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# taz.de -- Geburtshilfe in Schleswig-Holstein: Aufstieg der Light-Hebammen
> Weil ihre Löhne sinken, geben viele Hebammen in Schleswig-Holstein ihre
> Arbeit auf. Private Schwangerschaftsbegleiterinnen können die Lücke nicht
> schließen. Ein Bericht aus dem Geburtshaus in Kiel.
Bild: Noch kommt die echte Hebamme: Astrid Volkerts beim Hausbesuch.
KIEL taz | Noch sieht ein Arbeitstag von Astrid Volkerts so aus, dass sie
mit ausgestreckten Beinen auf einem dicken Teppichboden sitzt. An den Füßen
blaue Stricksocken, in beiden Händen eine Kaffeetasse, lehnt sie an einem
weiß lackierten Regal.
"Deine Jungs werden heute von Caro abgeholt?", fragt sie Natalie. Die hat
sich auf den Couchtisch gesetzt, um ihre Schultern hin und her zu wiegen.
"Ja, die sind Eis essen." Natalie braucht Ruhe. Mit beiden Armen hält sie,
gestützt auf ihren weichen Bauch, ihre Tochter. Die ist sechs Tage alt.
Volkerts kennt Natalie seit deren erster Schwangerschaft vor über fünf
Jahren. Seitdem ist sie ihre Hebamme. Mit ihren Kolleginnen aus dem Kieler
Geburtshaus hat sie Natalie bei allen drei Kindern begleitet: "Von der
ersten Morgenübelkeit bis zur Wochenbettbetreuung", sagt Volkerts.
Die Frauen gehen ins Nebenzimmer. Natalie, mit hohem Zopf und einem
silbernen Ring im rechten Nasenflügel, legt den Säugling auf den
Wickeltisch. Volkerts grinst ihm ins rot schimmernde Gesicht. "Was glaubst
du, wann der abfällt, der Nabel?", fragt Natalie. Volkerts hat ein weißes
Tuch aus einer Packung gezogen: "Zwei, drei Tage braucht der noch", sagt
sie. Sie tupft den kleinen Bauch ab, dann stellt sie die Packung ins Regal.
Dorthin, wo auch das Schwarz-Weiß-Bild steht: Neben Natalies rundem Bauch
lächeln zwei kleine Jungen.
"Alles läuft", sagt Natalie. Volkerts nickt. Sie sieht das. Seit 18 Jahren
arbeitet Volkerts als Geburtshelferin, heute ist sie 40. Im Sommer gibt sie
ihren Beruf auf. Denn das Geld, das übrig bleibt, wenn sie ihre
Haftpflichtversicherung bezahlt hat, reicht ihr nicht mehr.
Am Donnerstag sind Hebammen in vielen deutschen Städten auf die Straße
gegangen, in Schleswig-Holstein haben sie diese Woche gestreikt. Seit 2007
sind die Versicherungsbeiträge der frei Arbeitenden unter ihnen rasant
gestiegen - um rund 2.500 Euro auf mittlerweile 3.689 Euro im Jahr. Denn
falls ihnen bei der Geburt Fehler unterlaufen, müssen sie privat haften.
Für ein Kind, das durch ihre Unaufmerksamkeit eine Behinderung davon trägt,
zahlen sie sein Leben lang: Vom Schmerzensgeld über ein großes Auto für die
Eltern bis zu Rentenbeiträgen. Die wenigen Versicherungen, die überhaupt
noch für diese Millionensummen einstehen würden, tun das zu immer höheren
Prämien.
In Kliniken angestellte Hebammen sind finanziell gesichert, aber sie
arbeiten mit Frauen, die sie nicht kennen, und sind oft bei zwei Geburten
gleichzeitig. Natalies Tochter dagegen wurde von zwei Hebammen im
geräumigen Badezimmer des Kieler Geburtshauses auf die Welt gebracht,
nachts, bei Kerzenschein, in der Wanne. Im dämmrigen Licht konnte Natalie
ihre Hände in das breite Leinentuch krallen, das nun in einem großen Knoten
von der Decke hängt.
