# taz.de -- Umweltaktivist über Tschernobyl: "Politiker reden alles klein" | |
> In Siegfried Rumbaums Garten steht seit 25 Jahren eine Tafel mit | |
> Strahlenwerten. Der Aktivist ist überzeugt, dass die Berliner nach | |
> Tschernobyl über die tatsächliche Belastung belogen wurden. | |
Bild: "Ich konnte wenigstens meine Nachbarn warnen": Siegfried Rumbaum in seine… | |
taz: Herr Rumbaum, in Ihrem Garten in Britz steht seit 1986 eine | |
Informationstafel, auf der Sie über die Strahlenbelastung informieren, der | |
Berlin nach dem Unfall in Tschernobyl ausgesetzt war. Wie kam es dazu? | |
Siegfried Rumbaum: Ich war damals sehr verunsichert und hatte das Gefühl, | |
dass alles verharmlost wurde. Als ich im Juni 1986 in der Fachzeitschrift | |
"Sicher ist Sicher" einen Artikel zum Thema Arbeitsschutz und Tschernobyl | |
entdeckte, wurde ich hellhörig. Die Zeitschrift wird vom Senator für | |
Gesundheit und Soziales herausgegeben. In dem Artikel ging es hauptsächlich | |
um das Isotop Jod-131, das durch den Reaktorunfall vermehrt in der | |
Atmosphäre auftrat. Von offizieller Seite und auch in den Medien wurde | |
immer wiederholt, Jod-131 hätte eine Halbwertzeit von acht Tagen und dass | |
demzufolge die Strahlenbelastung innerhalb kurzer Zeit vorbei sei. In dem | |
Artikel wurde aber geraten, zum Beispiel Luftfilter nach dem Unfall | |
möglichst zwei Monate lang nicht auszuwechseln. | |
Was bedeutet das genau? | |
Das heißt, dass die Strahlendosis viel höher gewesen sein muss, als uns | |
gesagt wurde. In dem Artikel stand auch, dass sich Jod-131 zu 90 Prozent in | |
den Schilddrüsen von Menschen und Tieren ansammelt, und dass das zu | |
erheblichen Problemen auf dem Berliner Schlachthof geführt hat: Dort wurden | |
täglich 300 Tiere geschlachtet. Aufgrund der hohen radioaktiven Belastung | |
von 6.800.000 Becquerel/kg mussten die Schilddrüsen dieser Schlachttiere | |
entnommen werden. Wenn die Werte bei den Schlachttieren so hoch waren, | |
mußten sie doch bei der Bevölkerung ebenfalls extrem angestiegen sein. Wie | |
hoch aber die tatsächliche Belastung war, wie viel Becquerel auf uns | |
einwirkten, das erfuhr man nie. | |
Sie behaupten also, dass die Bevölkerung damals in falscher Sicherheit | |
gewiegt wurde? | |
Ich hatte den Verdacht und wollte es genauer wissen. Also hob ich unsere | |
Staubsaugerbeutel auf und brachte sie im September 1986 - fünf Monate nach | |
dem GAU - zur mobilen Strahlenmessstelle. Das Ergebnis für Jod-131 war etwa | |
5 Bq/kg. Über die Halbwertzeit zurückgerechnet heißt das, dass der Staub | |
aus unserer Wohnung ursprünglich eine Strahlenbelastung von 2.500.000 Bq/kg | |
enthielt. Der amtliche Grenzwert in Deutschland liegt allerdings bei 600 | |
Bq/kg. | |
Was machten Sie mit diesen Ergebnissen? | |
Ich stellte im November 1986 mit Hilfe einer Abgeordneten eine kleine | |
Anfrage im Abgeordnetenhaus zum Atomunfall und seinen Folgen für uns hier | |
in Deutschland. Besonders die Anreicherung von Radioaktivität im Menschen | |
und in seinen Organen machte mir Sorgen. Die Antwort des Senats enthielt | |
nur Beschwichtungen und Verweise darauf, dass viele Untersuchungen noch im | |
Gange seien. Zum Beispiel gab es damals in Berlin noch kein Krebsregister, | |
anhand dessen man eventuelle Steigerungen von Krebsraten hätte belegen | |
können. Es hat sogar noch bis 1994 gedauert, bis man ein solches Register | |
eingeführt hat. | |
Sie engagieren sich ja nicht erst seit 1986 für den Umweltschutz... | |
Nein, das ging schon viel früher los, als die Luftverschmutzung ein ganz | |
großes Problem war. Wir hatten auch in Berlin öfter "dicke Luft". Für mich | |
als Heizungsbauer war das natürlich schon durch meinen Beruf ein wichtiges | |
Thema. Gerade in den Wintermonaten kam es, auch durch die vielen | |
Ofenheizungen, immer wieder zu sehr hohen Schwefeldioxid-Konzentrationen in | |
der Luft. Bevor der Senat 1977 die erste Berliner Smogverordnung erließ, | |
gab es sogar Todesfälle aufgrund der starken Luftverschmutzung. In den | |
1980er Jahren gab es dann häufiger Smogalarm, in manchen Jahren mehrfach. | |
Ich habe mir damals alle Messwerte des sogenannten Luftgüte-Netzwerkes | |
besorgt, die waren zum Teil besorgniserregend. Wir vom Britzer Umweltforum | |
haben versucht, dafür mehr Öffentlichkeit zu schaffen. | |
Wird man von all dem Aktivismus nicht irgendwann müde? | |
Das Unglück von Tschernobyl war für mich ein entscheidender Einschnitt. | |
1987 kamen verschiedene Kinderärzte unabhängig voneinander zu der | |
Überzeugung, dass sich die Zahl der Kinder mit "Trisomie 21" verdoppelt | |
hat. Ein Kinderarzt aus München informierte gar das Bundesgesundheitsamt. | |
Als das an die Öffentlichkeit kam, haben alle laut aufgeschrieen, das könne | |
alles gar nicht stimmen. Ich fühlte mich persönlich betroffen, als meine | |
Enkeltochter 1987 mit einer Missbildung zur Welt kam, glücklicherweise | |
konnte sie operiert werden. Eine Schulkameradin von ihr starb 1997 mit zehn | |
Jahren an Leukämie. Vor wenigen Jahren ist dann auch noch mein Stiefsohn an | |
der Schilddrüse erkrankt. Er hat immer schon gern und reichlich Milch | |
getrunken. Nach dem Atomunfall wurde ja gerade auch vor dem Verzehr von | |
Milchprodukten gewarnt. Also versuchten wir, Sojamilch zu bekommen, die es | |
damals noch nicht überall zu kaufen gab. | |
Was hoffen Sie denn mit Ihrem Einsatz zu erreichen? | |
Klarheit! Damals wie heute wollen wir Auskünfte über die wirklichen Risiken | |
für uns und unsere Familien. Die Fragen von damals sind auch die von heute. | |
Aber die Politiker haben uns mit ihrer Rederei ganz besoffen gemacht. Die | |
reden alles klein und verharmlosen alle Risiken. Mit der Infotafel konnte | |
ich wenigstens meine Nachbarn warnen. | |
Und heute? Fast genau 25 Jahre nach Tschernobyl kam es in Fukushima wieder | |
zu einem verheerenden Atomunfall. Denken Sie, dass die Politik aus den | |
Fehlern gelernt hat? | |
Das bleibt nur zu hoffen. Immerhin hat die Bundesregierung jetzt den | |
Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Wie konsequent und schnell das | |
umgesetzt wird, bleibt aber abzuwarten. | |
25 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Marie-Claude Bianco | |
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