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# taz.de -- Regierung in Afghanistan: Hochzeit mit Scharia
> Kurze Kleider, tiefe Ausschnitte sollen bei Hochzeiten in Afghanistan
> bald passé sein. Auch teure Feiern mit gemischten Gesellschaften will die
> Regierung verhindern.
Bild: Bitte nicht zu wild: Afghanische Hochzeit.
KABUL taz | Die ausgestellten Hochzeitskleider in den Geschäften um den
Shar-e-Naw-Park im Zentrum Kabuls offenbaren viel: Mit gewagten Schnitten
zeigen sie den Passanten Dekolleté, nackte Arme und Schultern der
Schaufensterpuppen. Trotz konservativer Kleiderordnung und islamischer
Tradition werden solche Festroben in allen Farben und üppigen Verzierungen
aus Strass und Glitzer jeden Abend von afghanischen Bräuten getragen.
Doch damit soll bald Schluss sein. Denn die Regierung will, dass es bei
Hochzeitsfeiern wieder züchtig zugeht. Aufseher sollen sicherstellen, dass
Frauen sittsam gekleidet feiern und die Geschlechter sich bei der Party
nicht mischen, sondern streng getrennt bleiben. Auch die Kosten der
Hochzeitsfeiern sollen drastisch beschränkt werden.
Nach dem vom Justizministerium geplanten Gesetz soll "Bekleidung, die gegen
das islamische Gesetz (Scharia)" verstößt, verboten werden. Auch Händlern,
die Kleider anbieten, die "halb nackt, nackt, transparent oder eng
anliegend sind, sodass sie Teile der weiblichen Körpers preisgeben", droht
eine Geldstrafe und gegebenenfalls sogar die Schließung ihres Geschäfts.
"In einer Demokratie ist es nicht möglich, den Leuten vorzuschreiben, was
sie anziehen sollen", sagt Noor Mohamed Zabun, der Manager der Mumtaz Mahal
Weddding Hall an einer belebten Straße in Kabuls Wazir-Abad-Viertel. Er
richtet pro Woche fünf Hochzeiten aus. Dabei sei es ganz unterschiedlich,
erzählt er. Manche Frauen bedeckten sich und trügen ein Kopftuch, andere
hätten nur wenig an - "mit nackten Schultern und Beinen". Noor glaubt, dass
die Regierung die neuen Vorschriften erlassen will, um Sympathien zu
gewinnen. Afghanistan sei ja ein islamisches Land, sagt er. Präsident
Karsai wolle sich so bei den Taliban einschmeicheln. Doch Noor bezweifelt,
dass diese Strategie aufgehen wird.
## Nicht mehr als 350 Gäste
Mehr als die Kleidervorschrift ärgert Noor aber die geplante
Kostenbeschränkung. Hochzeitspaare sollen künftig nicht mehr als 350 Gäste
einladen und nicht mehr als 250 Afghani (3,70 Euro) pro Person ausgeben.
"Das ist nicht möglich", schimpft Noor. Die Idee, Hochzeiten billiger zu
machen, findet er nicht schlecht. Doch erst müsse die Regierung die Kosten
für "Benzin und Lebensmittel wieder auf ein normales Niveau" bringen.
Nebenan in der City Star Wedding Hall sieht man das ähnlich: Rund 70
Hochzeiten pro Monat finden in dem blau verspiegelten Glaspalast mit
künstlichem Wasserfall und endlosen Lichterketten statt. Gespart wird
selten: Eine afghanische Hochzeitsfeier kann Zehntausende US-Dollar
verschlingen. In die Festsäle der City Star Wedding Hall passen bis zu
2.000 Gäste. Manager Zabibullah ist mit drei Mobiltelefonen und einem
Walkie-Talkie unterwegs, er hat gerade zwei Hochzeiten gleichzeitig. "Die
Regierung hat uns gesagt, dass wir nur noch Feiern mit bis zu 350 Gästen
abhalten sollen. Aber das ist nicht möglich. Reiche Leute wollen 1.500 bis
2.000 Leute einladen", weiß der 21-Jährige. Schon seine eigene Hochzeit
habe ihn 8.000 US-Dollar gekostet.
Auch die geplante Beschränkung, wonach nur noch 3,70 Euro pro Gast
ausgegeben werden darf, findet Zabibullah unfair. "Die Leute wollen gutes
Essen serviert bekommen. Doch wenn wir mit den Preisen runtergehen, müssen
wir Abstriche machen. Die Leute werden das nicht mögen." Die Regierung habe
das getan, weil es so viele Arme gebe, die sich eine Hochzeit nicht leisten
könnten. Doch es gebe auch Leute, die das Geld hätten.
## Die Festsäle sind über Monate ausgebucht
Unter den Taliban waren opulente Hochzeitsfeiern verboten. Es gab weder
Musik noch Tanz, und Frauen und Männer mussten streng getrennt feiern. In
den wenigen Feiersälen, die nicht zerstört waren, wurden Trauerfeiern
abgehalten. Nach dem Sturz des Regimes schossen neue, protzige
Hochzeitshallen in Afghanistans Städten wie Pilze aus dem Boden. Mit Namen
wie Sham-e-Paris (Abend in Paris) oder Thames Wedding Hall verbreiten sie
pseudowestliche Lebensart. Das Geschäft läuft gut. Viele Festsäle sind über
Monate ausgebucht.
Mustafa Fazul Marefi vom Geschäft Kastria Ruz (Schloss der Braut) in Kabuls
Innenstadt, bangt nicht um Kunden. Wer hier ein Kleid für einen Abend
ausleiht, muss mindestens 100 Dollar bezahlen. Die meisten Bräute, so sagt
er, würden im Schnitt 300 Dollar für ihre geliehene Festgarderobe ausgeben.
Die teuren Kleider, die aus der Türkei kommen, sind fast alle ärmellos und
tief ausgeschnitten.
Mustafa ist kritisch, was den Plan der Regierung für züchtige Roben angeht.
"Es ist nicht möglich, dieses Gesetz in die Praxis umzusetzen", sagt der
27-Jährige. Doch der Kleidergeschmack sei in den letzten Jahren
konservativer geworden. Vor ein paar Jahren noch seien die Menschen
westlichen Vorbildern gefolgt, erzählt er. "Manche Bräute haben sogar kurze
Kleider und Röcken getragen." Doch davon gebe es jetzt nicht mehr viele.
29 Apr 2011
## AUTOREN
Agnes Tandler
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