# taz.de -- Geschichte: Beschwörung vergangener Pracht | |
> Der Kurfürstendamm feiert 125. Geburtstag. Zum Jubiläum wird in | |
> Ausstellungen tief in die Nostalgiekiste gegriffen und sich der Gegenwart | |
> verweigert. | |
Bild: Berlins Wohnzimmer wird 125 Jahre alt: der Kurfürstendamm. | |
Als gäbe es nicht schon genug Niedergang, hat erneut ein prominenter | |
Anwohner seine langjährige Adresse am Kurfürstendamm gekündigt. Berlins | |
Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist in eine Seitenstraße des | |
berühmten Boulevards im Westen umgezogen. Zu viel Rummel um seine Person | |
sollen für die Flucht verantwortlich gewesen sein. | |
Zum 125. Geburtstag des Kurfürstendamm, heute am 5. Mai, und dem Start | |
gleich mehrerer Ausstellungen, werden allerdings nicht die Zentrifugal- | |
sondern die Anziehungskräfte des "Berliner Wahrzeichens" bemüht. "Der | |
Ku'damm ist ein Lebensgefühl, eine Faszination, ein Mythos und er setzt | |
positive Signale für eine starke Zukunft der City West", meinte zur | |
Eröffnung der Schauen ausgerechnet Wowereit, der gerade das Weite gesucht | |
hat. | |
Zum Beweis führte der Regierende die neuen Baustellen an: Das Hochhaus | |
Zoofenster ist im Rohbau fertig, die Sanierungen des Bikinihauses und des | |
Haus Cumberland starten, der Architekt David Chipperfield entwirft das neue | |
Ku'damm-Karree. Zudem gibt es laut Wowereit klare Indizien, dass sich neben | |
der Tauentzienstraße samt KaDeWe auch der Kurfürstendamm wieder zur ersten | |
Berliner Shoppingmall für Luxus- und Massenpublikum gemausert hat. | |
Richtig ist, nach den Krisen der 70er Jahre und dem Run auf die City Ost | |
liegt der Kurfürstendamm im Ranking der internationalen Einkaufsmeilen | |
wieder ganz weit vorn. Es wird Umsatz gemachtauf den drei Kilometern | |
zwischen der Gedächtniskirche und Halensee. Zwischen Uhland- und | |
Leibnizstraße ist im Winter die Pelzmanteldichte hoch, im Sommer dominieren | |
übergroße Dior-Sonnenbrillen. | |
Richtig ist aber auch, dass der alte Westen von vielen urbanen "Voids", | |
also räumlichen und sozialen Leerstellen, perforiert bleibt. Der | |
wirtschaftliche Niedergang jenseits des Adenauerplatzes, die bröckelnden | |
50er-Jahre-Fassaden, vom Abriss bedrohte Theater- und Kinosäle, teure | |
Autosalons gegenüber den so genannten "Ramschecken", piefige Nachtklubs | |
oder Etagenhotels sind Konstanten im Ku'damm-Image seit dem Mauerfall | |
geblieben. | |
Kritiker des stilisierten Booms zum 125. Geburtstag wie der Stadtsoziologe | |
Hartmut Häussermann oder die grüne Stadtplanerin Franziska Eichstädt-Bohlig | |
analysieren deshalb den aktuellen Zustand der früheren Prachtstraße als | |
äußerst fragil. Das Neue an der traditionsreichen Geschäfts- und | |
Touristenmeile sei "kaum mehr als der Konsum", sagt Häusermann. Damit die | |
City West wieder zu einer Art Berliner Stadtzentrum werden könne, müsste | |
die "urbane Qualität" gesteigert werden: mit Kultur, Gastronomie, Wohnen, | |
Arbeitsplätzen und metropolitaner Lebendigkeit. | |
Die beiden großen Ausstellungen zum Jubiläum - die "Schaustelle" am | |
Breitscheidplatz und die Vitrinenausstellung "Der Kurfürstendamm. 125 | |
Jahre, 125 Geschichten" in den berühmten 30er-Jahre-Straßenmöbeln entlang | |
des Boulevards - hätten genug Raum geboten, diese spannenden Ambivalenzen | |
und Fliehkräfte vor Ort zu thematisieren. Warum die Macher, die Kuratoren | |
