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# taz.de -- Die Geschichte der Bremer Hochschule für Künste: "Aus dem Urgrund"
> Die Bremer Hochschule für Künste entdeckt ihre Vorgeschichte: Sie wurde
> 1934 mit dem Auftrag gegründet, "die blaue Blume eines neuen nordischen
> Stils zu finden". Für mindestens einen ihrer Studenten endete dieser
> Versuch tödlich.
Bild: Die "Nordische Kunsthochschule" wollte aus dem "Urgrund deutsch-nordische…
BREMEN taz | Versunken sitzen zwei junge Frauen über einem riesigen
Wandteppich. Die eine webt mit dickem Faden eine Hakenkreuzfahne ein, die
andere arbeitet konzentriert an einer schier endlosen Reihe von Soldaten.
Ihren Kommilitonen Kurt Elvers werden die beiden vermutlich gekannt haben -
allzu groß war die Nordische Kunsthochschule in Bremen, in der das Foto von
der Fertigung des propagandistisch hochwertigen Wandteppichs entstand, mit
knapp 100 Studierenden nicht.
Umso ambitionierter war ihr Anspruch - "die blaue Blume eines neuen
nordischen Stils" zu finden. Weil Kurt Elvers im Februar 1945 in Hamburg
erschossen wurde, rückt jetzt auch die Geschichte der Kunsthochschule
langsam in den Fokus.
Bis vor Kurzem kümmerte sich niemand um diese Einrichtung, immerhin eine
direkte Vorgänger-Institution der heutigen Bremer Hochschule für Künste
(HfK). "Konzerne wie die Deutsche Bank oder Daimler Benz haben sich längst
mit ihrer braunen Vergangenheit auseinandergesetzt", sagt Manfred Cordes,
der derzeitige HfK-Rektor. "Nur die sonst so kritischen Künstler zogen es
erstaunlicherweise vor, diese Frage 65 Jahre lang komplett zu ignorieren."
Dass der Rektor diesen Zustand nun entschlossen ändern will, ist Hans Hesse
zu verdanken: Der Kölner Historiker promovierte über
Entnazifizierungsverfahren in Bremen, deckte hanebüchene Fälle auf wie den
einer Biologie-Lehrerin, die noch Jahrzehnte nach dem Krieg völlig
unbehelligt an einem Bremer Gymnasium unterrichtete, obwohl sie in
Auschwitz Experimente an Häftlings-Augen ausführen ließ - und stieß vor
einiger Zeit auf die Akten jenes Kurt Elvers.
Der Student wurde in Hamburg-Höltigbaum hingerichtet, weil er nach dem
Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 gesagt haben soll: "Schade, dass es nicht
geklappt hat." Ein Kommilitone von der Nordischen Kunsthochschule
denunzierte ihn, ohne nach dem Krieg dafür wirksam zur Rechenschaft gezogen
zu werden.
Hesse ließ diese Geschichte nicht los. Nach mehreren Anläufen fand er
Elvers Grab in Hamburg-Ohlsdorf, das wegen Ablauf der Ruhezeit kurz vor
seiner Einebnung steht - und er begann sich zu fragen, was es mit der
Institution Nordische Kunsthochschule (NKH) insgesamt auf sich hatte. Er
recherchierte und stieß bei Cordes, dem derzeitigen Rektor der HfK, auf
offene Ohren. Denn: Über beide Vorgänger-Institutionen der HfK, Nordische
Kunsthochschule und Nordische Musikschule, sagt Cordes, "existiert
keinerlei wissenschaftliche Literatur".
Dabei scheint die Nordische Kunsthochschule so etwas wie ein
"Modellprojekt" gewesen zu sein - jedenfalls in den Augen ihrer
Protagonisten. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst wird hier der
nordische Gedanke bewusst und ausgesprochen zum Leitgedanken einer
Kunsthochschule gemacht", erklärte Bildungssenator Richard von Hoff bei der
Eröffnung 1934 - nachzulesen unter anderem in der von von Hoff selbst
herausgegebenen Monatsschrift Rasse.
Zwar wolle die neue Institution "ihren Schwestern im Reich nicht das
Daseinsrecht streitig machen". Aber im Gegensatz zu den traditionellen
Ausbildungsstätten, die an "ihre Überlieferung gebunden" seien, könne die
neue Institution "aus dem Urgrund deutsch-nordischen Volkstums" schöpfen
und einen "rassisch beseelten" neuen Kunstbegriff schaffen.
In der Tat stellt die NKH die einzige Neugründung einer Kunsthochschule in
der NS-Zeit dar. Allerdings darf nach bisherigem Kenntnisstand bezweifelt
werden, dass von Hoffs Auftrag, für "die Auflebung des gotischen Geistes in
der deutschen Kunst" zu sorgen, in Bremen allzu produktiv umgesetzt wurde:
Die Professoren scheinen einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitskraft
in wechselseitige Denunziationen investiert zu haben.
Das hing auch mit ihrer unterschiedlichen Patronage zusammen: Während sich
Eduard Scotland, der auch beim Bau der berühmten Bremer Böttcherstraße eine
große Rolle spielte, als "Gauarchitekt" abgesichert hatte, nutzte der
Grafiker Ottomar Anton seine Verbindungen nach Berlin, wo er als
künstlerischer Berater des SS-Hauptamtes firmierte.
Bildhauer Ernst Gorsemann wiederum rühmte sich der direkten Freundschaft
mit dem Gauleiter und Direktor Carl Horn war in zweiter Ehe mit der
Schwiegermutter von Rudolf Hess verheiratet, dem "Stellvertreter des
Führers". Selbst solche Weitläufigkeiten konnten im "Dritten Reich" eine
erhebliche Rolle spielen.
