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# taz.de -- ROT-GRÜN-BILANZ (5): Die Kulturpolitik: Ackern und Rackern
> Mit viel Fleiß und Verlässlichkeit hat Carmen Emigholz das Kulturressort
> in Ordnung gebracht. Visionen hingegen waren eher Mangelware.
Bild: Kultur-Staatsrätin Carmen Emigholz (SPD)
Das Feld der Kulturpolitik gehört zur Habenseite der rot-grünen
Landesregierung. Dass sich die Strategie der Anbindung des Ressorts an den
Senatspräsidenten bewährt, zeigen bereits die Eckdaten des Kulturhaushalts:
2007 umfasste er 75,5 Millionen Euro, jetzt 82,5. Die Steigerung liegt zwar
an der "Heimholung" der früher bei Wirtschaft ressortierenden Kulturmittel
sowie an der Ausweisung von Investitionen. Doch der rein konsumptive
Bereich ist im Vergleich zu 2007 immerhin stabil - angesichts erodierender
Haushalte keine Selbstverständlichkeit.
Inhaltlich ging es unter der operativen Leitung der Kulturpolitik durch
Staatsrätin Carmen Emigholz (SPD) weniger um Visionen als um
Konsolidierung. Emigholz kann sich auf die Fahnen schreiben, etliche
Endlosprojekte zum Abschluss gebracht zu haben: Dazu zählen zuvorderst die
Reorganisation der Kulturbehörde, die die Vorgänger-Administration
schlichtweg abgebrochen hatte, aber auch zahlreiche "Nebenschauplätze" wie
die Odyssee-hafte Suche der Landesarchäologie nach einer schimmelfreien
Bleibe. Über 40 Standorte waren im Lauf der Zeit geprüft worden. Dass die
Ansiedlung des Kinos 46 im "City" nun beschlossene Sache ist - "virtuell"
wanderte es ebenfalls durch die halbe Stadt - ist ein weiterer Zieleinlauf,
der immense Planungsenergien absorbierte.
Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Mittelkürzungen um 200.000 Euro vom
Kino tatsächlich verkraftet werden. Definitiv auf der Strecke blieb das
Packhaustheater: Nachdem die Stadt ihre Unterstützung auslaufen ließ und
diverse private Initiativen scheiterten, blieb für die Angestellten nur die
Kündigung. Ein frustrierendes Ende einer 30-jährigen Theatergeschichte im
Schnoor. Die noch länger zurück liegende Abnabelung des Kulturressorts vom
Waldautheater bringt es mit sich, dass man dessen aktuelle Insolvenz - die
dritte in Folge - behördlicherseits aus der Zuschauerperspektive betrachten
kann. Ähnliches gilt für die Planungspannen des Kunstvereins, wo von der
verpassten Pächterkündigung vor dem Umbau über Bauverzögerungen und
Kostensteigerung bis zur Schwarzarbeit einiges zusammen kommt.
Für die Weserburg, die sich noch immer in den Wirren etwaiger
Umzugsabsichten befindet, gilt der Hinweis auf die privatrechtliche
Verfasstheit der Trägerstiftung nur eingeschränkt: Bremen steht hier mit in
der Verantwortung - was auch für die haushalterischen Defizite der
Weserburg gilt. Dass sich das Haus durch Bilderverkäufe aus seiner
Finanzkrise befreien muss, bleibt ein heikler kulturpolitischer Akt.
Im Vergleich zur vorherigen Amtsleitung, von der die rote Ressortspitze
sehr viel Aufgeschobenes erbte, ist der Fortschritt nichtsdestoweniger
enorm: Die Shakespeare Company wird saniert, die Breminale gesichert, die
beiden großen Orchester haben endlich Planungssicherheit. Geht man die im
Koalitionsvertrag festgelegten kulturpolitischen Vorhaben durch, kann man
viele Haken machen: Die kulturpädagogischen Ausgaben sind seit 2007
gestiegen. Projektmittel, vor allem für die freie Szene von existentieller
Bedeutung, werden jetzt von einer Fachjury vergeben. Das Kulturticket
bedurfte eines zweiten Anlaufs, ist nun aber vom unattraktiven
Restkarten-Modell auf ein barrierearmes Buchungssystem umgestellt. Die
Bremerhavener allerdings haben Pech: "Ihre" beiden Spiegelstriche im
Koalitionsvertrag, Nordseemuseum und Umgestaltung des Schifffahrtsmuseums,
sind noch im Planungs- beziehungsweise Kistenstadium.
Auffällig ist die Dichte an Personalentscheidungen, die in dieser
Legislatur getroffen werden mussten: Für Volkshochschule, Marcks-Haus,
Goetheplatz und einige andere hat das Ressort gute Leute gefunden, mit
Martin Röder nicht zuletzt für sich selbst. Die Chancen des vom
Theaterbetriebsrat initiierten Interim-Kollektivs hätte es allerdings
früher erkennen und offensiver verkaufen können.
Die größte Bewährungsprobe des Ressorts stellte ohnehin die Theaterkrise
dar. Bitter bleibt die Erkenntnis, dass trotz immer engmaschigerer
Controlling-Vorgaben die Verluste bei "Marie-Antoinette" - aber auch im
Normalbetrieb - nicht verhindert werden konnten. Selbst die private
Ausfallbürgschaft, auf die das Ressort bei der Genehmigung des Musicals
verwies, war ihr Papier nicht wert: Sie hätte nur "bei ordnungsgemäßer
Geschäftsführung" des Projekts gegriffen. Von so viel Bodenlosigkeit wurde
das Ressort in gewisser Weise überrollt.
Böhrnsen, der nach dem Höhepunkt der Theaterkrise den Vorsitz des
Theateraufsichtsrats abgab, beschränkte sich als Kultursenator weitgehend
auf Symbolpolitik. Das konnte er, weil er ein funktionierendes Ressort
unter sich wusste. Andererseits verzichtete Böhrnsen darauf, sich für ein
symbolträchtiges Thema wie dem Restitutions-Fonds für Kunstwerke aus
ehemals jüdischem Besitz stark zu machen und dafür um Mittel zu werben. Es
bleibt bemerkenswert, dass jedwede Kostensteigerung beim Kunsthallen-Anbau
klaglos von privater Seite ausgeglichen wird - aber kein Geld für den
Kunstraub-Fonds fließt.
Völlig offen ist, wer dem Kulturressort in der kommenden Legislatur als
parlamentarischer Sparringpartner gegenüber steht, um die eingeschlafenen
kulturpolitischen Diskussionen wieder in Schwung zu bringen. Der Intendant
des insolventen Waldau, Thomas Blaeschke, der sein Heil als "B+B"-Kandidat
sucht? Oder Blaeschkes grüner Theater-Antipode Carsten Werner, der damit
freilich einen recht abrupten Wechsel vom Kulturakteur zum
Zuwendungsentscheider hinlegen würde? Wer beerbt den christdemokratischen
Bankdirektor und Hobby-Pianisten Carl Kau, der der Kulturdeputation den
Rücken kehren will? Man muss auf gute Leute hoffen - denn nach der
erfolgten Konsolidierung tut eine Visionsphase samt Streitkultur Not.
16 May 2011
## AUTOREN
Henning Bleyl
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