Sven Kuhrau, Christian Pabst sowie die Kulturprojekte Berlin GmbH, einer | |
aktuellen und kritischen Würdigung des Ku'damms aus dem Wege gingen und | |
warum sie die Vitrinen etwa nicht von Künstlern gestalten ließen, kann man | |
nur ahnen: Zum 125. Jubiläum will man sich seinen alten Ku'dammglanz nicht | |
entzaubern lassen und der Gegenwart ausweichen. Was schade ist, hätten doch | |
provozierende Fragen und Formen neue Antworten zu den Perspektiven des | |
Ku'damms geben können. | |
So bleibt es - neben der Schaustelle, wo die Neubauten vorgestellt werden - | |
in den 125 Vitrinen bei nostalgischen Blicken auf die jüngere | |
Vergangenheit. Es scheint gewollt, dass einen angesichts der | |
Schwarzweissfotos, die vor den jeweiligen Gebäuden präsentiert werden und | |
die von ihren Bewohnern oder historischen Ereignissen berichten, einmal | |
mehr der Ohrwurm "Heimweh nach dem Kurfürstendamm" der Knef drangsaliert. | |
Nicht genau genommen haben es die Kuratoren auch mit der Geburtsurkunde des | |
Ku'damms. Geht seine Geschichte doch bis ins Jahr 1542 zurück, als der | |
durch sumpfiges Gelände führende Damm zum Jagdschloss Grunewald | |
fertiggestellt wurde. 1685 entstand ein Reitweg. 1883 wurde der | |
"Churfürstendamm" nach einer Bismarckschen Kabinettsorder als | |
Großstadtboulevard auf 54 Meter verbreitert. | |
Am 5. Mai 1886 fuhr dort die erste dampfbetriebene Straßenbahn, die die | |
Stadtentwicklung im neuen Westen enorm beförderte. Vor allem in den | |
"Goldenen Zwanzigern" der Weimarer Republik entwickelte sich der Ku'damm | |
zur Kultur- und Amüsiermeile. Er war Treffpunkt der Intellektuellen und | |
Künstler, während die konservative Gesellschaft Unter den Linden verblieb. | |
Ab 1933 liquidierten die Nazis diesen Ruf, die jüdischen Geschäfte und | |
Etablissements wurden zerstört, ihre Besitzer in die KZ deportiert. Nach | |
dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag ein Großteil des Boulevards in | |
Trümmern, als "Schaufenster des Westens" wurde die Achse ab 1950 wieder | |
aufgebaut. | |
Mit der Idee, von den rund 150 gläsernen Vitrinen 125 in Geschichtsräume zu | |
verwandeln, die zugleich ihre Funktion als Schaukasten thematisieren, haben | |
die Kuratoren zumindest ein gutes Konzept aufgelegt. Auf der Straße und | |
nicht im Museum, nicht chronologisch, sondern assoziativ, punktuell und als | |
Sammelsurium wird hier die Geschichte des Kurfürstendamm erzählt. Es sind | |
Geschichten, die man kennt: die vom Abschlepp-Laden "Big Eden" (Vitrine | |
Nummer 067) oder die von der Adresse Kurfürstendamm 140: Vor dem damaligen | |
SDS-Büro wurde das Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 verübt (85). | |
Es finden sich auch Geschichten, die man weniger gut kennt: etwa die von | |
den Kutscheras, den jüdischen Besitzern des "Haus Wien", die 1943 nach | |
Theresienstadt deportiert wurden (20), oder die von den "Näherinnen vom | |
Ku'damm", die im Atelier in der Nr. 218 die Nachkriegsmoden nähten (96). | |
"Lasst den Kuchen und die Sahne, nehmt euch eine rote Fahne", skandierten | |
1968 Studenten vor dem Kranzler-Eck (070). Zum 125. müssen es Kuchen und | |
Sahne sein, aber etwas mehr Aufregung wäre auch nicht schlecht gewesen. | |
4 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
## TAGS | |
Ku'damm | |
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