Als Horn wegen eines "wehrkraftzersetzenden" Witzes vom Leiter der
Malerei-Abteilung denunziert wurde, kostete ihn das jedenfalls "nur" den
Direktorenposten - nach immerhin fast acht Jahren im Amt. Den
Gründungsrektor der Hochschule, den berühmten Worpsweder Maler Fritz
Mackensen, hatte man schon nach sieben Monaten wieder zurück ins
Teufelsmoor geschickt.
Horn revanchierte sich im Übrigen mit der Beschuldigung, Gorsemann sei
Freimaurer. Einer von Horns Studenten, der diesem gegenüber den Hitler-Gruß
verweigert hatte, musste sieben Jahre ins KZ.
Wie viel Kunst - und welche - wurde unter diesen Umständen tatsächlich
produziert? Diese Frage muss noch untersucht werden. Beim Durchblättern der
seinerzeitigen Senatsprotokolle kann man zwar feststellen, dass die NKH
dort relativ regelmäßig auftaucht - sie lieferte Entwürfe für das geplante
FJ-Heim in Bremen-Farge oder wurde beauftragt, Vorschläge für "ein
künstlerisch besonders wertvolles Geschenk" der Stadt zu Hitlers 50.
Geburtstag zu unterbreiten. Wie allerdings der schulische Alltag aussah und
ob eine wie auch immer geartete spezifische Ästhetik entwickelt wurde, ist
unklar.
Immerhin existiert im Bremer Staatsarchiv eine kleine Charge mit Fotos aus
den Ateliers der NKH. Man sieht einen halbnackten alten Mann, dem Anschein
nach ein Landarbeiter, der von Studentinnen mit Porträtblocks in der Hand
umringt wird.
In der Architektur-Abteilung ist zu beobachten, wie sich Studenten beim
Entwurf eines groß angelegten "Oberneuländer Erbhofes" austoben. Andere
begutachten gegenseitig ihre gepunzten Werkstücke aus Kupfer, die so
aussehen, wie man sich ein germanisches Tisch-Service vorstellt. Aber auch
freizügige Aktmalerei und durchaus moderne Mode ist zu sehen: elegante,
figurbetonte Kostüme, stolz präsentiert von ihren Designerinnen.
Kurt Elvers studierte Malerei. Die wenigen bekannten dort produzierte Werke
zeigen musizierende HJ-Scharen und bäuerliche Gesichter, vieles ist in
einem naivem Realismus ausgeführt. Von beispielsweise futuristischen
Ansätzen, wie sie etwa Teile der Kunstproduktion des italienischen
Faschismus kennzeichen, ist nichts zu erkennen.
Auch ein nazistisch infizierter norddeutscher Expressionismus scheint es
nicht bis in die NKH geschafft zu haben - jedenfalls nicht in dessen
offizielle Außendarstellung. Auf einem der Fotos kann man Rudolf Hess
ausmachen, der in der Grafik-Abteilung gerade eine Staffelei mit
wuchtig-gotisierenden Lettern inspiziert.
Wie der Bremer "Modellversuch" reichsweit rezipiert wurde, ist dennoch nur
in Ansätzen zu ahnen - offenbar nicht allzu positiv. Der "Führer"
jedenfalls soll sich gegen die zunächst geplante Benennung in "Nordische
Kunsthochschule Adolf Hitler" verwahrt haben.
Die historische Verbindung zwischen NKH und der heutigen HfK ist nicht von
der Hand zu weisen: 1946 wurde der Lehrbetrieb im selben Gebäude wieder
aufgenommen. Willy Menz, der erste Nachkriegs-Direktor, hatte auch dem
Lehrkörper der Vorgängerinstitution angehört. Selbst das 1970 wieder
eingeführte "hoch" im Schulnamen, die akademischen Weihen also, erbte die
HfK sozusagen von der "Nordischen Kunsthochschule" - vor dieser hatte in
Bremen lediglich eine Kunstgewerbeschule existiert.
Auch der heutige Fächerkanon der HfK, unter anderem mit den Studiengängen
Bildhauerei, Malerei und Mode, findet sich bereits im "Dritten Reich" -
freilich ergänzt um das Fach "nationalpolitische Erziehung". Wer sich
früher nach der NKH erkundigte, wurde mit Verweis auf eine vermeintlich
spärliche Quellenlage abgespeist. Doch allein im Bremer Staatsarchiv
existieren fast 400 thematisch relevante Aktenpositionen.
"Nach dem Krieg sprachen wir zwar von der Nordischen Kunsthochschule", sagt
Hermann Jacobs, der ab 1946 in Bremen Kunst studierte. "Aber eigentlich
wollten wir nur weg von der schlimmen Vergangenheit und uns mit
internationaler Kunst beschäftigen." Zur Beschäftigung mit der eigenen
Geschichte bedurfte es "des Anstoßes von Außen", gibt Rektor Cordes
unumwunden mit Verweis auf Hans Hesse zu, den er kürzlich zu einem kleinen
Symposium einlud.
Bei der bald zusammen mit weiteren Institutionen wie dem Worpsweder
Museumsverbund in Angriff genommenen Aufarbeitung der Geschichte könnten
auch Zeitzeugen befragt werden - vereinzelte KommilitonInnen der Weberinnen
des Propaganda-Teppichs sollen noch leben.
Hans Hesse: Bis zur Narbe. Eine Erzählung, 2011 herausgegeben von der
Hochschule für Künste
28 Apr 2011
## AUTOREN
Henning Bleyl
Henning Bleyl
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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