# taz.de -- Montagsinterview mit Sängerin Joy Denalane: "Schockierend, dass so… | |
> Die Kinder zum Fußball bringen, Uniluft schnuppern, wieder mit dem | |
> getrennt lebenden Ehemann zusammenfinden: Die Musik stand für Joy | |
> Denalane lange nicht an erster Stelle. Jetzt hat sie ein neues Album. | |
Bild: "Starke Frau, das ist der Aufkleber auf meiner Stirn." | |
taz: Frau Denalane, die Berliner Schulverwaltung suchte unlängst per | |
Anzeigenkampagne 1.000 neue Lehrer. Wann fangen Sie an? | |
Joy Denalane: Ich als Lehrerin? Niemals. | |
Aber Sie studieren doch auf Lehramt? | |
Nein, das stimmt nicht. | |
Dann war der Wikipedia-Eintrag wohl falsch. | |
Wikipedia überrascht mich sowieso immer wieder aufs Neue. Ich hatte | |
eigentlich versucht, mein Studium zu verheimlichen. Das war eine ganz | |
persönliche Sache. Dann hat mich aber jemand vom Studenten-Magazin | |
überredet, ein Interview zu machen. Und schon stand es auf Wikipedia … | |
… dass Sie Germanistik, Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaften | |
studieren. | |
Ja, aber ich habe nie auf Lehramt studiert. Und auch nur ein einziges | |
Semester. | |
Nur ein Semester? | |
Ja, mir ging es ja nicht um einen Abschluss. Das war ein persönlicher | |
Luxus. Mir ging es darum, wieder Lernen zu lernen. Und vor allem darum, | |
eine andere Welt kennen zu lernen, eine Auszeit vom Musikerleben zu nehmen. | |
Die Uni als Urlaub vom Alltag? | |
Ja, das war sozusagen mein Sabbat-Jahr von der Musik. Es war vor allem | |
spannend, den eigenen Mikrokosmos zu verlassen, in dem man seine | |
festgelegte Rolle hat und die Strukturen allzu gut kennt. Mich hat einfach | |
interessiert, wie das ist, wenn man in völlig andere Strukturen reingeht. | |
Mein Mikrokosmos als Musikerin beruht auf einer weitgehenden | |
Selbstbestimmung. Das ist an der Universität ganz anders, da hat man ja nun | |
neuerdings ausgesprochen feste Strukturen. Dieses ganze Bachelor-Wesen ist | |
doch sehr verschult. | |
Es hat Ihnen also nicht so gefallen an der Freien Universität? | |
Doch, das war schon eine gute Zeit, ich würde es wieder machen. Aber man | |
kann kaum etwas ausfallen lassen, weil man sofort den Anschluss verliert. | |
So bin ich sehr fleißig und auch jeden Tag hingegangen. Und ich habe immer | |
meine Hausaufgaben gemacht. | |
Tapfer. | |
Ja, ich war eine sehr ordentliche Studentin. (lacht) Dafür habe ich mich | |
auch belohnt und mir ein Paar sehr schöne Ohrringe gekauft. | |
Wie seltsam war das, mit Mitte 30 zwischen lauter KommilitonInnen zu | |
sitzen, die zehn und mehr Jahre jünger sind? | |
Es gab schon noch ein paar andere in meinem Alter, mit denen hat man sich | |
auch ziemlich schnell angefreundet. Aber im ersten Semester sitzen | |
natürlich vor allem junge Leute. | |
Und die wollten dann nach dem Seminar Autogramme von Ihnen? | |
Das war in der Tat das einzige Problem, das ich vorher hatte: Wie würde ich | |
mich da eigentlich integrieren können? Und am ersten Tag habe ich auch noch | |
ziemlich lang auf dem Parkplatz im Auto gesessen und überlegt, ob ich da | |
jetzt überhaupt reingehen soll. Aber ich hab es getan und das ging dann | |
ziemlich schnell sehr gut. Ein paar haben mich zwar erkannt und einige | |
haben auch gefragt, ob ich es bin. Aber ein Autogramm wollte niemand haben. | |
Kann man einem jungen Menschen heute guten Gewissens empfehlen, statt zu | |
studieren lieber eine Karriere als Musiker anzustreben? | |
Das konnte man schon damals nicht, als ich mit der Musik anfing. Und besser | |
geworden ist die Situation im Musikgeschäft seitdem nicht. | |
Und wenn Ihre Söhne trotzdem Musiker werden wollten? | |
Es wäre keine Empfehlung, die ich aussprechen würde. Aber ich würde auch | |
nicht gegensteuern. Es sei denn, sie wären wirklich nicht talentiert und | |
rennen nur irgendeinem irrealen Traum vom Popstarsein hinterher. Das würde | |
ich dann schon sehr ernst mit denen besprechen wollen. Aber wenn es sie | |
ausfüllt, dann würde ich sagen: Versuch dein Glück. Aber Abitur, das muss | |
erst mal sein. | |
