Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 200 Jahre Forstwirtschaft: Was wir von Bäumen lernen können
> Die Forstwissenschaftler im sächsischen Tharandt feiern den 200.
> Geburtstag ihrer Hochschule. Und damit die erstmalige Anwendung eines
> völlig neuen Wirtschaftsprinzips.
Bild: Die Grundidee der Nachhaltigkeit: "Nicht mehr Holz einschlagen als nachw�…
THARANDT taz | Die 15 Kilometer Radfahrt von Dresden entlang des
Weißeritz-Tales stimmen auf das Ziel in Tharandt ein. Zwar musste der
Plauensche Grund nach Goethes euphorischem Lobpreis zu Beginn des 19.
Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung auch einige Blessuren
hinnehmen. Trotzdem wechselt man heute am südwestlichen Stadtrand beinahe
unvermittelt in ein felsiges und bewaldetes Idyll.
Das Flusstal weitet sich für die Stadt Freital, nach weiteren drei
Kilometern erreicht man das fünfeinhalbtausend Einwohner zählende Tharandt.
Würde die - vom Bahnhofsschild bis zum Internetauftritt - nicht mit dem
Beinamen "Forststadt" werben, der Besucher würde spontan von selbst darauf
kommen. Eichendorffs "O Täler weit, o Höhen", hier muss man es in
Mendelssohns Vertonung anstimmen.
Der Ort ist von Wald geradezu umzingelt. Im Westen beginnt der Tharandter
Wald, ein beliebtes Wander- und Skigebiet der Dresdner. Vor allem aber hat
hier die Fakultät Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften der Technischen
Universität der sächsischen Hauptstadt ihren Sitz. Speziell die
Forstwissenschaftler haben an diesem Wochenende etwas zu feiern: Vor 200
Jahren siedelte Forstrat Heinrich Cotta eine der ältesten
Forstlehranstalten der Welt hier an. Und setzte zugleich im Auftrag des
sächsischen Königs erstmals ein Prinzip in die Praxis um, das heute zum
Schlüsselbegriff für das Überleben der Menschheit geworden ist:
Nachhaltigkeit.
Das Problem, das König Friedrich August I. richtig erkannt hatte, kommt uns
mit Blick auf den tropischen Regenwald bis heute sehr bekannt vor. In den
freilich nicht so unendlich erscheinenden sächsischen Wäldern wurde das
Holz knapp. Nicht nur Brenn-, Nutz- oder Bauholz. Auch der Bergbau
schluckte Massen von planlos geschlagenen Stämmen. Um das zu ändern,
versuchte der König jenen Heinrich Cotta zu gewinnen, der als akademisch
gebildeter Förster im thüringischen Zillbach eine private Lehranstalt
betrieb.
## 1713 entstand das erste geschlossene Werk über die Volkswirtschaft
Als wesentlicher Schöpfer des Nachhaltigkeitsbegriffs aber gilt ein anderer
Sachse. Der Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz veröffentlichte kurz
vor seinem Tode 1713 mit der "Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche
Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht" das erste
geschlossene Werk über die Forstwirtschaft. Carlowitz lebte in Freiberg, 35
Kilometer von Dresden entfernt, wo heute das Sächsische Oberbergamt sitzt.
Aufgeschrieben hat diese "Entdeckung der Nachhaltigkeit" der Publizist
Ulrich Grober. In seinem 2008 beim Münchener Kunstmann-Verlag erschienenen
Buch erfährt man, dass die Kulturgeschichte des Nachhaltigkeitsbegriffs
eigentlich ältere Wurzeln hat. Zu entdecken ist aber auch der Hinweis auf
Goethes Bildungsroman "Wilhelm Meisters Lehrjahre", wo es unter anderem
heißt: "Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden." Die Weimarer Herzogin
Anna Amalia plädierte schon 1761 für eine "neue und nachhaltige
Forsteinrichtung". Und Heinrich Campes "Wörterbuch der deutschen Sprache"
von 1809 definiert "Nachhalt" als das, "woran man sich hält, wenn alles
andere nicht mehr hält".
Erstmals praktisch angewendet und durchgesetzt worden aber ist der
Nachhaltigkeitsgedanke vor 200 Jahren in Tharandt. "Das Prinzip stammt aus
der Forstwissenschaft, für die Tharandt der wichtigste Ort war", so
Professor Michael Müller. Der aus der Brandenburger Lausitz stammende
Spezialist für Waldschutz hat hier studiert. Heute ist er Leiter der
Fachrichtung Forstwissenschaften. Zum Jubiläum kann man ihn in Jägeruniform
blasend in einer Waldhorngruppe erleben. Ansonsten trifft man ihn
hemdsärmelig im Altbau auf dem kleinen Campus. Sein Arbeitszimmer ist nicht
nur passend zur Entstehungszeit des Gebäudes Biedermeier-möbliert, sondern
auch aufgeräumt wie eine Jungbaum-Plantage.
## Nachhaltige Diätkuren oder Kapitalanlagen
"Nicht mehr Holz einschlagen als nachwächst", lautete damals wie heute das
einfache forstliche Nachhaltigkeitsprinzip. Seither sei es zumindest in der
deutschen Waldwirtschaft faktisch immer angewendet worden, sagt Professor
Müller. Zugleich weist er wie Ulrich Grober auf die inflationäre Ausdehnung
des Begriffs hin. Inzwischen geht es nicht mehr nur um Ressourcen, sondern
auch um nachhaltige Diätkuren oder Kapitalanlagen.
