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# taz.de -- Au den Spuren des Stararchitekten Oscar Niemeyer: Die Kurven von Rio
> Der Stararchitekt Oscar Niemeyer gilt als Wegbereiter der klassischen
> Moderne. Wie dieser Weg verlief, kann in seiner Heimatstadt Rio de
> Janeiro nachvollzogen werden.
Bild: Oscar Niemeyers "Museum für zeitgenössische Kunst" in Rio de Janeiro.
RIO DE JANEIRO taz | Ist es ein Kreisel? Ein Ufo? Oder ein Opferkelch, der
sich zum Himmel öffnet? Es lässt sich vieles in das futuristische Museum
für zeitgenössische Kunst von Rio de Janeiro hineindeuten, das Oscar
Niemeyer 1996 im Alter von 89 Jahren gebaut hat.
Sein Schöpfer vergleicht es mit einem weißen Vogel. Flügel hat er keine.
Aber er schwebt: Mit ungeheurer Leichtigkeit erhebt sich die Betonschale
über Felsen und Wasser und strahlt mit ihrer weißen Hülle im azurblauen
Äther. Das Innere überrascht mit runden Räumen, geschwungenen Wänden und
Panoramafenstern, die nicht nur jede Menge Licht hereinholen, sondern auch
einen atemraubenden Blick auf die Millionenmetropole an der Guanabara-Bucht
bieten.
Neben Zuckerhut, Copacabana und Corcovado sollte das Museum auf dem
Programm jedes Rio-Besuchs stehen. Auch wenn es eigentlich in der
Nachbarstadt Niterói steht und man dazu die Fahrt auf einer dreizehn
Kilometer langen Brücke über die Guanabara-Bucht auf sich nehmen muss.
Noch besser, man überquert das Wasser mit dem Katamaran. Dann kommt man
direkt an der kreisrunden, weißen Schiffsstation Charitas an, die ebenfalls
von Oscar Niemeyers entworfen wurde und mit dem Aussichtsrestaurant Olimpo
ein wunderbarer Ort ist, um den Sonnenuntergang über dem Wasser zu erleben.
Vorher bietet sich ein Spaziergang über den Caminho Niemeyer, den
sogenannten Niemeyerweg an, der ein Stückchen weiter das Ufer säumt.
Auf einer ehemaligen Brache vereint er gleich mehrere Kulturbauten aus der
Hand des Architekten: ein Volkstheater, die Gedenkstätte Roberto Silveira,
eine Kirche und die Fundação Niemeyer.
Die Anlage ist eines der jüngsten Werke des Baumeisters - und nicht
unbedingt sein gelungenstes. Wenn die Sonne ungehindert auf den Caminho
niederknallt, macht er einen unwirtlichen Eindruck. Immerhin wird sich bald
ein weiteres spektakuläres Gebäude dazugesellen: Bis Ende dieses Jahres
entsteht der sechzig Meter hohe Torre Niemeyer, mit Touristeninformation
und Panorama-Restaurant.
Auch er wird unverkennbar die Handschrift des Pritzker-Preisträgers tragen.
Markenzeichen sind der Stahlbeton und das fast aseptische Weiß der
Fassaden. Und vor allem die runden Formen.
"Was mich anzieht, sind die freien, sinnlichen Kurven", wird er nicht müde
zu beteuern. "Die finde ich in den Bergen meines Landes, im verschlungenen
Verlauf seiner Flüsse, in den Wellen des Meeres, bei den Wolken im Himmel
und am Körper der geliebten Frau."
Die Kurven sind Niemeyers Beitrag zur eher rationalistisch geprägten
Avantgardearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts, weshalb er als
Wegbereiter der Moderne gilt.
Wie sein eigener Weg verlief, kann man am besten in Rio de Janeiro
verfolgen. Wenn die meisten Niemeyer mit der Hauptstadt Brasilia in
Verbindung bringen, die er unter dem Stadtplaner Lúcio Costa mit
gestaltete, dann reicht dies nicht aus, um ihn zu beurteilen.
In Rio dagegen, wo er 1907 als Sohn deutschstämmiger Einwanderer geboren
wurde, wo er an der Escola de Belas Artes studierte und auch heute, nachdem
er mit 99 Jahren seine Sekretärin Vera Lucia heiratete, lebt, zeigt sich
die Vielfalt seiner Baukunst in den unterschiedlichsten Werken.
Da ist zum Beispiel das Edifício Capanema im quirligen Centro, benannt nach
dem früheren Erziehungsminister Gustavo Capanema, der das Hochhaus zwischen
1937 und 1945 errichten ließ.
Auch wenn hier ein ganzes Team von Architekten unter der Regie von Lúcio
Costa und Le Corbusier am Werk war und Oscar Niemeyer eher die Rolle des
Praktikanten zufiel, lassen sich viele Elemente ausmachen, die bei seinen
späteren Gebäuden wieder auftauchen.
