# taz.de -- Skype-Doku über Tsunami in Japan: Leben und Tod am 11. März | |
> In der Dokumentation "My Tsunami – die Katastrophe via Skype" erzählen | |
> Überlebende vor ihrer Webcam, wie sie das Unglück in Japan erlebt haben. | |
Bild: Vermutlich die erste Dokumentation per Skype: Szene aus "My Tsunami". | |
BERLIN taz | Als der Tsunami auf die japanische Küste trifft, hat der | |
Matrose Paul Lee Foong gerade Landgang. Er hört noch wie sein Erster | |
Offizier „Rennt!“ schreit, dann stürzt Foong los. Sein Ziel ist das Dach | |
eines einstöckigen Bürogebäudes, aber Foong erreicht es nicht. Stattdessen | |
rettet er sich auf den Kasten einer Klimaanlage. Zu dritt stehen sie eng | |
umschlungen über Stunden darauf und hoffen, dass der Kasten der Strömung | |
standhält. Er tut es nicht. | |
Foong erzählt seine Geschichte mit ruhigem Gesichtsausdruck. Er spricht in | |
die Webcam seines Computers, das Bild ist ein bisschen verpixelt. Foong | |
benutzt für sein Statement die Videotelefonie-Software Skype, wie alle | |
Protagonisten in der Dokumentation „My Tsunami – Die Katastrophe via Skype�… | |
von Stephan Lamby. Es ist vermutlich die erste Dokumentation dieser Art | |
überhaupt. | |
„My Tsunami“ beschreibt die Lage in einem Land, wo fast ständig die Erde | |
bebt, so heftig, dass die Welt für Flutwelle inzwischen das japanische Wort | |
„Tsunami“ benutzt. Ein Land, im dem bereits in der Schule für den | |
Katastrophen-Ernstfall geprobt wird. Trotzdem war niemand in Japan auf den | |
11. März 2011 vorbereitet, als erst ein Erdbeben mit der Stärke 9,0 und | |
dann ein Tsunami das Land verwüsteten. | |
Hyun-Woo Cho vom Goethe-Institut in Tokio erzählt, wie er am nächsten Tag | |
den Fernseher einschaltete. Es lief kein normales Programm mehr, alle | |
Sender zeigten die Bilder der Verwüstung. Der Tsunami hatte alles | |
weggespült: Etagen, Dächer, Autos und Schiffe. Riesige Kreuzer lagen auf | |
die Seite gekippt mitten in den Städten. Es sind unglaubliche Bilder, aber | |
nichts gegen das, was sich kurz nach 15.30 Uhr ereignet: Im Atomkraftwerk | |
von Fukushima explodiert das erste Reaktorgebäude. Und die Menschen in | |
Japan fragen sich: Was sind die Folgen? | |
Der Student Jun Hirayama erzählt dazu: „Tepco hat berichtet, was passiert | |
ist, aber sie sagten nicht, was sie dagegen tun würden.“ Hirayamas Ahnung | |
hat sich bewahrheitet: Niemand in seinem Land weiß, wie die aktuelle Lage | |
zu bewältigen ist. Es geht die Angst um in Japan. Und das nicht nur, weil | |
die Supermärkte leer gekauft sind. Die Menschen aus „My Tsunami“ haben sich | |
vorher nie Gedanken um die Gefahren der Atomkraft gemacht, doch jetzt sind | |
sie extrem verunsichert. Die Hightech-Nation Japan muss sich eingestehen, | |
dass man auch neuester Technik nie ganz vertrauen kann – ebenso wenig wie | |
den Angaben des Staates. | |
Die Regierung hatte den Japanern zum Schutz gegen Radioaktivität geraten | |
nicht zu lüften, benutzte Klamotten in Plastiktüten zu packen, kein | |
Leitungswasser zu trinken und gleich zu duschen, wenn man nach Hause kommt. | |
„Doch was soll das alles bringen, wenn Tokio wirklich verstrahlt ist?“, | |
fragt die Übersetzerin Lille Martin. | |
## "Alle sind wie Freunde hier" | |
Die Kritik an der Regierung in „My Tsunami“ ist leise und besonnen. Keiner | |
der Betroffenen wird laut, die Vorwürfe sind überschaubar. Eine der | |
Überlebenden sagt: „Bereits als Kind wurde uns beigebracht, dass man andere | |
nicht verärgern sollte.“ Nur für die geflüchteten Ausländer hat niemand | |
Verständnis. „Bye-Jins“ - also Bye-Bye-Fremde werden sie genannt. Die | |
Japaner sind dagegen in der Stunde der Katastrophe noch enger | |
zusammengerückt. „Alle sind wie Freunde hier“, heißt es im Film. | |
„My Tsunami – die Katastrophe via Skype“ ist eine berührende Dokumentati… | |
die ganz ohne Pathos oder Anklagen auskommt. Mit Hilfe von Amateuraufnahmen | |
und den Skype-Gesprächen wird die persönliche Perspektive der Japaner | |
gezeigt, die es sonst kaum in die Nachrichten schafft. Die Betroffenen | |
sprechen offen über ihre Ängste, haben letztlich aber ihren Optimismus | |
nicht verloren. Im Film fällt das japanische Sprichtwort „Shô ga nai“, was | |
so viel bedeutet wie: „Da kann man nichts machen. Das Leben geht weiter.“ | |
Selbst für den Matrosen Paul Lee Foong, der von der Klimaanlage ins Wasser | |
gefallen war. Die Strömung hatte ihn gegen ein Bürofenster gedrückt. Er | |
selbst sagt: „Noch dreißig Sekunden länger und das Wasser hätte mein linkes | |
Bein abgerissen.“ Doch dann wird der Tsunami auf einmal schwächer und Foong | |
kann sich endlich auf das Dach des Bürogebäudes retten. So viel Glück | |
hatten aber längst nicht alle. Später in der Dokumentation sieht man ein | |
Auto, das durch die Fluten treibt. Das Licht ist an, vermutlich sind | |
Menschen darin. Dann überschlägt es sich auf einmal und versinkt in den | |
Fluten. Über Leben und Tod entschied eben letztlich nur der Zufall, an | |
diesem 11. März in Japan. | |
"My Tsunami – die Katastrophe via Skype", Dienstag, 17. Mai 2011, 21 Uhr | |
ZDFinfokanal | |
17 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Robert Iwanetz | |
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