Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aktivisten über Papstbesuch: "Wir ermuntern nicht zu Eierwürfen"
> Wenn der Papst im September nach Berlin kommt, werden nicht nur jubelnde
> Gläubige die Straßen säumen. Ein Bündnis aus Lesben und Schwulen,
> Kirchenkritikern und Atheisten bereitet Protestaktionen vor.
Bild: Im September landet er in Berlin - und es wird Protest geben.
taz: Am 1. April machte die Meldung die Runde, der Papst werde sich bei
seinem Berlinbesuch im September mit Lesben und Schwulen treffen. Herr
Steinert, haben Sie sich diesen Scherz ausgedacht?
Jörg Steinert: Sagen wir, die Idee wurde hier im LSVD spontan geboren. Der
Berliner Landesverband hatte so etwas noch nie gemacht. Aber wir dachten,
man muss ja Themen nicht immer nur todernst angehen.
In einigen Redaktionen wurde die Nachricht für bare Münze genommen. Ist das
nicht ein gutes Zeichen? Anscheinend ist so etwas heute nicht mehr gänzlich
unvorstellbar.
Anna Lena Schnaars: Als ich es gelesen habe, habe ich es nicht ernst
genommen, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit dem Thema
vertraut bin. Vorstellen kann ich mir schon, dass viele Menschen die
Botschaften der Kirche nicht mehr so ernst nehmen und davon ausgehen, dass
das kein Problem mehr sein sollte.
Steinert: Wir wissen, dass viele es ernst genommen haben, und klären
natürlich darüber auf, dass es nur ein Aprilscherz war. Aber dieser Scherz
beinhaltet eine ernste Komponente, nämlich die reale Missachtung, die der
Papst gegenüber Lesben und Schwulen an den Tag legt.
Sie sind Teil des Bündnisses "Der Papst kommt", das Protest zum
Benedikt-Besuch organisiert. Wie kam das zustande?
Steinert: Anfang des Jahres hat der LSVD zahlreiche Organisationen, die
sich mit selbstbestimmter Sexualität beschäftigen, zu einem Netzwerktreffen
eingeladen - sowohl lesbisch-schwule Organisationen als auch mehrheitlich
heterosexuell geprägte wie pro familia. Die Resonanz war groß. Bereits beim
ersten Treffen im Februar haben sich Vertreterinnen und Vertreter von über
20 Organisationen sehr leidenschaftlich an der Diskussion beteiligt. Der
Verleger Bruno Gmünder hat dem LSVD sogar eine größere Spende zukommen
lassen, damit es eine Koordinierungsstelle geben kann. Beim zweiten Treffen
im April haben wir eine Resolution beschlossen, die Arbeitsgrundlage für
unsere Bündnisaktivitäten ist. Das Bündnis wächst stetig weiter, im Mai
gibt es schon das dritte große Netzwerktreffen.
Wofür genau kritisieren Sie denn den Papst?
Schnaars: Vor allem für seine Geschlechter- und Sexualpolitik. Es geht um
das Verbot von Verhütungsmitteln und die Gefährdung gläubiger Menschen, die
damit einhergeht. Um das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Um alles,
was die sexuelle Selbstbestimmung einschränkt, was Menschen verbietet, zu
leben, wie sie möchten, und frei zu wählen, wen sie lieben. Besonderen Wert
legen wir auf das Thema Kondompolitik.
Steinert: Es geht um selbstbestimmte Sexualität, die Akzeptanz von
Homosexualität und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Aber auch
um die negative Haltung des Papstes zu demokratischen Gesellschaften. Der
Papst spricht da von einer "Diktatur des Relativismus". Das ist eine
demokratiefeindliche Einstellung, die uns erschreckt. Und wenn er vor dem
Bundestag als Staatsoberhaupt über seine Wertvorstellungen spricht, um die
eigenen Dogmen zur staatlichen Norm zu erheben, mischt er sich in die
Innenpolitik eines anderen Landes ein. Andere Staatsoberhäupter kämen gar
nicht auf die Idee.
Und was soll während des Papstbesuches passieren?
