# taz.de -- Oppositioneller will Saudi-Arabien verklagen: Ein unerschütterlich… | |
> Sein Traum ist, Saudi-Arabien vor einem internationalen Gericht zu | |
> verklagen. Aber darauf muss Professor Mohammed al-Qahtani wohl noch ein | |
> paar Jahre warten. | |
Bild: Hat noch gut lachen: Der saudische König Abdullah. | |
RIAD taz | In der Woche vor dem geplanten "Tag der Wut" war er sich noch | |
sicher: "Die Menge wird riesig sein." Am Tag unmittelbar davor nicht mehr | |
so sehr: "Entweder die Leute kommen in Massen, oder es kommt keiner." Und | |
am Tag nach dem 11. März wusste er schon, woran es gelegen hat: "Bei so | |
einem Polizeiaufgebot kann natürlich niemand demonstrieren." | |
Der Menschenrechtler und Demokratieaktivist Mohammed al-Qahtani, 44, lässt | |
sich nicht beirren. Im Königreich der Frommen mit seinen rund 25 Millionen | |
Gläubigen ist er der Einzige, der sich so etwas wie eine westliche | |
Demokratie vorstellen kann. | |
Oder zumindest ist er der Einzige, der sich öffentlich dazu bekennt. Dem | |
Aufruf, nach ägyptischem Vorbild an einem "Tag der Wut" auf die Straße zu | |
gehen, folgte keiner, und die Wählerregistrierung für die Lokalwahlen im | |
September könnte kaum schleppender laufen. In Maathar und Malas, Viertel | |
der Hauptstadt Riad mit ein paar hunderttausend Einwohnern, kamen 210 | |
beziehungsweise 283 interessierte Wähler. | |
Ist Qahtani unerschütterlicher Optimist? "Na klar, das muss ich ja", sagt | |
er ohne nachzudenken und erzählt dann gleich, wie ihn am Morgen eine Frau | |
angerufen hat, deren Bruder kürzlich festgenommen wurde. Will sagen: Wir | |
werden immer mehr! | |
Als Qahtani im November 2009 zusammen mit 46 anderen einen offenen Brief an | |
den König schrieb, brachte so etwas noch Gefängnis ein. Oder Schlimmeres. | |
Das saudische Königshaus führt das Land wie ein großes Unternehmen, und | |
dieser Brief, das Gründungsmanifest der Saudischen Vereinigung für | |
politische und zivile Rechte (ACPRA), war so etwas wie eine offene | |
Kriegserklärung. Freie Wahlen müssten ab- und Menschenrechte eingehalten | |
werden, hieß es darin. Und sogar der Grundpfeiler des Regimes, die strikte | |
wahhabitische Auslegung des Islams, wurde darin kritisiert. | |
## Brief sickerte durch | |
Als Berichte über die Vorbereitung des Briefs an den saudischen | |
Geheimdienst durchsickerten, fing der an, Leute um Qahtani herum zu | |
verhören. Die ACPRA-Gründer entschieden, den Brief schnell am nächsten Tag | |
zu veröffentlichen, solange sie noch konnten, und Qahtani sprach mit seiner | |
Frau und seinen Kindern, um sich von ihnen zu verabschieden - aber nichts | |
passierte. | |
Sicher, Qahtani wurde seitdem zweimal vom saudischen Geheimdienst | |
einbestellt. Und natürlich wird sein Telefon abgehört. Der Geheimdienst hat | |
ihm seine SMS-Nachrichten unter die Nase gehalten. "Natürlich könnte ich | |
mir auch ein paar andere Telefone besorgen, aber das würde die vom | |
Geheimdienst nur nervös machen. Und Leute, die nervös sind, sind | |
gefährlich." Im Grunde aber hat das Königshaus ACPRA und seinen | |
Vorsitzenden Qahtani bisher gewähren lassen. | |
Das hat mit den Besonderheiten der saudischen Königsfamilie zu tun. Qahtani | |
glaubt, dass es der König selbst ist, der seine schützende Hand über ACPRA | |
hält. König Abdullah, der seit 2005 regiert, hat einige zumeist symbolische | |
Reformen eingeführt. Und Qahtani ist Professor für Wirtschaft an der Schule | |
des Außenministeriums, die junge Diplomaten ausbildet. Der Außenminister | |
Prinz Saud gilt als ein weiterer prominenter Reformer innerhalb der | |
Königsfamilie. Den beiden gegenüber allerdings stehen ihre konservativen | |
Halbbrüder, allen voran der seit mehr als 35 Jahren amtierende | |
Innenminister Prinz Naif, der als Wortführer der Hardliner gilt. | |
ACPRAs wichtigstes Projekt ist es, etwas gegen die willkürlichen Festnahmen | |
der saudischen Sicherheitskräfte zu tun. Die Menschenrechtler haben | |
herausgefunden, dass sie bei den saudischen Beschwerdekammern das | |
Innenministerium verklagen können, das für die Sicherheitskräfte zuständig | |
ist. | |
## Sechs Monate ohne Anlage | |
Die Sicherheitskräfte haben das Recht, Verdächtige sechs Monate lang ohne | |
Anklage festzuhalten. In den meisten europäischen Ländern sind es 48 | |
Stunden. Aber bevor Saudi-Arabien im Jahr 2005 in die | |
Welthandelsorganisation aufgenommen wurde, hat es sich auf diese für das | |
Land vergleichsweise liberale Regelung eingelassen. | |
In ACPRAs wichtigstem Fall, dem seit Februar 2007 ohne ordentliches | |
Verfahren inhaftierten ehemaligen Richter Suleiman al-Reischudi, hat ACPRA | |
