegen das | |
Übereinkommen von Schengen. Dieser Schritt steht im Zusammenhang mit dem | |
rapiden Absturz von Staatspräsident Nicolas Sarkozy in der Wählergunst und | |
mit der Präsidentenwahl 2012. | |
Die EU befindet sich nicht in der besten Phase ihrer Geschichte. Dies | |
zeigte sich an ihrer kraftlosen Reaktion auf die Unruhen in der arabischen | |
Welt. Die Initiative zur Militärintervention in Libyen ging nicht von der | |
EU aus, sondern von Frankreich und Großbritannien. Wenn nun auch noch | |
Schengen hinfällig wird, muss man sich fragen, wozu die EU überhaupt noch | |
existiert." | |
18 Apr 2011 | |
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