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# taz.de -- Historikerin Meyer über jüdisches Bleiben: "Die Älteren wiegten …
> Beate Meyer von Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden
> hat einen Tagungsband mit herausgegeben, der sich mit jüdischem Bleiben
> und Fliehen zwischen 1938 und 1941 befasst.
Bild: Jüdische Auswanderer: Foto aus Gustav Schröders Buch "Heimatlos auf hoh…
taz: Frau Meyer, Ihr Buch zu Nazi-Deutschland zwischen 1938 und 1941 heißt
"Wer bleibt, opfert seine Jahre, vielleicht sein Leben". Gab es tatsächlich
Juden, die bleiben wollten?
Beate Meyer: Ja, vor allem Ältere. Etliche fühlten sich als Deutsche und
glaubten nicht, dass die Nazis es auf sie abgesehen haben könnten. Und
selbst nach dem November-Pogrom von 1938 dachten viele, ich bin ein alter
Mann, habe mich im Ersten Weltkrieg verdient gemacht und werde hier in Ruhe
mein Leben fristen können. Aber das war eben der Irrtum: Sie sind
ausnahmslos in die Deportationen einbezogen worden.
Warum nahmen die Jungen sie nicht mit ins Exil?
Teils, weil die Älteren krank waren. Andere trauten sich nicht mehr zu, in
der Fremde ein neues Leben zu beginnen.
Wer versorgte die zurück bleibenden Senioren?
Das war tatsächlich ein Problem, weil über 25 Prozent von ihnen von
Sozialfürsorge abhingen. Vom deutschen Fürsorgesystem hatten die Nazis sie
aber ausgeschlossen. Das übernahmen dann die jüdischen Gemeinden und die
"Reichsvereinigung der Juden in Deutschland".
Was war die "Reichsvereinigung"?
Eine ambivalente Organisation. Denn einerseits waren die Juden an solch
einer Vereinigung interessiert, damit sie helfen konnte. Andererseits
wollte der NS-Staat einen jüdischen Adressaten haben, der die antijüdischen
Maßnahmen der Nazis umsetzte. Deshalb haben sie 1939 die Reichsvereinigung
gegründet, in die alle jüdischen Stiftungen und Gemeinden eingegliedert
wurden. Es war eine Zwangsorganisation, die direkt der SS unterstellt war.
Wann begannen die Deportationen?
1939 und 1940 gab es erste Deportationen, die aber noch keine
systematischen waren. Aus dem heute polnischen Stettin und Schneidemühl,
aus Baden und der Pfalz wurden aber schon Tausende von Juden deportiert.
Wohin?
Einige nach Polen, weil die Nazis ein Judenreservat in Lublin erwogen.
Teils nach Frankreich, von wo aus die Juden nach Madagaskar gebracht werden
sollten. Als klar wurde, dass England nicht so schnell zu besiegen und der
Seeweg nach Madagaskar nicht frei war, saßen diese 500, 600 Juden dann in
französischen Lagern fest.
Half ihnen niemand?
Die "Reichsvereinigung" hat es versucht, durfte aber nicht.
Was taten die jüdischen Gemeinden der Nachbarländer für die deutschen
Juden?
Die jüdischen Gemeinden etwa in Belgien, den Niederlanden und Schweden
haben versucht, Solidarität zu üben. Oft wurden sie allerdings von ihren
eigenen Regierungen gebremst.
Und die internationalen jüdischen Organisationen?
Sie hielten sich zurück, weil sie fanden, dass die Unterstützung des Exodus
dem NS-Regime in die Hände spielte, das die Juden ausplündern und loswerden
wollte.
Dazu kam 1938 die Konferenz im französischen Evian-les-Bains, auf der die
Staatengemeinschaft sich nicht auf die Aufnahme von Juden einigte.
Ja, leider. Im Prinzip war Evian der Moment, von dem an die deutschen Juden
wussten, dass sie keine Unterstützung von außen bekamen; die
Einreisebestimmungen des Auslands werden mit zunehmenden Flüchtlingsströmen
eher rigider. Die wenigen Projekte, die man in Evian beschloss, kamen nicht
sehr vielen zugute. Die Dominikanische Republik etwa erlaubte gerade mal
600 Menschen, sich anzusiedeln.
Warum verweigerten so viele Länder ihre Hilfe?
Sie befürchteten antisemitische Wellen in der Bevölkerung. Aber sie
glaubten auch, auf Dauer Zigtausende von den Nazis ausgeplünderte, verarmte
Juden versorgen zu müssen. Schweden etwa hat Juden nur als
"Transitreisende" aufgenommen.
Wie lange waren die Nazis an Auswanderung statt Deportation interessiert?
Das Ende der Auswanderung war der 28. 10. 1941. Da begannen die
Massendeportationen, und Auswanderung wurde offiziell verboten. De facto
endete die individuelle Auswanderung aber mit Beginn des Zweiten
Weltkriegs. Denn von diesem Zeitpunkt an konnten nur noch wenige ausreisen
- und in immer exotischere Länder von Shanghai bis Südamerika. Die
jüdischen Organisationen wollten dann Gruppenauswanderungen organisieren,
scheiterten aber an den Kosten.
Gab es weitere Bemühungen?
Katholische Repräsentanten haben versucht, Kontakt mit dem Papst
aufzunehmen, damit er sich bei der US-Regierung dafür einsetzte, Alaska für
jüdische Besiedlung freizugeben. Eine Zeit lang gab es auch die - aus
britischer Sicht illegale - Einwanderung ins damalige Palästina. Das ging
während des Krieges aber nicht mehr, weil die Briten ihr Mandatsgebiet
abriegelten.
Wie bereitete man sich auf die Flucht nach Palästina oder Südamerika vor?
Man lernte Sprachen und machte Umschulungen. Denn die meisten deutschen
Juden waren kaufmännisch oder akademisch ausgebildet. In Palästina brauchte
man aber Landarbeiter und Handwerker. Die Einwanderungsländer sagten klar,
welche Berufsgruppen sie wollten. Das ließ sich aber auch umgehen.
Das gelang?
Manchmal. Als bekannt wurde, dass einige südamerikanische Länder nur
katholische Landwirte aufnahm, hat der Hamburger Leiter der jüdischen
Gemeinde 300.000 gefälschte Zertifikate gekauft, die die Leute als Bauern
auswiesen.
Niemand brauchte Akademiker?
Doch. Naturwissenschaftlich-technische Berufe waren schon gefragt - mit
Einschränkungen: Großbritannien hat eine Zeit lang nur
Krankenhausangestellte aufgenommen. Und die USA erkannten die deutschen
Arzt-Examina nicht an. Da musste man als Arzt froh sein, eine Stelle als
Krankenpfleger zu bekommen.
18 Apr 2011
## AUTOREN
Petra Schellen
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