das Innenministerium so weit gebracht, dass es keinen Vertreter mehr zur | |
Beschwerdekammer geschickt hat. In der Nacht vor der Verkündung des Urteils | |
hat dann das Innenministerium allerdings die Kammer für nicht zuständig | |
erklärt und das Verfahren an ein Gericht delegiert, das angeblich in dem | |
Gefängnis, in dem al-Reischudi untergebracht ist, tagen wird. | |
Aber ACPRA hat Berufung gegen die Entscheidung eingelegt und wird weiter | |
versuchen, ihn freizubekommen. | |
Dass das Innenministerium niemanden mehr zu den Verhandlungen schickte, hat | |
Qahtani als Erfolg empfunden. Denn das schien ACPRA freie Bahn zu geben. | |
Wenn die verklagte Behörde nämlich zweimal keinen Vertreter entsendet, muss | |
die Beschwerdekammer ein Urteil sprechen. Da ist das Verfahrensrecht | |
eindeutig. | |
## Geheimpolizei misshandelt den Sohn | |
Also ist ACPRA wieder angetreten. Diesmal im Fall von Thamer al-Kathar, dem | |
Sohn des Rechtsprofessors und ACPRA-Mitglieds Abdulkarim al-Kathar. Er war | |
erst 18, als er im Frühjahr 2010 verhaftet wurde. Sein Vater glaubt, er | |
wurde verhaftet, um an ihn, den Vater, heranzukommen. Der Geheimdienst | |
durchsuchte das Haus und nahm die Computer des Vaters mit. Beim Verhör | |
wurde der Kopf des Sohnes ein paar Mal auf den Tisch geknallt, sagt sein | |
Vater. Er verlor sein Gehör für ein paar Monate und wurde die ersten | |
dreieinhalb Monate in Einzelhaft gehalten. | |
Ende März trafen sich Qahtani und Professor Kathar bei der | |
Beschwerdekammer, einem glitzernden Hochhaus in der Riader Innenstadt. | |
Außer den beiden ist auch noch Abdulrahman al-Dossari, ein ehemaliger | |
Kriminalpolizist, gekommen. Er war 22 Monate in Haft, weil er ein paarmal | |
einen Rundfunksender in London angerufen hat, um sich über das Königreich | |
zu beschweren. | |
Dossari ist hier, um seine Akte zu finden, damit er eine Entschädigung vom | |
Innenministerium einklagen kann. Seine gerichtlich angeordnete Strafe war | |
verbüßt, aber er blieb vier Monate länger in Haft. | |
Nach zwei Stunden Warten ruft die Kammer Qahtani und Professor Kathar in | |
den Gerichtssaal. Der sieht aus wie in Büro: Drei Schreibtische, | |
Aktenschränke in der Ecke, ein Konferenztisch, an dem die zwei Platz | |
nehmen. | |
Der Angestellte entschuldigt sich. Das Gericht habe einen Fehler gemacht. | |
Zwar sei eine Einladung an das Innenministerium ergangen, aber leider mit | |
dem falschen Datum. Deshalb habe der Geheimdienst niemanden zur Verhandlung | |
geschickt. Er setzt einen neuen Termin in drei Wochen an. | |
## Sonderrechte für Innenministerium | |
Drei Wochen später. Diesmal müssen Qahtani und der Professor nur eine | |
Dreiviertelstunde warten. Als sie reinkommen, sagt ihnen der | |
Gerichtsangestellte, der Geheimdienst sei wieder nicht aufgetaucht. Darauf | |
hat Professor Kathar gewartet. Er hat eine Kopie des Verfahrensrechts | |
mitgebracht und hält sie nun dem Angestellten unter die Nase. Das sei | |
eindeutig, schließt er seine kurze Rede. Nun müsse ein Urteil gesprochen | |
werden. "Das gilt doch nicht für das Innenministerium", sagt der | |
Gerichtsangestellte ruhig. "Denen können wir nichts vorschreiben." | |
Wieder sind drei Wochen vergangen. Zum ersten Mal bemüht sich ein Richter | |
in dem Verfahren. Wieder sagt der Richter, die Kammer werde sich an das | |
Innenministerium wenden. Ein neuer Termin in drei Wochen wird angesetzt. | |
Wieder sagt Professor Kathar, ein Urteil müsse gesprochen werden. Das sieht | |
der Richter anders: "Es liegt in der Autorität des Gerichts zu entscheiden, | |
was zu tun ist." Stimmt das? "Unsinn!", sagt der sonst so zurückhaltende | |
Professor. | |
Al-Qahtani ist schon wieder in Kämpferlaune. Vor drei Tagen hat er | |
erfahren, dass die Berufung in Reischudis Fall abgelehnt wurde. Deshalb | |
werde ACPRA diesen Fall nun vor das höchste saudische Gericht bringen, sagt | |
er noch in der Beschwerdekammer. | |
Er hat schon wieder einen neuen, viel größeren Plan. "Da das Gerichtssystem | |
hier offensichtlich nicht funktioniert, werden wir Saudi-Arabien vor einem | |
internationalen Gericht, wie dem Europäischen Gericht für Menschenrechte, | |
verklagen", sagt er und meint es ernst. "Wenn das nationale Rechtssystem | |
versagt, wird das internationale aktiv. Dafür werden wir allerdings noch | |
ein paar mehr Fälle brauchen." | |
Wie viele? "Wir schätzen so rund dreißig." | |
Das kann aber dauern. "Na ja, klar, das kann schon ein paar Jahre dauern", | |
sagt er ohne mit der Wimper zu zucken. | |
18 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Peter Böhm | |
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