Klingt nicht eben nach sorglosem Künstlerleben. | |
Das ist eher etwas, was mir meine Eltern mitgegeben haben. Wir waren sechs | |
Kinder und viel draußen unterwegs. Ich war zwar zeitweise schwierig, aber | |
ich wusste immer: Das Abitur ist ein Ziel. Ich hab zwar drei Jahre zu spät | |
abgeschlossen, aber niemals ausgesetzt. Das wäre nicht in Frage gekommen, | |
da gab es gar keine andere Option für mich. Heute ist das noch wichtiger, | |
weil die Aussichten einfach so dünn gesät sind ohne Abitur. Das ist ein | |
Problem des Systems. | |
Sie haben über die Zeit Ihrer Kindheit in Berlin mal gesagt: "Ausgrenzung | |
gab es immer." Spüren Ihre Kinder heute auch noch Formen der Ausgrenzung? | |
Meine Kinder sehen ein bisschen anders aus. (lacht) Der Große ist blond, | |
heller noch als sein Vater. Nur der Kleine geht in meine Richtung, aber | |
solche Erfahrungen haben die noch nicht gemacht. | |
Macht sie die Mutter noch? | |
Mit dem Josephine-Baker-Syndrom, dem Stigma der schwarzen Frau im | |
Bananen-Baströckchen, die affig rumhüpft, damit habe ich nicht mehr zu | |
kämpfen. Ich werde mittlerweile eher mit anderen Vorstellungen | |
konfrontiert: Starke Frau, das ist der Aufkleber auf meiner Stirn. Die | |
macht ihr Ding, Mutter, Karriere. Das wird von mir erwartet. Viele Leute | |
sagen, wenn sie mich kennen gelernt haben: Du bist ja eigentlich ganz nett. | |
Die erwarten eine Diva. | |
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn wieder mal über die sogenannte | |
multikulturelle Gesellschaft diskutiert wird? | |
Was die Sache mit Sarrazin angeht: Dass es da jemanden gibt, der so etwas | |
denkt und daraus ein Buch macht, das finde ich nicht mal so interessant. | |
Das ist eine einzige Meinung. Ich finde Sarrazin auch nicht so intelligent, | |
dass mich das persönlich verletzt hätte. Aber dass so viele darauf | |
angesprungen sind, dass der Mann so viel Zuspruch gefunden hat, das fand | |
ich schon schockierend. Das zeigt, dass Deutschland immer noch nicht | |
akzeptiert hat, dass es ein Einwanderungsland ist. | |
Enttäuscht Sie das? | |
Heute wird immer noch nicht geguckt, wie man da eine Annäherung schaffen | |
kann. Von dem Immigranten wird stattdessen verlangt, sich zu assimilieren. | |
Das ist aber der falsche Ansatz für Integration. Das sollte eher eine | |
Annäherung sein. | |
Hatten Sie jemals damit zu kämpfen, als politische Figur instrumentalisiert | |
zu werden? | |
Ich glaube weniger, als ich es tatsächlich war. Es gab mal eine Zeit, da | |
war ich ein Politikum. Ich wurde ständig zu Talkshows eingeladen, um über | |
das afrodeutsche Dasein zu sprechen. Ich fand diese Rolle aber nicht | |
schlecht, weil es da offensichtlich einen Erklärungsbedarf gab. Das war | |
kein Stempel, der mir lästig wurde. | |
Auf Ihrem neuen Album "Maureen" singen Sie wieder auf Deutsch, nachdem auf | |
"Born and Raised" nur englische Texte zu finden waren. | |
Es war schon so, dass ich mich immer mit der Frage habe auseinander setzen | |
müssen, warum ich nach meiner ersten Platte "Mamani" keine deutschen Texte | |
mehr geschrieben habe. Ich wurde immer wieder gefragt: Was ist denn daran | |
so schlimm? | |
Und was war so schlimm? | |
Es ist nicht schlimm, es fällt mir nur schwer. Englisch fällt mir leichter, | |
weil Soulmusik für mich mit englischer Sprache besetzt ist. Das ist bis | |
heute so: Wenn ich Melodien schreibe und das erste Kauderwelsch dazukommt, | |
dann ist das immer ein englisches Kauderwelsch. Auch nach der "Born & | |
Raised"-Platte habe ich ganz normal weitergemacht, habe neue Lieder | |
geschrieben, und zwar auf Englisch. Und die dann aufgenommen, komplett. | |
Das Album war schon auf Englisch fertig? | |
Ja, dieses Album gibt es zweimal. Irgendwann werden wir die englische | |
Version rausbringen, wär ja schade drum. | |
Aber warum dann doch die Übersetzung auf Deutsch? | |
Irgendwann wurde das zu einer Herausforderung: Ist das übersetzbar? Ich war | |
mir auch nicht sicher, ob es funktionieren würde. Aber ich fand, es war | |
wenigstens den Versuch wert. | |
