# taz.de -- Parade in Wilmersdorf: Der Rabbi tanzt für Fröhlichkeit | |
> Mit einer Straßenparade feiert die jüdische Community am Sonntag auf dem | |
> Kurfürstendamm. Mittendrin: der orthodoxe Rabbiner Yehuda Teichtal. Und | |
> der hat eine Mission. | |
Bild: Viele fröhliche Gesichter: Teilnehmer der jüdischen Parade. | |
Die Sonne knallt Yehuda Teichtal auf den schwarzen langen Anzug, aber der | |
Rabbiner wuselt ohne Unterlass umher. "Schalom", grüßt der 38-Jährige von | |
einem kleinen Kastenwagen seine Mitgläubigen, die sich am Sonntag mit roten | |
Luftballons auf dem Olivaer Platz versammelt haben. Hält eine Rede in einem | |
wilden Gemisch aus Deutsch und Englisch. Im nächsten Moment steht Teichtal | |
beim Plausch mit dem Gesandten der amerikanischen Botschaft, der als | |
Gastredner spricht. Dann wieder klatscht und tanzt Teichtal zur Brassband. | |
Kaum ein Hinterherkommen für seinen sonnenbebrillten Sicherheitsmann. | |
Als sich die Teilnehmer zur Parade über den Kurfürstendamm in Gang setzen, | |
ist Teichtal vorne mit dabei. "Am Israel Chai", ruft der Umzug, in dem alle | |
Generationen vertreten sind - "Das Volk Israel lebt". Kinder rezitieren | |
Tora-Verse ins Mikro. Schilder appellieren: "Liebe deinen Nächsten" oder | |
"Lernt Tora". Ein Wagen fährt mit einer überlebensgroßen "koscheren Küche" | |
vorweg, zweigeteilt in "Fleischiges" und "Milchiges" aus Pappmaschee. Drum | |
herum tanzen bärtige Orthodoxe in gelben Clownskostümen zu "When the Saints | |
Go Marching In" der Bläserkapelle. Ein bestens gelaunter | |
Sonntagsspaziergang. | |
Yehuda Teichtal hat ihn maßgeblich organisiert. Er trägt einen stattlichen | |
Bart, Kippa und unter seinem Anzug ein knallrotes Shirt: "Be cool, be | |
kosher, be Berlin". Teichtal ist Rabbiner und Direktor des | |
jüdisch-orthodoxen Glaubenszentrums Chabad Lubawitsch in der Münsterschen | |
Straße, vor dem die Parade in einem Straßenfest mit Karussel, Hüpfburg und | |
koscherem Essen endet. | |
Schon im letzten Jahr zog die Parade durch Wilmersdorf. Es war eine | |
Premiere, der erste jüdische Straßenumzug in Deutschland seit dem Zweiten | |
Weltkrieg. Auch diesmal kommen wieder mehrere hundert Gläubige. "Wir wollen | |
ein Zeichen nicht gegen etwas setzen", betont Teichtal, "sondern für ein | |
fröhliches, friedliches Miteinander." Dann zählt er die Unterstützer der | |
Parade auf, über zwanzig jüdische Organisationen: Der Berliner Fußballclub | |
Tus Makkabi, der jüdische Studentenverband, die israelische Botschaft, der | |
jüdische Frauenverein. | |
Der Parade liege "Lag Baomer" zugrunde, das Fest der jüdischen Einheit, | |
erklärt der Rabbiner. Dieses gehe auf das Ende einer großen Plage vor 2.000 | |
Jahren in Israel zurück, die viele das Leben gekostet habe. "Eine Strafe | |
für den mangelnden Respekt der Menschen", sagt Teichtal. Deshalb werbe die | |
Parade "für Frieden und Toleranz". In New York, Moskau, Paris oder London | |
finden zeitgleich Umzüge statt. | |
1996 kam Teichtal mit seiner Frau Leah aus New York nach Berlin. Als | |
24-Jähriger, ohne Deutsch- oder Deutschlandkenntnisse, aber mit dem Auftrag | |
seiner Bewegung, jüdisches Leben in Berlin aufzubauen. Dieses | |
Sendungsbewusstsein verkörpert der fünffache Vater bis heute. "Wir wollen | |
zeigen, dass jüdisches Leben in Berlin heute aktiver blüht denn je." Eine | |
der "Metropolen des Judentums in Europa" solle die Stadt werden. Die | |
"Hauptstadt der Dunkelheit", der Schoah, als Zentrum des Judentums. | |
Teichtal, dessen Urgroßvater in Ausschwitz ermordet wurde, findet daran | |
Gefallen. | |
Der Mann mag öffentliche Inszenierungen. Im Dezember entzündete er einen | |
sechs Meter hohen Chanukka-Leuchter am Brandenburger Tor. Das | |
Glaubenszentrum in Wilmersdorf eröffnete er 2007 mit Rabbinern aus aller | |
Welt und dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Im 18. | |
Jahrhundert in Russland gegründet, zieht die Chabad-Bewegung viele | |
osteuropäische Juden an. In Berlin versteht sie sich als unabhängiger Teil | |
der 11.000 Mitglieder starken jüdischen Gemeinde. In ihrem Zentrum bildet | |
sie Rabbiner aus, beherbergt eine Synagoge, einen Kindergarten, eine | |
Grundschule und ein koscheres Restaurant. "Traditionalistisch" seien sie, | |
sagt Teichtal, aber "offen für alle". | |
Einige liberale Gläubige beäugen das Fest der Orthodoxen dennoch unter dem | |
Verdacht des "jiddischen Kitschs". Aber, so schrieb Sergey Lagodinsky, | |
einst Leiter des SPD-Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten und jüngst | |
aufgrund der Sarrazin-Eskapaden aus der Partei ausgetreten, zur Parade im | |
letzten Jahr in der Jüdischen Allgemeinen: "Wir müssen zeigen, dass wir | |
unbequem, geschmacklos, skandalös, manchmal auch spannend und interessant | |
sind. Kurzum: Wir leben." | |
Gerhard Haase drückt das ganz ähnlich aus. Ein Liberaler sei er, sagt der | |
58-jährige Schauspieler, der sein Fahrrad mit durch die Parade schiebt. | |
Auch wenn er politisch mit den Orthodoxen nicht mitgehe, an dem Umzug nehme | |
er teil, weil dieser ein Ausdruck gelebter jüdischer Kultur sei. "Und weil | |
der Kurfürstendamm ein besonderer Ort ist." Haase spricht jetzt fast | |
andächtig inmitten des Trubels. Es sei "immer noch berührend, hier als | |
jüdische Gläubige mitten auf der Straße laufen zu können". | |
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts prägten jüdische Geschäftsleute den | |
Kudamm. Bis die Nazis sie nach und nach vertrieben. Dass die jüdische | |
Community am Sonntag nun mitten auf dem Boulevard feiert, hält Rabbiner | |
Yehuda Teichtal für eine herrliche historische Volte. "Das ist doch ein | |
wunderschönes Zeichen heute, eine Ermutigung für alle", sagt Teichtal. Ein | |
Lächeln huscht über sein Gesicht, er freut sich aufrichtig. | |
Diese Parade, das Miteinander, das sei doch die stärkste Antwort auf | |
Hitlers Wahnsinn. "Am Ende hat er eben keinen Erfolg gehabt. Wir sind | |
wieder da, wo er die Juden beseitigen wollte." | |
22 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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European Maccabi Games | |
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