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# taz.de -- Dorftourismus in Bolivien: Schlafen unter Dschungelriesen
> Ob im Amazonasbecken oder in den Anden: Boliviens Indígenas hoffen auf
> das touristische Zubrot.
Bild: Poster im Restaurant El Porteño in Nuevos Horizontes.
Nichts tut Francisco Caimani lieber, als die amigos visitantes durch den
tropischen Regenwald zu führen. Hier im Nationalpark Madidi, im
Amazonasbecken von Bolivien, kennt der 59-jährige Medizinmann jeden Baum,
jede Pflanze, jedes Tier. Mit der Machete schlägt er die zugewachsenen
Stellen des Wegs frei, während feiner Regen auf das Dschungeldach tropft,
irgendwo da oben ein Papagei schreit und wir versuchen, mit viel Spray
gegen Myriaden von Moskitos anzustinken. An jedem zweiten Baum (fast!)
macht Francisco halt und erklärt seinen Nutzen. Der Matapalo
(„Stammtöter“), der mit seinen Schlingen andere Bäume erwürgt; die
Chonta-Palme, deren orangefarbene Früchte beim Fischfang einen prima Köder
abgeben. Die Blätter des Quina-quina helfen gegen Malaria, der Saft des
Chuchuhuaso (Fruchtschale kochen) wirke wie Viagra.Und der quer liegende
Baum, über den wir gerade klettern, das sei der Tacú, erklärt uns
Francisco. Aus seinem harten Holz mache man Stößel zum Stampfen für Mörser.
Am Wendepunkt unseres Rundkurses stehen einige imposante Mapajos,
wurzelreiche, turmhohe Baumveteranen. Um die hochverehrten Dschungelriesen
ranken sich allerlei Legenden. Dass sie Kinder und Schwangere krank machen.
Oder sich um Mitternacht teilen und eine Person heraustreten lassen. Das
hätten die Groß- und Urgroßeltern erzählt, sagt uns Francisco, bevor er für
die amigos visitantes (und deren Kameras), behände wie ein Äffchen den
Baumstamm einige Meter hochklettert. Aber der Mapajo gilt auch als
Glücksbringer und Garant harmonischer Koexistenz. Also tauften die
Dorfgemeinschaften, die am Hochufer des Río Quiquibey siedeln, ihre
Ökolodge im Jahr 2000 auf den Namen „Mapajo“.
Sechs Bungalows mit Balkon auf Stelzen, die Wände aus hartem Itaúba-Holz,
die Dächer aus Palmenblättern. Nahebei ein einfaches Restaurant. „Früher
kamen häufig Touristen, ohne einen einzigen Boliviano dazulassen. Das
wollten wir ändern“, sagt Carlos Aparicio, der Verwalter der touristischen
Anlage. Das Unternehmen Mapajo Ecoturismo Indígena gehört zu 100 Prozent
der Dorfgemeinschaft - 35 Familien mit 220 Personen - und wird von ihr
selbst geführt. Die Einnahmen aus dem Tourismus sollen dazu beitragen, das
Dorf zu entwickeln, den Lebensstandard der Einwohner zu verbessern, den
Artenreichtum der Wälder und Tiere zu schützen
Von der Metropole La Paz waren wir in der Fairchild Aircraft, einem kleinen
Sechzehnsitzer, nach Rurrenabaque, kurz Rurre, geflogen. Das aufstrebende,
rasant wachsende Urwaldstädtchen mit schätzungsweise 20.000 Einwohnern lebt
heute vorwiegend vom Tourismus - als Ausgangsbasis für Touren in den
Regenwald und in die Pampa. Carlos Aparicio hatte uns in Rurre abgeholt und
im Außenborder drei Stunden flussaufwärts durch die Bala-Schlucht erst auf
dem breiten Río Beni, dann auf dem schmaleren Río Quiquibey zur Ökolodge
beim Dorf Asunción del Quiquibey geschippert. Während der Bootsfahrt hatte
sich der Himmel plötzlich verfinstert, Minuten später prasselte ein
tropischer Regenguss auf uns herab. Es war Regenzeit, die Flüsse waren
dunkelbraune, vom Sand aufgewühlte Ströme geworden, das Hochwasser hatte
Bäume und eine Schutzhütte für Parkwächter mitgerissen.