"Charakteristisch ist vor allem die Brise-Soleil-Technik der Fassade",
erklärt Gionia Belmonte, die als Fremdenführerin in Rio de Janeiro arbeitet
und sich auch mit Niemeyer auskennt."Sie sieht aus wie eine Jalousie und
lässt das Tageslicht herein, ohne dabei zu blenden."
Doch nicht nur deshalb wurde das Gebäude zu einer Ikone der brasilianischen
Moderne. Mit seinen vierzehn Stockwerken ruht es auf relativ schlanken
Säulen und zeichnet sich trotz seiner Monumentalität durch Leichtigkeit und
Eleganz aus.
Zudem versprühen blau-weiße Kachelmosaiken von Candido Portinari im offenen
Eingangsbereich und der von Burle Marx begrünte Dachgarten mediterrane
Heiterkeit.
Ganz unauffällig wirkt dagegen die Obra do Berço, eine Kinderkrippe im
Lagoa-Viertel, die Niemeyers erstes eigenständiges Werk war. Erst bei
näherem Hinsehen zeigt sich die Originalität des Entwurfs.
"Hier hat er die Brise-Soleil-Technik wieder aufgegriffen", meint Gionia,
"aber statt in horizontaler dieses Mal in vertikaler Form." Sie erzählt,
dass die Arbeiter den Auftrag während Niemeyers Abwesenheit zunächst falsch
ausgeführt hätten.
Als der Architekt zurückkam, bezahlte er die baulichen Veränderungen aus
der eigenen Tasche, obwohl er für seine Pläne gar kein Honorar in Rechnung
gestellt hatte.
Anders dürfte es sich beim Firmensitz des Banco Boavista im Stadtzentrum
verhalten haben. Zwischen 1946 und 1948 entstanden, weist es wieder die
jalousieartigen Glasfassaden und schlanken Säulen auf, dazu gewellte,
kurvige Wände.
Es hat so gar nichts gemein mit dem 1984 fertiggestellten
Monumentalgebäude, das Jahr für Jahr Zigtausende Menschen durchlaufen, ja
sogar besitzen - ohne wahrscheinlich zu ahnen, dass es sich um eine
Schöpfung Niemeyers handelt: das Sambódromo, das Schauplatz der
Karnevalsparaden ist.
Bei seinen Dimensionen von fast einem Kilometer Länge - so lang sind die
Umzüge - ist es schwierig, elegant zu sein. So empfängt den Besucher eine
geballte Ladung Beton, die man höchstens als funktional bezeichnen kann.
Wobei gerade dies von Kritikern in Abrede gestellt wird, die die Qualität
der Bauausführung bemängeln. Wie auch immer, lange möchte man hier nicht
verweilen.
Stattdessen empfiehlt sich unbedingt ein Abstecher in den Stadtteil São
Conrado, wo ein wahres Kleinod auf Besucher wartet: die Casa das Canoas,
Niemeyers zwischen 1951 und 1953 entstandenes Privathaus, in dem er etwa
zehn Jahre mit seiner Familie wohnte und das heute öffentlich zugänglich
ist.
Es ist eins seiner persönlichsten Werke. "Mir ging es darum, dieses
Wohnhaus mit völliger Freiheit zu bauen und dabei an das Gelände
anzupassen", erinnerte sich Niemeyer später.
Mitten im tropischen, gebirgigen Wald empfängt einen zunächst lebhaftes
Vogelgezwitscher. Dann hebt sich vom dichten Grün ein weißes,
nierentischförmiges Flachdach ab, das über einer gläsernen, kurvigen
Fassade schwebt. Behutsam schmiegt sich das Haus mit dem asymmetrischen
Pool und allerlei Skulpturen in die Landschaft.
Auch in den Innenräumen ist die Natur in Form eines Felsens präsent,
daneben stehen hier selbstentworfene Möbel des Architekten. Die Casa de
Canoas ist eine friedliche Oase in der lärmigen Metropole. Ein idealer Ort,
um zu verweilen und sich vielleicht auch über den Architekten Gedanken zu
machen, dessen Geburtstag sich am 15. Dezember zum 103. Mal jährte.
Vieles lässt sich kritisieren. Dass seine Gebäude oftmals selbstverliebten
Skulpturen gleichen, die wenig funktional sind. Dass Niemeyer es als Ästhet
nicht versteht, ökologisch und nachhaltig zu bauen.
Dass der Kommunist fern der Realität mit überkommenen Ideen kokettiert, die
er gar nicht umzusetzen versteht. Aber wie sagte der Dichter Ferreira
Gullar über ihn: "Es reicht nicht, die sozialen Probleme der Menschen zu
lösen, sie brauchen Schönheit. Oscar macht das Leben schöner."
Mag sein, dass sich auch das Pathos seiner großen architektonischen Gesten
überlebt hat. Doch nichts scheint sich besser als Symbol für die
Aufbruchstimmung des jungen lateinamerikanischen Landes zu eignen, das
optimistischer als alle seine Nachbarstaaten in die Zukunft blickt.
26 Apr 2011
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Reiseland Brasilien
Architektur
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