# taz.de -- Kommentar Prozessberichterstattung: Überflüssig und hinterhältig | |
> CDU-Rechtspolitiker Kauder will angeblich die Intimsphäre von | |
> mutmaßlichen Vergewaltigungsopfern besser schützen. Das Problem, das er | |
> lösen will, existiert gar nicht. | |
Was für ein überflüssiger und hinterhältiger Vorschlag! Der Rechtspolitiker | |
Siegfried Kauder (CDU) will Medien verbieten, über Aussagen zu berichten, | |
die vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht wurden. Kauder | |
will damit angeblich die Intimsphäre von Prozessbeteiligten schützen - | |
vermutlich will er aber den Kachelmann-Prozess nur nutzen, um | |
Staatsgeheimnisse besser vor der Presse abzuschirmen. | |
Schon der Anlass ist schlecht gewählt. Im Strafprozess gegen | |
Wettermoderator Jörg Kachelmann war zwar über weite Strecken die | |
Öffentlichkeit - und damit auch die Presse - ausgeschlossen. Doch aus | |
diesen Vernehmungen drang auch kaum etwas nach außen. Das Problem, das | |
Kauder lösen will, existiert gar nicht. | |
Ganz anders war die Situation im Ermittlungsverfahren. Damals berichteten | |
zahlreiche Medien über den Inhalt von Polizeiakten und Gutachten, als lägen | |
sie ihnen vor. Wörtliche Zitate aus solchen Akten sind zwar heute schon | |
verboten, aber wer die Vorschrift kennt, zitiert eben in indirekter Rede. | |
Wer hier eine Strafbarkeitslücke sieht, könnte immerhin fordern, auch | |
sinngemäße Zitate aus Ermittlungsakten zu verbieten. Besser wäre es jedoch, | |
die ohnehin leerlaufende Strafvorschrift ganz abzuschaffen. Sie schränkt | |
nur künstlich die freie Berichterstattung ein. Ihren angeblichen Zweck, die | |
Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten zu schützen, kann sie ohnehin | |
nicht erfüllen. Sonst müsste man jede Berichterstattung vor der | |
Urteilsverkündung verbieten. | |
## Bloßer Voyeurismus kann bereits sanktioniert werden | |
Solche Strafvorschriften sind auch zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von | |
mutmaßlichem Opfer und mutmaßlichem Täter nicht erforderlich. Wer | |
Persönlichkeitsrechte verletzt, muss Schadensersatz zahlen. Bloßer | |
Voyeurismus ohne Prozessbezug kann so bereits wirkungsvoll sanktioniert | |
werden. | |
Dabei ist aber immer im Blick zu behalten, dass der Strafprozess im | |
Rechtsstaat grundsätzlich öffentlich ist. Wenn es um Sexualdelikte geht, | |
kann die Öffentlichkeit zwar teilweise ausgeschlossen werden, bestimmte | |
Grundinformationen werden aber notwendigerweise bekannt. So ist in einem | |
Vergewaltigungsprozess die Frage, ob die Beteiligten eine | |
sado-masochistische Beziehung hatten, durchaus von zentraler Bedeutung. So | |
etwas mag den Beteiligten peinlich sein, wie viele andere Tatsachen auch, | |
die bei Strafprozessen zur Sprache kommen. Wer aber jede | |
persönlichkeitsrelevante Information vor der Öffentlichkeit abschirmen | |
will, der müsste öffentliche Strafverfahren generell verbieten. Und das | |
will bisher jedenfalls niemand. | |
Eher wird regelmäßig über eine Zulassung von Fernsehkameras diskutiert, | |
damit die Bürger unser Rechtssystem besser verstehen und nicht nur die | |
verzerrte Darstellung aus Gerichts-Shows und US-Serien sehen. Doch auch | |
ohne Fernsehbilder ist die Berichterstattung über prominente Strafverfahren | |
von öffentlichem Interesse. | |
Schließlich werden hier auch Fragen von großer gesellschaftlicher und | |
durchaus politischer Bedeutung verhandelt: Muss einer Frau, die eine | |
Vergewaltigung anzeigt, unbedingt geglaubt werden oder ist auch hier eine | |
strenge rechtsstaatliche Kontrolle erforderlich ? Hat ein prominenter | |
Beschuldigter vor Gericht bessere oder schlechtere Chancen als Otto | |
Normalangeklagter? | |
## Naseweise und vorlaute Presse | |
Und nicht zuletzt geht es auch um öffentliche Kontrolle der Justiz, die | |
jedenfalls in Mannheim nicht über jeden Zweifel erhaben war. Vermutlich | |
geht es Siegfried Kauder aber auch weniger um die Persnönlichkeitsrechte | |
mutmaßlicher Verbrechensopfer und Täter. Eher nutzt er die Diskussion, um | |
ein altes Anliegen zu akzentuieren: den Schutz staatlicher Geheimnissen vor | |
einer naseweisen und vorlauten Presse. | |
So beantragte Kauder als Vorsitzender des BND-Untersuchungsausschusses die | |
Strafverfolgung von Abgeordneten und Journalisten, weil immer wieder | |
geheime Unterlagen an die Presse gelangten. Und vor einem halben Jahr | |
schlug Kauder vor, angesichts der terroristischen Bedrohung die | |
Pressefreiheit einzuschränken und zum Beispiel Berichte über mögliche | |
Anschlagsziele zu verbieten. Stets erntete er wütende Proteste. Wohl | |
deshalb argumentiert er jetzt einmal mit dem Schutz der | |
Persönlichkeitsrechte. | |
Das allgemeine gesellschaftliche Klima ist jedoch zum Glück eher günstig | |
für die Pressefreiheit. So hat das Bundesverfassungsgericht Anfang 2007 in | |
seiner Cicero-Entscheidung die Durchsuchung von Redaktionsräumen zur | |
Feststellung von Lecks in der staatlichen Administration erschwert. Und | |
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat einen | |
Gesetzentwurf vorgelegt, der die Strafverfolgung von Journalisten wegen | |
Beihilfe zum Geheimnisverrat einschränken will. Bilder von Polizisten, die | |
Unterlagen aus Redaktionsräumen tragen, sollen nach möglichkeit vermieden | |
werden. Solche Rücksichtnahmen auf die Presse hält Kauder jedoch für | |
bedenklich und will sie aufhalten. Die CDU/CSU-Fraktion muss schnell | |
deutlich machen, auf welcher Seite sie steht. | |
1 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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