Der Fluss trennt das 400.000 Hektar große Biosphärenreservat Pilón Lajas
vom fünfmal so großen Madidi-Nationalpark. Pilón Lajas hat einen doppelten
Schutzstatus, es ist heute nicht nur Biosphärenreservat, sondern auch
tierra comunitaria de origen (indigenes Gemeinschaftsland). Im Jahr 1992
waren die indigenen Völker Boliviens zum Regierungssitz nach La Paz
marschiert, um ihre Landrechte einzufordern. Aber erst 2007 wurde den
Mosetenes und Tsimanes, den Ureinwohnern der Region Pilón Lajas, der Besitz
ihres Landes und das Recht auf seine Nutzung und Verwaltung staatlich
anerkannt.
Das Schutzgebiet ist nach Zonen der Nutzung eingeteilt: für die Jagd, den
Holzeinschlag, die Bewirtschaftung der Böden, den Tourismus. Die
Dorfbewohner jagen und fischen nur für den Eigenbedarf, benutzen das Holz
nur zum Hausbau. Jede Familie hat ihr chaco, eine kleine Parzelle, um Mais
und Reis, Kakao und Yucca anzupflanzen.
Doch trotz des Schutzstatus lauern die Gefahren überall. Vor allem illegale
Holzfäller betreiben Raubbau an der Natur. „Wir sind nur 12 Parkwächter in
Pilón Lajas“, sagt uns Vicente Canare auf einer Wanderung, „wie sollen wir
die Illegalen aufhalten, die nachts mit Motorsägen anrücken?“ Es hat schon
Zusammenstöße zwischen Dorfbewohnern und den Holzhyänen gegeben. Und im
Nationalpark Madidi lasse die Regierung Probebohrungen nach Erdöl
durchführen. Schließlich drohe in der Bala-Schlucht noch immer der geplante
Staudamm, der mehrere Dörfer fluten würde.
Jetzt bleiben auch noch die Touristen aus. Kamen nach Gründung der Ökolodge
rund 1.200 Besucher im Jahr nach Mapajo, sind es jetzt nur noch etwa 700.
Carlos Aparicio, der Verwalter, unterbreitet den amigos visitantes abends
im Restaurant die Gründe. Anfangs wurde Mapajo von einem Kanadier beraten
und von einer Entwicklungshilfeorganisation unterstützt. Heute fehlt die
Beratung, vor allem mangelt es an der Vermarktung. Irgendwann griff ein
Dorfbewohner in die Kasse - futsch war das Touristengeld. Zwar wurden alle
Bungalows mit Duschen nachgerüstet, doch oft kommt kein Wasser heraus, so
dass schweißgebadete Besucher vor der Gemeinschaftsdusche Schlange stehen.
Das gravierendste Problem aber sei die Sprache, denn keiner im Dorf spreche
Englisch, sagt Carlos. Bald solle ein Freiwilliger den Touristenführern
Kenntnisse des Englischen vermitteln.
Am letzten Tag unseres Aufenthalts lernen wir einige actividades de la
comunidad kennen. Carlos Frau Jenny, die im Schatten eines Pampelmusenbaums
an einem Bambusgestell eine Tasche webt, während ihr drei Wochen altes Baby
in der Hängematte schaukelt. Die greise Doña Victoria, die, auf einer
Strohmatte sitzend, Baumwolle spinnt. Ein Mädchen, das mit einem schweren
Stab aus Tacú-Holz Mais im Mörser zerstampft. Bei Vollmond hocken wir
schließlich auf Bänken und probieren Chicha, ein aus fermentiertem Mais
hergestelltes einheimisches Bier. Danach träumen wir leicht beschwingt
unter Moskitonetzen.
Zurück in Rurre. Alle Dörfer, die verstreut an der staubigen Piste
Carretera Internacional liegen, wurden vor rund dreißig Jahren gegründet,
als die bolivianische Regierung in großem Stil indigene Aymara und Quechua
aus dem Hochland der Anden in das spärlich besiedelte Tiefland des Amazonas
umsiedelte. Was zu zahlreichen Konflikten zwischen den ursprünglichen
Bewohnern und den Neusiedlern führte. Mit einem Mitarbeiter von T.E.S.