Von was oder wem haben Sie sich herausgefordert gefühlt? | |
Von all den Leuten, die mich darauf angesprochen haben. Und ich hatte ja | |
immer auch nur das eine Argument: Ich finde es schwer. Also habe ich | |
gesagt: Lasst es uns versuchen. Und dann haben wir angefangen, Stück für | |
Stück zu übersetzen. Dabei sind auch einige weggefallen und andere, | |
komplett neue Songs dazugekommen. | |
Sehen Sie Ihr neues Album trotzdem als politisches Statement? | |
Der klassische Soul von Marvin Gaye zum Beispiel war ja sehr politische | |
Musik. Und mir war es wichtig, einen Sound zu haben, der diese Energie hat. | |
Dazu wollte ich dann auch entsprechende Texte schreiben. | |
Im Refrain ihrer neuen Single heißt es: "Niemand wird tun, was wir nicht | |
tun." Ist das die Hymne für die neuen Graswurzelbewegungen, allen voran die | |
gegen Stuttgart 21? | |
Ja, auf jeden Fall kann man das so sehen. Aber ich bin nicht der Typ, der | |
jemandem was aufdrücken will. Das ist in erster Linie eine Selbstermahnung, | |
durchlässig, offen und informiert zu bleiben. | |
Ist Ihr Soul der passende Sound für den Wutbürger? | |
Wutbürger, das ist so ein gemeines Wort. Für mich sind das Menschen, die | |
was ändern wollen, und das ist doch gut. Der Song basiert sicher nicht auf | |
Stuttgart 21 oder all den anderen neuen Bürgerbewegungen, aber er ist schon | |
davon inspiriert. Er spiegelt in gewisser Weise einen Zeitgeist. Und es ist | |
doch gut, dass es diese Bewegungen gibt. Ob man dann dauerhaft etwas ändern | |
kann, das muss man sehen. Die Grünen sitzen jetzt in Baden-Württemberg mit | |
einem Riesenschuldenpaket da, das ihnen der Mappus hinterlassen hat. Das | |
haben sie jetzt davon. | |
Sie kennen sich ja gut aus im Schwäbischen … | |
Nein, nein. Ich habe ja nur zwei Jahre in Stuttgart gelebt und war während | |
dieser Zeit viel unterwegs auf Tour mit Freundeskreis. Stuttgart war nur | |
eine Anlaufstelle. Ich habe mich da nie so wirklich zu Hause gefühlt. | |
Dafür strömen die Schwaben nach Berlin. Treffen Sie viele alte Bekannte? | |
Max passiert das, glaube ich, ständig. Aber ich bin ja nur sehr selten im | |
Prenzlauer Berg. Das ist mir alles zu pittoresk, zu hübsch. Mir kommt das | |
vor wie in einem Wattebausch. | |
Beobachten Sie an sich trotzdem gewisse Eigenschaften einer Mutti | |
Macchiato? | |
(lacht laut auf) Den kannte ich noch gar nicht, den Begriff. Ich weiß es | |
nicht. Ich denke natürlich, dass ich gar nicht so bin. Ich bin vor allem | |
kein Snob, ich bin nicht elitär. | |
Den Schwaben sagt man das nach. | |
Mich wundert das nicht. Viele Schwaben haben eben das Geld, haben einen | |
Sinn für das Geschäft und deshalb ein paar günstige Immobilien geschossen. | |
Damit haben sie die Ureinwohner des Prenzlauer Bergs verdrängt. Dass denen | |
da die Hutschnur platzt, das kann ich gut verstehen. Wenn die Miete wieder | |
um 300 Euro gestiegen ist und es immer wieder ein Schwabe ist, der | |
nachzieht, dann entsteht da eine Aggression gegen den Schwaben an sich. Das | |
ist den Schwaben aber, glaube ich, gar nicht so bewusst. | |
Ihr Mann ist Schwabe. | |
Aber der ist natürlich ganz anders. (lacht) | |
Und Ihre Söhne sind Fans des VfB Stuttgart. | |
Der Kleine steht aber zusätzlich auch auf Hertha. | |
Sind Sie eine Fußball-Mutti? | |
Allerdings. Die spielen beide im Verein und deshalb fahren wir nun jedes | |
Wochenende durch die ganze Stadt zu den Spielen unserer Söhne, um am | |
Spielfeldrand rumzustehen. Wir sind voll reingetappt in die Falle. Das geht | |
ja noch, wenn Anpfiff um 13 Uhr ist. Aber die 9.30-Uhr-Spiele, die mag ich | |
echt nicht. Da kann man schon mal schlechte Laune kriegen. | |
22 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
Thomas Winkler | |
## TAGS | |
Soul | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Soulsängerin Joy Denalane: Zu Hause auf der ewigen Baustelle | |
Mit ihrem neuen Album erinnert sich Joy Denalane auch an ihre Kindheit. | |
„Gleisdreieck“ heißt es – in der Nähe der Haltestelle ist sie aufgewach… |