Heinrich Cotta aber hatte seinerzeit ein Mangelproblem zu beheben und die
nach Jahrzehnten und Jahrhunderten rechnenden Zyklen des Ökosystems Wald
wieder in ihren natürlichen Rhythmus zu bringen. Dem Ruf auf die
Direktorenstelle der sächsischen Forst-Vermessungsanstalt folgte er unter
der Bedingung, seine Lehranstalt aus der thüringischen Rhön mitbringen zu
können. Tharandt hielt er wegen seiner Waldnähe und der geringen Entfernung
zur Dresdner Residenz für den geeigneten Ort und zog 1811 um. Fünf Jahre
später erhob der König seine private Lehranstalt zur sächsischen
Forstakademie.
"Der Wald", so zitiert Ulrich Grober Forstleute der Goethe-Zeit, "wächst
nicht schneller, nur, weil der Fürst ein neues Schloss bauen will." Grober
kritisiert jene auch heute noch etwa in Brasilien anzutreffende, auf
schnelles Geld ausgerichtete Reinertragslehre, die zu Monokulturen führte.
"Die sind auf die Dauer nicht stabil." Michael Müller dagegen verteidigt
die Wiederaufforstung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch
in Tharandt für einen Richtungsstreit sorgte. "Es ging um schnelle
Verwertung", so der Professor. Also erhielt nicht nur schnell wachsendes
Gehölz den Vorzug, sondern auch das den Einsatzzwecken am besten
entsprechende. Der Bergmann etwa wusste, dass Nadelbäume erst knacken,
bevor sie brechen und so vor stürzenden Stollendecken warnen. Also
dominierten in der Berglandschaft bald die Fichten und im Flachland die
Kiefern.
## Auf das Nebeneinander verschiedener Generationen kommt es an
Allerdings wusste man auch vor 150 Jahren schon, dass Reinbestände nach
Generationen zu Bodenverschleiß führen und Mischwälder stabiler sind. Der
gegenwärtige Waldumbau hat neben verbesserter Resistenz gegen
Luftschadstoffe genau dieses Ziel. Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft
hat also nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen
Aspekt. "Der Wald ist ein Wirtschaftsgut", plädiert Professor Müller für
dessen Nutzung - und zwar zum Vorteil des Waldes selbst. Denn auf die
regelmäßige Verjüngung, auf das Nebeneinander verschiedener Generationen
komme es an.
Alles andere als ein Nutzwald lädt oberhalb des Campus zu einer
Bildungswanderung ein. An der Tharandter Burgruine vorbei steigt man auf
zum Forstbotanischen Garten, dem ältesten Arboretum der Erde. Auf den 35
Hektar trägt jeder dritte Baum ein Schild, es finden sich rund 3.000
verschiedene Gehölze aus aller Welt. Das Schweizerhaus, heute Museum und
Shop, war das erste Lehrgebäude Cottas.
Seit 2006 beginnt hier auch ein zwei Kilometer langer "Pfad der
Nachhaltigkeit". Zweisprachige Schautafeln weisen auf lebende Beispiele
hin, wie die Natur Anpassungs- und Optimierungsstrategien entwickelt.
Dahinter steckt ein Gedanke der Bionik: was wir von Bäumen lernen können.
Es ist nicht das einzige Nachhaltigkeitsprojekt der TU Dresden und ihrer
Tharandter Fakultät. Zwei Online-Spiele, entwickelt 2009 zur UN-Dekade
"Bildung für nachhaltige Entwicklung", wenden sich vor allem an junge
Leute. Ein Planspiel zur regionalen Entwicklung und eins zum Ökosystem
Wald.
## Jährlich werden 125 Studienanfänger immatrikuliert
Nicht nur an diese Zielgruppe und an die eigenen Studenten richten sich die
Angebote des Campusfestes am kommenden Wochenende. In Tharandt geht es um
mehr als Waldarbeitsmeisterschaften und offene Türen der Lehrstühle. Auf
dem kleinen Campus mit Gebäuden aus drei Stilepochen herrscht stets eine
besonders freundliche und kollegiale Atmosphäre. Zu DDR-Zeiten galten die
"Förster" mit ihren Uniformen und Schulterstücken als Exoten unter den
TU-Studenten. "Jeder kannte jeden mit Namen", erinnert sich Professor
Müller. Als die Fluten der Weißeritz bei der Hochwasserkatastrophe 2002
ausgerechnet diesen Hort der Ökologie überspülten, zeigte sich stärker als
anderswo dieses Zusammengehörigkeitsgefühl. Noch in der Nacht tauchten
Studenten unter großer Gefahr in die überfluteten Bibliotheksräume, um
möglichst viel aus den Beständen zu retten.
Heute werden an den drei Fachrichtungen immerhin etwa 125 Studienanfänger
jährlich immatrikuliert. Von den bislang etwa 9.000 Absolventen kamen 2.000
aus dem Ausland. Sie haben den Geist von Tharandt sozusagen in alle Welt
getragen. Auf eine griffige Formel gebracht, lautet der: Vom Zuwachs leben
und nicht von der Substanz! Oder wie es Professor Müller ausdrückt: "Der
Wald lebt von den Zinsen, nicht von den Schulden."
16 Jun 2011
## AUTOREN
Michael Bartsch
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.