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# taz.de -- Streit um William Turner: Moderne Landschaft
> Das Hamburger Bucerius-Kunst-Forum will William Turner in eine
> konservative, rückwärtsgewandte Ecke stellen. Doch das gelingt nicht.
> Turners Bilder sind pure Energie.
Bild: Vorhang auf für Turner – hier in Zürich.
HAMBURG taz | Um William Turner hat es viel Streit gegeben. Nicht so sehr,
weil man seine malerischen Qualitäten angezweifelt hätte. Oder weil seine
Bilder den Betrachter nicht absorbiert hätten. Sondern weil sich nie ganz
entscheiden ließ, ob er modern sei oder nicht. Noch heute ist das teils
umstritten, wie derzeit eine Ausstellung in Hamburg zeigt, die ihn in die
konservative Ecke zu rücken sucht.
Denn Turner, so deren These, habe – als Maler der vier Elemente Feuer,
Erde, Luft und Wasser - den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen seiner
Zeit hinterhergehinkt. Die Lehre von den vier Urelementen, aus denen die
Erde entstand und der er angeblich frönte, sei längst überholtes Erbe der
Antike.
Das fanden auch die meisten seiner nochromantischen Zeitgenossen, hatten
die soeben aufblühenden Naturwissenschaften doch bereits 30 Elemente aus
den einstigen vier destilliert. Es hatte sich gezeigt, dass jedes sich
weiter zerlegen ließ, es ein klar definierbares Konglomerat namens "Luft"
also gar nicht gab.
Paradox und andererseits folgerichtig, dass die Maler angesichts der soeben
nachgewiesenen Nichtfassbarkeit der Elemente eben jene zu malen begannen,
überhaupt von jetzt an Landschafts- statt Historienbilder malten.
Ganz aber hatten sie sich nicht vom Figürlichen befreit: Da wurde das
Wasser noch als Poseidon und die Erde als Gaia dargestellt. Zwar toben
drumherum Wellen und Winde. Aber die sind Illustration; Handelnde sind,
etwa bei Claude Lorrain und Nicolas Poussin, weiter brav die Figuren.
## Turner machte das Feuer zum Akteur
Turner war freier: Er entfernte diese Staffage und machte Wasser und Wolken
zu Handelnden und außerdem – als Einziger – das Feuer. Das mag der Tatsache
geschuldet sein, dass man damals in England der – als revolutionär
gedachten – Vulkanismustheorie anhing, während Kontinentaleuropa die
Entstehung der Erde aus gemächlicher Sedimentablagerung erklärte. Die
ordentlichen Landschaftsgemälde des Turner-Zeitgenossen Caspar David
Friedrich illustrieren den Kontrast.
Damit ist aber Turners Konzentration auf Licht, Luft, Feuer, Erde nicht
hinreichend erklärt. Und schon gar nicht, warum er – Vorläufer nicht nur
des Impressionismus, sondern im eruptiven Malduktus auch des
Expressionismus – seiner Zeit auch ideell voraus war. Warum er es schaffte,
die Malerei zu revolutionieren, aber nicht – und auch das hat er gewollt –
das Historienbild. Um all dies zu erklären, muss man man beobachten, wie
sich seine Darstellungen des menschlichen Kampfs mit den Elementen – in
Schiffsuntergangsszenen etwa – langsam veränderten. Wie Turner immer
stärker dynamisierte, bis der Mensch nicht mehr vonnöten war. Jetzt
kämpften nur noch die Elemente miteinander.
Mehr noch: Turner transformierte sie in Farbe, reduzierte und zerlegte sie
letztlich in – allerdings unklar definierte – Form. Dabei war ihm schon an
der Rechtfertigung seiner impulsiven Malweise durch konkrete Titel gelegen;
auch den Brand des Londoner Parlaments, dessen Zeuge er war, hat er gemalt.
Und das Gemälde "Hannibal überquert die Alpen" birgt durchaus die für
Historiengemälde übliche Warnung vor Hybris und Eitelkeit. Nur, dass Turner
die moralische Message solcher Bilder mit der Zeit zu eng wurde. Zu
spannend fand er die Dynamik von Wolken und Wasser, die er in
verschiedenste Aggregatzuständen malte, und so sachte die Frage aufwarf, ob
Wasser dampfend, flüssig oder eisig sei. Welches war seine ureigene
Substanz, seine "Identität"? Ein sehr moderner, von den Zeitgenossen
"chaotisch" genannter Ansatz; andererseits ist es konsequent, dass es seine
liebste Gattung, das Aquarell, war, das sich des Wassers explizit
bemächtigt und mit dem Verfließen von Objekt und Malgrund arbeitet.
## Die Hamburger Schau macht Turner zum Naturwissenschaftler
Von ihnen quillt die Hamburger Schau, brav akademisch in "Elemente"-Räume
eingeteilt, über. Sie weist Turner klar als Naturwissenschaftler aus, der
es sich nicht leicht machte: Konsequent suchte er die strukturelle
Verwandtschaft selbst von Luft und Erde zu ergründen, und im Medium Kunst
geht das ja leicht: Man malt Wolken in den Alpen, und schon hat man die
Osmose: Wo endet das eine, wo beginnt das andere, und hat der Maler das
erschaffen oder der Blick des Betrachters, den Turner erstmals zum echten
Akteur des Geschehens machte?
Tatsächlich reißt Turner den Betrachter mitten hinein in seine radikale
Dekonstruktion der Objekte, sprich: der Materie als einem Strudel aus
bewegten Teilchen. Das ist Quantenphysik und Abstraktion zugleich. Und
fügte er das so destillierte Farbkonglomerat wieder zu geometrischer Form,
könnte danach eigentlich gleich der Suprematismus kommen.
Turner selbst ist schließlich beim Licht pur angekommen – so lächerlich wie
schlicht übrigens, dass ausgerechnet die Firma Osram zu den Hamburger
Sponsoren zählt. Blendend wie eine Glühbirne ist dann auch der
"Sonnenaufgang mit einem Boot zwischen Landzungen", effektvoll inszeniert
im oberen Oktogonum. Es ist ein fast monochromes Bild, das alle Farben auf
ihren Ursprung zurückführt: das prismatische Weiß. Licht als Gestalter
bleibt übrig von allem. Man kann es auch Energie nennen, und das ist weder
konservativ noch konventionell. Das ist naturwissenschaftliche und absolute
Malerei zugleich. Nein, Turner als rückwärtsgewandt zu präsentieren,
gelingt der Hamburger Schau nicht. Sondern zum Glück das Gegenteil.
7 Jun 2011
## AUTOREN
Petra Schellen
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