(Turismo Ecologico Social) fahren wir in einige der „Migranten“-Dörfer wie
Nuevos Horizontes und Nueva Esperanza. „Ein Tag für die Dorfgemeinschaften“
heißt das Programm, bei dem Touristen drei lokale Initiativen besuchen.
Die Frauenkooperative Tres Palmas in Nuevos Horizontes residiert in einem
repräsentativen Gebäude mit Werkstätten, Besucherraum und Shop. 30 Frauen
verschiedener Ethnien verarbeiten die Fasern der Jipijapa-Palme zu
Sombreros, bunten Fächern und Schmuckkästchen. „Das ist ein kleiner
Zusatzverdienst“, sagt die Präsidentin Maria Rosero, „denn die
Landwirtschaft bringt nicht viel ein.“ Leider kämen nur wenige Touristen
vorbei.
Mapajo und TES sind zwei von rund 20 gemeindebasierten touristischen
Unternehmen, die in Boliviens ländlichen, indigenen Gebieten tätig sind.
Sie sind zu 100 Prozent Besitz des Dorfes, werden von diesem selbst
verwaltet und setzen auf eine nachhaltige Entwicklung. Vorreiter und großes
Vorbild ist die Ökolodge Chalalán, drei Bootsstunden von Mapajo entfernt,
eine inzwischen international renommierte, mit Preisen überhäufte Lodge.
Andere Dorfgemeinschaften stehen erst am Anfang oder müssen um ihre
Existenz kämpfen.
Im Jahr 2005 wurde der gemeinnützige Dachverband der Organisationen Red
Tusoco gegründet, das bolivianische Netzwerk für einen solidarischen,
gemeindebasierten Tourismus. Vor zwei Jahren kam dann der kommerzielle
Ableger Tusoco Viajes hinzu, ein Reiseveranstalter in Form einer GmbH, der
die Produkte der Mitgliedsorganisationen vermarkten und darüber hinaus
touristische Programme anbieten soll.
Ortswechsel. Höhenwechsel. Klimawechsel. Vom üppigen, tropisch-heißen
Tiefland des Amazonas im Nordwesten ins karge, subpolare, nachts klirrend
kalte Andenhochland im Südwesten. Von La Paz aus fahren wir im Landcruiser
nach Süden, hinter Oruro wird die Asphaltstraße zur Schotter- und
Sandpiste. Eine kurzweilige Tour. Alex, der Fahrer, und Javier, der Führer
vom Red Tusoco, erzählen uns zu jedem Ort, den wir passieren, eine passende
Geschichte.
Breitwandpanorama
Dass der Bürgermeister im Dorf Ayo Ayo im Jahr 2004 öffentlich verbrannt
wurde, weil er viel Geld aus der Gemeindekasse abgezweigt hatte - ein Akt
indigener Justiz. Dass Challapatta der Ort der Autoschieber sei, die pro
Tag 40 bis 50 Autos aus dem nahen Chile ins Land schmuggelten. In der Tat,
in dem Outlaw-Pueblo hat kein Auto ein Nummernschild. Dass der
Eisenbahnfriedhof bei Uyuni einen Umweg lohne. Stimmt. Welch pittoreskes
Ensemble schrottiger Waggons und Dampflokomotiven!
Dann fahren wir zum Salar de Uyuni, mit 10 Milliarden Tonnen Salz (und
riesigen Vorkommen von Lithium) auf 10.000 Quadratkilometern der größte
Salzsee der Erde. Ein großartiges Breitwandpanorama, eine auf Salz gebaute
Weite, am Horizont eine Gebirgskette mit dem Vulkan Tunupa und seiner
ewigen Schneehaube. Ein gleißend weißes Salzmeer.
