# taz.de -- Krankheit bei Obdachlosen: Krepieren auf der Straße | |
> Ein Netzwerk in Hamburg fordert bessere gesundheitliche Versorgung für | |
> Wohnungslose. Das System sei nicht auf sie ausgerichtet - erst recht | |
> nicht für Sterbende. | |
Bild: Ambulante Versorgung: Aus Angst und Scham suchen Wohnungslose oft zu spä… | |
Wenn in Hamburg ein Obdachloser stirbt, landet er meist auf dem | |
Obduktionstisch von Klaus Püschel. "Da es in den seltensten Fällen Freunde, | |
Angehörige oder Hausärzte gibt, die etwas zur Krankengeschichte des | |
Menschen aussagen können, muss ich die Todesursache ermitteln", sagt der | |
Direktor der Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf. Im Schnitt | |
obduziert er einen Obdachlosen pro Woche. "Damit kommen wir natürlich einen | |
Schritt zu spät." | |
Um diesen Schritt zu vermeiden und die gesundheitliche Versorgung | |
obdachloser Menschen in Hamburg zu verbessern, hat Püschel gemeinsam mit | |
Ärzten und Mitarbeitern der Wohnungslosenhilfe eine Broschüre | |
herausgegeben. Darin kritisiert das Netzwerk das bestehende | |
Gesundheitssystem: Es sei auf kranke und sterbende Wohnungslose nicht | |
ausgerichtet. | |
Bis heute gibt es kaum Statistiken zur Obdachlosigkeit in Deutschland. | |
Schätzungen zufolge leben in Hamburg 2.000 alleinstehende Wohnungslose in | |
öffentlicher Unterbringung, weitere 1.029 Menschen auf der Straße. Die | |
Dunkelziffer wird höher geschätzt. | |
"Wohnungslose sterben im Schnitt drei Jahrzehnte früher als andere | |
Menschen", sagt Püschel, "mit 46,5 Jahren." Häufigste Todesursachen: | |
Atemwegs- und Herzerkrankungen. "Nicht etwa die Kälte, wie oft behauptet", | |
sagt Püschel. Werde ein Obdachloser tot im Schnee gefunden, erkläre man ihn | |
oft vorschnell zum Kältetoten. Vorigen Winter soll es bundesweit vier | |
solcher sogenannten "Kältetoten" gegeben haben, zwei davon in Hamburg. | |
Dabei sind laut Püschel die gängigen Krankheiten bei Obdachlosen im Grunde | |
einfach zu behandeln - wenn sie denn frühzeitig erkannt werden. | |
Doch aus Angst und Scham suchten Wohnungslose oft erst zu spät medizinische | |
Hilfe. Manche Patienten verweigerten die ärztliche Behandlung ganz. Wenn | |
sie dann doch ins Krankenhaus müssen, geben sie ihre alte Meldeadresse an | |
und werden so nicht als Obdachlose erkannt, die einer besonderen Betreuung | |
bedürfen. "Das Krankenhauspersonal weiß nicht um seine Situation - oder | |
will es nicht wissen - und entlässt den Obdachlosen oft zu früh", sagt | |
Püschel. "Und dann krepiert er irgendwo." Das sei für unsere Gesellschaft | |
unwürdig. | |
Frauke Ishorst-Witte ist Ärztin. Zwei Mal pro Woche hält sie eine | |
Sprechstunde in der Übernachtungsstätte Pik As ab. "Das Thema Sterben und | |
Tod bedeutet für Obdachlose ein meist größeres Tabu als für andere | |
Menschen", sagt sie. Wer mehr als jeder andere immer wieder ums Überleben | |
kämpfe, möchte an ein mögliches Lebensende umso weniger erinnert werden. | |
Problematisch wird es vor allem dann, wenn medizinisch nichts mehr für den | |
Kranken getan werden kann. "Wer betreut ihn dann im Sterbeprozess?", fragt | |
Ishorst-Witte. Wichtig wäre ihrer Meinung nach eine eigene | |
Pflegeeinrichtung für Obdachlose. Die Krankenstube der Caritas biete zwar | |
14 Betten, die reichten aber zur stationären häuslichen Pflege bei weitem | |
nicht aus. In München, der Vorzeigestadt der Obdachlosen-Versorgung, gebe | |
es immerhin gleich fünf solcher Pflegeeinrichtungen. | |
Eine Forderung, die sie vor genau zehn Jahren schon formuliert hat. Seitdem | |
habe sich nichts verändert. Oder doch: Seit vier Monaten sitzt | |
Ishorst-Witte in einer Arbeitsgruppe zusammen mit der Sozialbehörde, der | |
Wohnungslosenhilfe, den Krankenkassen und Krankenhäusern. Dort soll über | |
eine bessere ambulante Obdachlosen-Versorgung verhandelt werden. | |
6 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Emilia Smechowski | |
Emilia Smechowski | |
## TAGS | |
Obdachlosigkeit in Hamburg | |
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