"Wenn die greifen, öffnet sich das Becken", sagt Volkerts. Mit einer
Hebammenschülerin steht sie in dem taghellen Bad, die schweren, roten
Vorhänge sind zurückgezogen. Sie tritt hinter die junge Frau, nimmt ihre
Hände und biegt ihre Unterarme nach vorne. Die beugt die Knie: "So?"
Sie lese in der Gesichtsfarbe der Frauen, sagt Volkerts. Mit dem
Zeigefinger fährt sie über ihre Oberlippe: "Das weiße Munddreieck. Wenn das
kommt, wollen die meistens sterben." Wenn der Schmerz kommt, ändern sich
die Wehen. "Hebammenweisheiten erfährt man hier", sagt die Schülerin.
Später am Abend wird Volkerts werdenden Müttern noch einen
Geburtsvorbereitungskurs geben - eine Etage höher, in einem
sonnendurchfluteten Saal, in dem große Kissen auf warmem Korkboden liegen.
Im Flur daneben haben die Geburtshaus-Hebammen Bilderrahmen mit bunten
Tortendiagrammen aufgehängt: Wenig Kaiserschnitte, viele Wassergeburten.
"Die Sicherheit der Umgebung", sagt Volkerts, sei wichtig in einem
"Zustand, in dem die Frauen ganz außer sich kommen". Sie bräuchten dann
vertraute Menschen an ihrer Seite.
Doch psychologischen Beistand bieten auch andere an. Seit einigen Jahren
wächst die Zahl der so genannten "Doulas", "Dienerinnen der Frau". Sie
unterstützen Schwangere, halten Händchen bei der Geburt. Ausgebildet werden
sie in Seminaren, die drei Wochenenden dauern. Einzige Voraussetzung: sie
müssen selber Mütter sein.
500 Euro kosten die Dienste einer Doula pro Schwangerschaft. Etwa hundert
Doulas gebe es inzwischen in Deutschland, sagt Kristina Wierzba-Bloedorn
vom Deutschen Doula-Verein. In manchen ländlichen Regionen gebe es gar
keine freien Hebammen mehr. Eine Doula sei dann die einzige, die zu der
Schwangeren komme.
In Schleswig-Holstein haben seit der letzten Haftpflichterhöhung im Juli
vergangenen Jahres 43 Hebammen aufgehört, freie Geburtshilfe zu leisten,
sagt die Landesvorsitzende des Hebammenverbandes, Magret Salzmann. Der
Stundenlohn einer deutschen Hebamme liege zurzeit bei rund 7,50 Euro, hat
der Verband errechnet. Salzmann sagt, bei ihrem eigenen Verdienst sei sie
auf 4,16 Euro gekommen.
Astrid Volkerts Geburtshaus berechnet den Frauen, die betreut werden
möchten, eine zusätzliche Rufbereitschaftspauschale bis zu 350 Euro. Die
meisten Krankenkassen übernehmen die nicht. Seit etwa zehn Jahren nimmt
Volkerts diese Summe. Andere Hebammen berechneten mehr, sagt sie.
Auf einem gelben Plakat im Flur haben Volkerts und ihre Kolleginnen mit
Filzstift Listen aufgeschrieben, für jeden Monat eine. Auch der Name von
Natalies kleiner Tochter reiht sich dort ein: Telsa. Volkerts wirft einen
Blick darauf: "Die Leute lachen immer, dass es so wenig Kevins und Chantals
gibt", sagt sie: "Das ist nicht unsere Klientel."
Doula Wierzba-Bloedorn sieht ihre Arbeit nicht als Konkurrenz, sondern als
Zusatzangebot: Über die Hälfte ihrer Kundinnen betreue sie parallel zu
einer freien Hebamme, sagt sie. "Aber mir haben auch viele Hebammen gesagt,
dass sie ein bisschen eifersüchtig sind."
5 May 2011
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
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