Steinert: Es gibt sehr viele Ideen. Einig waren wir uns ganz schnell
darüber, dass am Tag des Papstbesuchs in Berlin eine große Demonstration
stattfinden soll. Der Berliner CSD e. V. wird sie organisieren. Wobei wir
ja nicht gegen den Besuch an sich demonstrieren - wir nehmen den Besuch zum
Anlass, die Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes kritisch zu
beleuchten. Aber wir wissen auch, dass es nicht genügt, nur an diesem Tag
etwas zu machen. Wir wollen schon im Vorfeld inhaltlich arbeiten. Es wird
Lesungen geben, Vorträge, Aktionen. Das meiste findet nach der Sommerpause
statt. Der LSVD wird die Aktivitäten koordinieren, die einzelnen
Organisationen leisten ihren jeweiligen Beitrag. Jede wird für sich ihr
Pflänzchen gedeihen lassen. Wir lassen viele Blüten blühen, aber wir ziehen
zugleich alle am selben Strang.
Die Rede war von Kiss-ins.
Steinert: Es wird vielfältige Aktionen geben. Zum Teil sehr bunte, sehr
kreative, wie beim Karneval. Kiss-in-Aktionen haben in der
lesbisch-schwulen Community Tradition. Es ist ein ganz einfaches Bild mit
großer Ausstrahlung, das ausdrückt: Liebe verdient Respekt - was kannst du
dagegen haben?
Schnaars: Es kommt darauf an, zwei Seiten zu zeigen. Einmal, dass es um
Liebe geht und auch um Lust. Dafür eignen sich solche Aktionen. Andere
Gruppierungen werden die Anliegen mit einem anderen Ernst darstellen.
Wichtig ist beides.
Steinert: Genau, manche werden stärker mit Argumenten arbeiten, andere mit
plakativen Bildern. Gerade beim Religionsverständnis gibt es eine große
Vielfalt im Bündnis, von Atheisten und Laizisten bis hin zu gläubigen
Menschen. Das müssen wir unter einen Hut bringen. Platz ist im Bündnis für
alle.
Herr Beckmann, Ihr Verein "Homosexuelle und Kirche" (HuK) ist Teil des
Protestbündnisses. Gibt es für die religiöse Teilnehmer eine Grenzlinie,
die nicht überschritten werden soll?
Thomas Beckmann: So eine Linie würde es schon geben, aber sie zeichnet sich
bislang nicht ab. Ich denke, bei der Demonstration sind Situationen
vorstellbar, die ein religiöses Empfinden verletzen könnten. Als HuK werden
wir uns da eher zurückhalten.
Schnaars: Jede Organisation transportiert die Kritik so, wie es ihr
entspricht. Aber wir sind noch an keinen Punkt gekommen, wo man die
verschiedenen Positionen nicht mehr miteinander verbinden könnte.
Beim Berlinbesuch des letzten Papstes, Johannes Pauls II., flogen 1996
Farbeier auf das Papamobil. Schließen Sie aus, dass diesmal Ähnliches
passiert?
Steinert: Ausschließen kann man es nicht, aber wir werden dazu nicht
ermuntern. Wir wollen, dass der Protest friedlich bleibt, es geht auch ohne
Eierwürfe. Zu 1996 ist zu sagen: Das war eine relativ spontane Aktion,
nicht langfristig geplant oder strukturiert wie diesmal. Ein glücklicher
Umstand war damals, dass gleichzeitig mit dem Papstbesuch das
Lesbisch-Schwule Stadtfest stattfand und Menschen kurzfristig mobilisiert
werden konnten. Aber diesen Fehler wird die katholische Kirche so schnell
nicht wieder machen. Diesmal kommt der Papst an einem Wochentag, also wenn
die Leute arbeiten gehen und schwer für eine Demonstration zu mobilisieren
sind.
Mal grundsätzlich gefragt: Ist es nicht naiv, zu denken, man könne eine
katholische Kirche haben ohne Homophobie? Kann man aus Bibel oder
Kirchengeschichte eine tolerante Haltung zu nichtheterosexuellen
Lebensentwürfen ableiten?
Beckmann: Die evangelische Kirche macht es uns doch vor. Gerade unsere
Landeskirche hat eine klare Position der Akzeptanz ihrer homosexuellen
Mitglieder, die sich auch in den offiziellen Äußerungen abzeichnet. Bei den
Katholiken dagegen geht die Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre an der
Leitungsebene vorbei. Es gibt allerdings einzelne progressive Bistümer, die
das Gespräch suchen, und auch Gemeinden, in denen sich homosexuelle Paare
wohlfühlen.
