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# taz.de -- Eichborn ist insolvent: Tiefpunkt einer Talfahrt
> Der einstige Frankfurter Sponti-Verlag ist pleite, weil er sich nicht
> retten lassen wollte. Der Insolvenzverwalter meldet "namhafte
> Interessenten".
Bild: Eichborns Verlagssitz in Frankfurt am Main.
"Sterben ist scheiße." Mit diesem derben, aber wahren Satz hat der große
Walter Moers einen Animationsfilm um seine Kultfigur "Das kleine Arschloch"
betitelt. Im Eichborn Verlag, wo Moers Bücher lange Zeit erschienen sind,
wird man derzeit die existenzielle Tiefe des Satzes ermessen können. Der
Frankfurter Verlag hat Konkurs angemeldet. Den Tod muss das noch nicht
bedeuten. Doch die Zukunft der einstigen Hochburg der westdeutschen
Spontiszene - mit einem einmaligen Programmmix zwischen lustig,
hochliterarisch und politisch - ist ungewiss.
Das ist der vorläufige Tiefpunkt einer rasanten Talfahrt, die Eichborn in
den vergangenen gut zehn Jahren hingelegt hat. Um die Jahrtausendwende
stand das Haus, das zwischenzeitlich allerdings immer schon mal finanzielle
Engpässe zu verkraften hatte, noch gut da. Walter Moers brachte mit seinen
politisch inkorrekten Büchern die Leute entweder zum Kopfschütteln oder zum
Lachen. Hans Magnus Enzensberger gab im Eichborn Verlag die inzwischen
legendäre Andere Bibliothek heraus, kostbar gesetzte Bücher, die man sich
gut ins Regal stellen konnte. Und das Imprint "Eichborn.Berlin" hatte Sven
Regener, dessen "Herr Lehmann" gerade die Bestsellerlisten gesprengt hatte.
## Durcheinandergewürfeltes Gemischtwarenangebot
Dann kam, befeuert von der Dotcom-Euphorie, die Idee, an die Börse zu
gehen, was furchtbar schiefging. Innerhalb von zwei Jahren verloren die
Aktien 90 Prozent ihres Werts. Auch verlegerisch kam nie mehr Ruhe hinein.
Enzensberger verlor das Interesse. Der Chef Wolfgang Ferchl ging zu Piper
und nahm Walter Moers mit. Eichborn.Berlin wurde geschlossen, entstand
unter dem Dach von Kiepenheuer & Witsch als Galiani-Verlag neu und nahm
Sven Regener mit. Was blieb, sind zuletzt 11 Millionen Euro Umsatz,
erwirtschaftet aus einem durcheinandergewürfelten Gemischtwarenangebot - zu
wenig zum Überleben, sagen eigentlich alle Branchenkenner.
Trotzdem wollten sich die Eichborn-Mitarbeiter aktuell nicht von dem
Verleger Matthias Koch retten lassen. Dessen Plan sah vor, die
Eigenständigkeit Eichborns zu erhalten, den Verlag aber auch von Frankfurt
am Main nach Berlin zu verlegen, von etwa 50 auf 15 Mitarbeiter zu
verkleinern und in einem gerade entstehenden Kunst- und
Kommunikationszentrum mit dem Aufbau-Verlag, der Koch bereits gehört, zu
führen. Koch hat zuletzt die Mehrheit der Eichborn-Aktien aufgekauft, biss
aber bei den Mitarbeitern auf Granit.
Dem Fachblatt BuchMarkt sagte Koch: "Es ist leider nicht gelungen, den
Mitarbeitern zu vermitteln, dass Eichborn in Berlin seine Identität
erhalten könne." Ihm zufolge hat er noch nicht einmal die Chance erhalten,
einer Mitarbeiterversammlung seine Pläne zu erläutern. Nun gibt es
stattdessen halt einen Insolvenzverwalter namens Holger Lessing, der sagt:
"Wir wollen den Geschäftsbetrieb auf jeden Fall aufrechterhalten." Beim
Vertrieb werden Aufbau und Eichborn wohl zusammenarbeiten. Ansonsten werden
aber andere Wege gesucht, Eichborn zu retten. Und der Umzug nach Berlin ist
vom Tisch.
## Hochkaräter im Pleitejahr
Bleibt die Frage, was die Zukunft bringt. Dabei gibt es eine hübsche
Ironie: Der Aufbau-Verlag existiert nämlich nur noch, weil er
zwischenzeitlich einmal pleitegegangen ist. Matthias Koch erhielt so die
Möglichkeit, als Investor einzuspringen. Fraglich allerdings, dass sich bei
Eichborn auch so ein Retter, den derzeit noch niemand auf dem Zettel hat,
finden lässt. Immerhin hat der Insolvenzverwalter bereits wissen lassen,
dass es "namhafte Interessenten" gebe.
Die größte Ironie der Geschichte dieses Niedergangs ist, dass das
literarische Programm des Eichborn Verlags ausgerechnet in diesem
Pleitejahr großartig sein wird. Bald beginnt das literarische
Herbstprogramm, und da werden bei Eichborn Hochkaräter erscheinen: neue
Romane von Elmore Leonard und DBC Pierre zum Beispiel, die wirklich heiß
erwarteten Stories von Hollywoodstar James Franco und manches mehr.
Ein anderer Moers-Titel hieß "Schöner Denken". Vielleicht hilft das dem
Verlag ja.
17 Jun 2011
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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