# taz.de -- Der "Balkanizer" über Integration: "Viele Ex-Jugos sind unsichtbar" | |
> Der Autor und Musiker Danko Rabrenovic hat mit der Geschichte seiner | |
> Integration in Deutschland eine Lücke gefüllt. Sie heißt "Der | |
> Balkanizer". | |
Bild: Der Multimigrant: "Ich heiße nicht Ismael und bin kein Moslem und desweg… | |
taz: Herr Rabrenovic, Ihr Buch "Der Balkanizer" kam kurze Zeit nach Thilo | |
Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab" auf den Markt. Wollten | |
Sie mit Ihrer Integrationsgeschichte ein Gegengift zu Sarrazins Thesen | |
liefern? | |
Danko Rabrenovic: Nein, das war ein Zufall. Ich wusste nichts von Sarrazin, | |
als wir das Buch gemacht haben. Ich hab mir dann allerdings erhofft, dass | |
die Medien mein Buch als Gegenthese zitieren und mich dazu interviewen. | |
Aber ich heiße nicht Ismael und bin kein Moslem, und deswegen war ich für | |
die meisten Medien nicht interessant. | |
Sie sind der erste migrantische Autor aus dem ehemaligen Jugoslawien, der | |
seine Erfahrungen in Deutschland publiziert. Warum hat das so lange | |
gedauert? | |
Das habe ich mich auch gefragt. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich sind | |
viele Ex-Jugos gut integriert und unsichtbar in dieser Gesellschaft. Viele | |
haben deutsche Pässe und leben ganz normal. Mein Koautor Sebastian Brück | |
hat mir diese Frage auch gestellt und mich überredet, dieses Buch zu machen | |
und die Lücke zu füllen. | |
Hängt diese Lücke auch mit dem kriegerischen Zerfall Jugoslawiens zusammen? | |
Das hat die Situation noch komplizierter gemacht. Die Gruppe wurde | |
zersplittert. Viele Ex-Jugos haben mit sich selbst ein Problem. Ich merke | |
das an den Gästen in meiner Radiosendung. Sehr viele aus der zweiten | |
Generation der Einwanderer haben immer noch einen großen | |
Identitätskonflikt. Jahrelang hieß es: "Wir gehen zurück, wir pflegen | |
deswegen die Sprache." In Jugoslawien wurden sie als "Schwaben" gehänselt, | |
hier als "Jugos". Und mit 20 haben manche erst erfahren, dass sie Serbe, | |
Bosnier oder Kroate sind. | |
Ist das auch der Grund, warum Exjugos bei politischen Debatten rund um das | |
Thema Einwanderer kaum wahrzunehmen sind? | |
Die Integrationsdebatte ist vor allem gegen den Islam gerichtet. Die | |
meisten Jugos fühlen sich davon nicht angesprochen. | |
Fühlten Sie sich angesprochen? | |
Ja, insofern, als ich gemerkt habe, dass das Thema Integration für viele | |
Menschen überhaupt erst zum Thema wurde. Für mich ist es seit zwanzig | |
Jahren Thema, seit meinem ersten Tag in Deutschland. | |
War diese Debatte eine Rückkehr in die 1990er Jahre? | |
In der deutschen Gesellschaft hat sich seitdem einiges getan, die | |
Gesellschaft wird jeden Tag bunter. und das ist eine Bereicherung und eine | |
Qualität dieser Gesellschaft. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich | |
hier gerne lebe. Es ist viel kosmopolitischer und internationaler als meine | |
alte Heimat. Leider. | |
Sie waren 22 Jahre alt, als Sie 1991 Jugoslawien verlassen haben, weil Sie | |
nicht in den Krieg ziehen wollten. War das Land bis dahin nicht viel | |
kosmopolitischer als Deutschland? | |
Bis dahin ja. Aber ich musste mich quasi entscheiden, ob ich meine Mutter, | |
die Kroatin ist, oder meinen Vater, der Serbe ist, umbringe. Das war für | |
mich ähnlich paradox wie die Integrationsdebatte. Ich dachte eigentlich, | |
dass ich nur vorübergehend in Deutschland bleibe. Doch bei meiner Tante in | |
Recklinghausen sah ich ab dem 4. August 1991 über CNN und BBC, wie mein | |
Land blutig auseinanderfällt. | |
Dann waren Sie 16 Jahre lang Stammgast in der Ausländerbehörde. Haben Sie | |
die Schikanen deutscher Behörden nicht manchmal daran zweifeln lassen, | |
hierzubleiben? | |
Immer wieder zu erklären, warum man nicht zurück nach Hause möchte, | |
Nordrhein-Westfalen nicht verlassen zu können, die immer nur für einen | |
Monat geltenden Duldungen immer wieder neu beantragen zu müssen, all das | |
war äußerst schlimm und deprimierend. Aber in Belgrad suchte mich die | |
Militärpolizei. Ich wäre wahrscheinlich in Vukovar gelandet und mit großer | |
Wahrscheinlichkeit dort auch gestorben. Insofern habe ich das alles | |
