# taz.de -- Urvater des Schulsports: Ordnung an eiserner Stange | |
> Vor 200 Jahren eröffnete Friedrich Ludwig Jahn in Berlin seinen ersten | |
> Turnplatz. Geturnt wird bis heute in seinem Namen, wenn auch in | |
> abgewandelter Form. | |
Bild: Denkmal des Turnsports: Friedrich Ludwig Jahn im Berliner Volkspark Hasen… | |
BERLIN taz | Für den Deutschen Turnerbund ist er die Gründungsfigur, für | |
den Europameister Philipp Boy jener, der sein liebstes Gerät, das Reck, | |
erfunden hat. Andere verbinden mit ihm unangenehme Erinnerungen an die | |
Schulzeit: Friedrich Ludwig Jahn. Kaum eine Übung ist im Schulsport so | |
ungeliebt wie die Turnübung. | |
Wer erinnerte sich nicht an die körperliche Qual beim Umschwung an der | |
eisernen Stange oder die psychische Blockade. Dabei hat Jahn hierzu, wie | |
übrigens auch für die heute olympische Sportart Kunstturnen, nicht viel | |
mehr als das Wort geliefert. Der Historiker Heinz Denk nennt die Verbindung | |
Jahns mit dem von ihm geprägten Begriff des Turnens eine "unreflektierte | |
Selbstverständlichkeit". | |
Über den 1811 eröffneten Turnplatz in Berlin heißt es in Jahns Buch "Die | |
Deutsche Turnkunst" von 1816, er sei "kein Drillort, und kann also nicht | |
von Schulsteifheit starren". Für den Turnlehrer vermerkt Jahn: "Ein | |
Turnlehrer muss auch den Anschein von Schulsteifheit vermeiden." | |
Tatsächlich hielt der Anführer der Turner nichts von Drill. "Frisch, fromm, | |
fröhlich und frei" sollte es auf seinem Turnplatz zugehen. Der preußische | |
Schulbetrieb lief daher Jahns Bestrebungen in vielerlei Hinsicht zuwider. | |
Auch aufgrund seiner nationalpolitischen Zielsetzungen ließ sich das | |
Jahnsche Turnen nicht recht zur Staatssache machen. | |
Turner und Burschenschaftler bereiteten sich außerhalb des Militärs auf den | |
Kampf gegen die verhassten Franzosen vor. Zunächst förderte die preußische | |
Regierung das Turnen. Doch mit zunehmend restaurativen Tendenzen der | |
Staatsführung einerseits und Jahns Aktionen - so die Bücherverbrennung auf | |
dem Wartburgfest 1817 oder seine Vorträge über das deutsche Volkstum - | |
andererseits schwand die Zustimmung. Die Turnplätze wurden geschlossen, | |
Jahn verhaftet und die sogenannte Turnsperre ausgerufen. Sie bedeutete das | |
Verbot des Turnens auf öffentlichen Plätzen. In geschlossenen Räumen wurde | |
weiter geturnt und Jahns Mitstreiter Ernst Eiselen erteilte zudem Kurse für | |
Lehrerseminaristen in Berlin. Jahn wurde 1842 rehabilitiert, doch da war | |
seine Zeit bereits vorüber. | |
## Leibesübungen zur Vorbereitung auf den Militärdienst | |
Während also das Turnen à la Jahn verboten wurde, kümmerte sich der Staat | |
um die Einführung des Turnens an den Schulen. 1817 war eine Allgemeine | |
Turnordnung entstanden, die sich von Jahn distanzierte und die | |
Notwendigkeit der "Wehrhaftmachtung" betonte. Doch erst 1842 erlässt | |
Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. eine Kabinettsorder, der zufolge das | |
Turnen als "Volkserziehungsmittel" anerkannt wird. Der zentrale Gedanke, | |
die schulischen Leibesübungen als "Vorschule" für den Militärdienst zu | |
nutzen, sollte das Schulturnen bis 1918 prägen. | |
Über die Inhalte bestand noch lange keine Einigkeit. Der Jahn-Schüler | |
Ferdinand Maßmann mühte sich vergeblich um eine Renaissance des Jahnschen | |
Turnens, der Berufsoffizier Hugo Rothstein entwarf ein ganz anderes System, | |
doch durchsetzen sollte sich ein Dritter: Adolf Spieß. Sein System basierte | |
auf dem Begriff Ordnung. Er zerlegte bestehende Übungen in Teilbewegungen | |
und schuf eine kurios anmutende Systematik, die für jede Stellung und jedes | |
Gerät Bewegungsarten aufzählte. | |
Heraus kamen Beschreibungen wie: Kniestehen, Kniegehen, Kniespringen, | |
Kniehüpfen, Kniedrehen. Spieß erfand außerdem die Frei- und Ordnungsübungen | |
ohne Gerät, bei denen die Schüler synchron gleiche Bewegungen vollziehen. | |
Der Unterschied zu rein militärischen Exerzitien verschwand vollends und | |
das Vorbild für perfekte Massenübungen, wie sie später die Sportfeste der | |
DDR prägten, war geschaffen. Es galt, "die Einzelnen in ihrer Eigenschaft | |
als Glieder eines Gemeinkörpers" zu erziehen. Zu Zucht und Ordnung | |
gesellten sich die Maxime von Disziplin und Gehorsam. | |
Auch das Vereinsturnen identifizierte sich mit dem staatlichen Hauptziel, | |
wehrtüchtige, gehorsame Männer für das Vaterland zu erziehen. Spieß, den | |
Maßmann den "Zertrümmerer des Volksturnplatzes" geschimpft hatte, setzte | |
Grundsätze um, die bis heute Gültigkeit besitzen, so die Prüfung und | |
Zensierung des Könnens, schuleigene Übungsräume oder - Ende des 19. | |
Jahrhunderts - die Durchführung des Sportunterrichts im Klassenverband. | |
Über ein Jahrhundert später finden sich in den Curricula für den | |
Sportunterricht weder Jahn noch Spieß, und die Sorge um die Gesundheit hat | |
die Vorschule für den Militärdienst längst abgelöst. | |
21 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Sandra Schmidt | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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