Steinert: Im Vorfeld des diesjährigen CSD wird die evangelische Kirche in
Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg einen
Gottesdienst veranstalten. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Mitglied im
Bündnis gegen Homophobie. Sprich: Andere Religionsgemeinschaften mit den
gleichen Wurzeln öffnen sich dem Thema. Und offenbar sehen viele
Katholikinnen und Katholiken zwischen Glauben und Homosexualität auch
keinen Widerspruch. Der Regierender Bürgermeister ist auch beides, Katholik
und schwul. Das Problem besteht seitens der Amtskirche und des Papstes.
Der schwule katholische Theologe David Berger sagt, es gebe
überproportional viele schwule Priester in der katholischen Kirche. Auch
den Papst selbst hält er für homosexuell. Halten Sie das für
wahrscheinlich?
Beckmann: Es bringt nichts, sich darüber Gedanken zu machen. Aber dass es
überproportional viele schwule Priester gibt, hat ja Gründe. Wenn man aus
sehr konservativen Kreisen stammt und schwul ist, ist der Priesterberuf
eine der wenigen Möglichkeiten, einer heterosexuellen Beziehung zu
entgehen. Die richtige Motivation für diesen Beruf ist das natürlich nicht.
Steinert: Ich kenne die Äußerungen von Berger und anderen, die sich in der
Kirche gut auskennen. Aber wir als LSVD lehnen Zwangsouting ab. Wir würden
auch keinen schwulen Fußballprofi outen. Insofern äußern wir uns auch nicht
über die sexuelle Identität eines Papstes.
Teilen Sie die Auffassung, dass die aggressive homophobe Haltung der
katholischen Kirche auch darauf zurückzuführen ist, dass viele ihrer
leitenden Mitglieder die eigene Homosexualität verdrängen?
Steinert: Es gibt Studien, die genau das sagen. Wenn Menschen ein negatives
Verhältnis zur eigenen Identität und Sexualität haben, reagieren sie nicht
selten besonders ablehnend. Und die Themen Sexualität und Homosexualität
sind in der katholischen Kirche offenbar immer noch ein großes Tabu.
Wenn das Treffen mit Benedikt kein Aprilscherz wäre - was würden Sie ihm
sagen?
Steinert: Man sollte ihm konkrete Erfahrungen von Menschen erzählen.
Einzelschicksale machen emotional erfahrbar, was es heißt, Ablehnung zu
erleben.
Schnaars: Mir wäre wichtig, ihm klarzumachen, dass das, was er vermeintlich
für die Menschen tut, diesen Menschen nicht mehr entspricht. Die
Wertvorstellungen der Kirche waren vielleicht irgendwann einmal hilfreich,
aber heute sind sie in dieser Form nicht mehr gültig. Das sieht man ja
daran, wie viele gläubige Katholikinnen und Katholiken leben und denken.
Das entspricht den Vorstellungen des Papstes längst nicht mehr. In Ländern,
in denen Menschen noch abhängiger von der Kirche sind, hat das aber massive
Auswirkungen.
Beckmann: Für uns als HuK wäre es nicht das erste Gespräch. Mit Ratzinger
hat es seitens der HuK oder einzelner Mitglieder wiederholt Begegnungen
gegeben, als er noch Kardinal und Leiter der römischen Glaubenskongregation
war. Unsere Positionen sind ihm also vertraut. Was wir ihm sagen würden? Im
Fall der katholischen Kirche sind zwei Punkte für uns besonders ärgerlich.
Erstens: Sie akzeptiert keine offen lesbischen und schwulen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zweitens: Es gibt immer noch keine
liturgische Form der Segnung homosexueller Partnerschaften. Das ist
sicherlich nicht für jeden die ideale Form, aber es wäre ein Zeichen von
Akzeptanz und Liebe.
Wo würden Sie ein Treffen mit dem Papst anberaumen?
Steinert: Da sind wir ganz offen. Wir würden in eine katholische
Einrichtung gehen, er könnte zu pro familia oder zum LSVD kommen. Ich
glaube, an solchen Kleinigkeiten würde das nicht scheitern. Wir sind ein
kritisches, aber dialogbereites Bündnis.
Ein Tässchen Tee würde Benedikt bei Ihnen also schon bekommen?
Steinert: Natürlich.
Schnaars: Und einen Platz auf dem Sofa.
24 Apr 2011
## AUTOREN
Claudius Prösser
Marie-Claude Bianco
## ARTIKEL ZUM THEMA
Entscheid des Verwaltungsgerichts: Papstgegner müssen Abstand halten
Die Demonstration gegen den Papstbesuch am 22 September darf laut
Gerichtsentscheid nicht am Brandenburger Tor starten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.