Jeeps, Busse, Lastwagen, ja sogar zwei schwer bepackte französische
Radtouristen brettern kreuz und quer über die mehrere Meter dicke
Salzkruste. Aus dem Nichts, wie ein Blendwerk, erhebt sich die Isla
Incahuasi (auf Quechua „Haus des Inka“) aus dem Salzmeer. Die Felsinsel ist
mit hunderten uralten, bis zu neun Meter hohen Kakteen bewachsen. Vorbei an
Steinen mit Korallenformationen, Andenkaninchen und Wegweisern aus
abgestorbenem Kakteenholz wandern wir zum Gipfel. „Hier opfern die
umliegenden Gemeinden der Aymara an jedem 1. August der Mutter Erde, der
Pachamama, ein weißes Lama oder ein weißes Lamm“, erklärt unser Begleiter
Javier Huarachi. „Damit es viel regnet und die Ernte gut wird.“
Unsere Weiterfahrt verläuft dann nicht ganz nach Plan: Weil es über Nacht
stark geregnet hat, hat sich das Salzmeer stellenweise in ein richtiges
Meer verwandelt. Behutsam manövriert Alex den Geländewagen stundenlang
durch das tückische, knöcheltiefe Nass. Vor uns spiegelt sich der Vulkan
Tunupa im Wasser. „Ein sehr seltenes Naturspektakel“, sagt Alex. Wir sind
hin und weg.
Tomarapi ist die letzte Station unserer Reise. Die Ökoherberge liegt im
Sajama-Nationalpark am Fuß des kegelförmigen Vulkans Nevado Sajama, des mit
6.542 Metern höchsten Bergs Boliviens. Ein Fünftel der Landesfläche steht
unter Naturschutz, es gibt 22 Schutzgebiete, der Sajama-Nationalpark wurde
schon im Jahr 1939 gegründet und ist damit die älteste Área Protegida.
Zwischen dem erloschenen Sajama, für die Aymara „ein Vater, der uns
beschützt“, und den anderen Vulkanriesen liegen Hochebenen mit
Queñua-Wäldern und Grassteppen, es gibt heiße Quellen und Geysire,
prähispanische Chullpares, Grabstätten der Aymara, alte Festungen.
Netzwerk zur Vermarktung
Überwiegend leben die 1.500 Bewohner des Parks von der Zucht von Alpakas
und Lamas. Und seit einigen Jahren von der Schur der 5.000 geschützten,
freilaufenden Vikunjas, deren feinste Wolle eine heiß begehrte Ware ist und
bis zu 700 Dollar pro Kilo einbringt. Vor 20 Jahren waren die Vikunjas fast
ausgerottet, die Aymara glaubten, sie würden das Futter ihrer Alpakas
wegfressen und Krankheiten verursachen. Ein Entwicklungsprogramm der
bolivianischen Nationalparkbehörde Sernap und der Deutschen Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit (GTZ) konnte die Aymara vom Potenzial der
Vikunjas überzeugen.
Auch Tomarapi ist Mitglied im touristischen Netzwerk Red Tuscoco. 26
Familien betreiben die mit Sonnenkollektoren versehene Ökolodge, an deren
Bau auch die deutsche GTZ beteiligt war. Javier stammt selbst von hier.
„Alle Mitarbeiter nehmen ständig an Schulungsprogrammen teil“, sagt der
27-jährige Aymara, der Tourismus studiert. Alle Mitarbeiter müssten alles
können, vom Rezeptionisten bis zum Kellner.
Javiers Cousine Arminda, wie viele Aymara den Fremden gegenüber
zurückhaltend, arbeitet zurzeit als mesera und serviert uns das
3-Gänge-Abendmenü im rustikalen Restaurant: Als Vorspeise gibt es eine
Suppe aus Quinoa (Andenhirse), dann Alpakafleisch mit Reis, zum Dessert ein
Vanille-Flan.
Zum Abschluss des Tages sitzen wir mit einem Mate-Tee vor dem Kamin, in dem
Queñua-Holzscheite knistern. Nachts wird es lausig kalt, zum Glück gibt es
Berge dicker Decken. 4.200 Meter sind verdammt hoch, im Bett dreht sich
einem der Kopf. Kein Wunder angesichts des Höhenrauschs in dieser
atemberaubenden, rauen Andenlandschaft. Auch kein Wunder, dass Tomarapi oft
gut gebucht ist, vor allem Rucksackreisende schätzen das Ambiente.
Beim Abschied taut Arminda regelrecht auf. Sie studiere Gastronomie und
Hotellerie in einem Privatinstitut in La Paz, erzählt sie uns. Sie stammt
von hier, ihre Familie lebt hier, sie fühlt sich hier wohl. Aber ihr großer
Traum ist es, einmal ein eigenes Restaurant zu besitzen, später vielleicht
sogar ein kleines Hotel. Wo? In La Paz.
9 Jun 2011
## AUTOREN
Günter Ermlich
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