erduldet. Trotzdem habe ich oft gedacht, ich will zurück. Doch als ich 1994 | |
in Zagreb und ein Jahr später zum ersten Mal wieder in Belgrad war, ist | |
diese Nostalgie schnell verschwunden. Als ich wieder nach Deutschland flog, | |
war ich sogar glücklich darüber. | |
Warum? | |
Ich habe ein sehr zwiegespaltenes Gefühl. Einerseits fühle ich mich gut auf | |
dem Balkan, weil ich meine Muttersprache sprechen kann, meine Familie und | |
Freunde sehe und spontane herzliche Momente auch mit wildfremdem Menschen | |
erlebe, etwas, was in Deutschland eher eine Seltenheit ist. Aber Belgrad | |
ist nicht mehr die Stadt, in der ich groß geworden bin. Die Gesellschaft | |
hat sich sehr negativ entwickelt, Nationalismus und Xenophobie herrschen | |
und jedes Mal, wenn Hoffnung besteht, wie beispielsweise im Fall des | |
serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, dann bringt man diese | |
Hoffnung um. Der Balkan ist eine Welt der Extreme, da gibt es keine | |
langweilige Mitte. | |
Sie machen seit sechs Jahren jeden Samstag die Radiosendung "Balkanizer" im | |
Funkhaus Europa vom WDR. Sie war für den Civis-Medienpreis für Integration | |
nominiert. Waren Sie überrascht? | |
Total. Normalerweise werden für den Preis immer eher schwerere Themen | |
ausgesucht, wie beispielsweise meine Konkurrenten, die Reportage "Mein | |
Türke und ich" oder das Feature über den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh. | |
Dazwischen wirke ich wie ein Thomas Gottschalk, der auf dem Sofa sitzt und | |
inhaltsleere Sendungen macht. | |
Aber die Menschen, die Sie in Ihre Sendung einladen, sind doch keine | |
Busenwunder oder Popstars? | |
Nein, es sind ganz normale Menschen. Aber ich war wirklich überrascht, dass | |
die Jury rausgehört hat, dass es sich beim Balkanizer nicht nur um eine | |
Unterhaltungssendung handelt. Die meisten Integrationsbemühungen in | |
Deutschland sind sehr plakativ. Dabei sollte das alles viel | |
selbstverständlicher sein. | |
Was meinen Sie damit? | |
Was mich stört, ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund entweder nur | |
als kriminelle Subjekte oder als erfolgreiche Vorzeigeausländer vorkommen. | |
Dazwischen gibt es nichts. Dabei sind da ein paar Millionen Menschen, | |
beispielsweise ich und meine "Balkanizer"-Gäste. | |
Sie wollen in Ihrer Sendung mit dem Klischee aufräumen, dass Jugos nur | |
Cevapcici essen und Darsteller der TV-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" | |
sind. Nach welchen Kriterien laden Sie Ihre Gäste ein? | |
Alle, die in Deutschland leben und so gut deutsch sprechen, dass man ihnen | |
im Radio folgen kann, die irgendeine Beziehung zum Balkan haben, sind | |
hochqualifiziert. | |
Warum Balkanizer? Holen Sie sich etwas aus Ihrem Leben ins Studio, was Sie | |
1991 zurücklassen mussten, als Sie aus Belgrad nach Deutschland gingen? | |
Nein. Ich will einfach eine gute Radioshow machen. Die Redaktion hat mir | |
damals vorgeschlagen, die Sendung zweisprachig zu machen. Aber ich will, | |
dass mich alle verstehen, nicht nur die Jugos. | |
Wollen die Leute lieber über ihre alte Heimat oder vom Leben in Deutschland | |
erzählen? | |
Das sind unterschiedliche Menschen, die unterschiedliche Gründe haben, mit | |
mir im Radio zu sprechen. Manche wollen nur plaudern und ein paar | |
Musiktipps kriegen. Die Sendung hat eine starke Bindung erzeugt, die Leute | |
identifizieren sich mit den Studiogästen, weil sie hören, dass diese auch | |
Folklore getanzt und den Ergänzungsunterricht besucht haben, auch | |
Kopfschmerzen hatten, als sie nach Deutschland gekommen sind, und bis heute | |
nicht der, die und das unterscheiden können. | |
Prominente sind ausgeschlossen? | |
Nicht grundsätzlich. Aber ich mache keine Werbung für kommerzielle | |
Veranstaltungen. Mich interessieren die normalen Menschen, ihre Familie, | |
ihre Hobbys, ihre Freunde, was sie gefühlt haben, als sie beispielsweise in | |
ihre Geburtsstadt Mostar zurückkehrten und die Brücke nicht mehr da war. | |
Freitag, 27. Mai, 19 Uhr, taz-Café, Berlin: Danko Rabrenovic stellt sein | |
Buch vor und lädt anschließend zur Balkanizer-Party | |
27 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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