# taz.de -- Rechtsstaatlichkeit in China: Meinung macht mundtot | |
> Andersdenkende werden von der chinesischen Führung jetzt stärker | |
> verfolgt. Dahinter steckt die Angst der Kommunistischen Partei vor einer | |
> Freiheitsbewegung. | |
Bild: Der prominenteste Gefangene Chinas: Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. | |
BERLIN taz | Die an Bedingungen geknüpfte Freilassung von Ai Weiwei | |
betrifft nur einen einzigen, wenn auch sehr prominenten, Regimekritiker. | |
Sein Fall ist nach Meinung der Menschenrechtsorganisation amnesty | |
international jedoch Teil eines Repressionsmusters, das bis heute in China | |
anhält. "Wir beobachten seit Februar dieses Jahres eine Zunahme der | |
Repression", sagt Dirk Pleiter, Leiter der China-Koordinationsgruppe der | |
deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation amnesty international zur | |
taz. | |
"Wir wissen von rund 130 Aktivisten, die seit Februar verhaftet wurden oder | |
verschwunden sind", so Pleiter. "Der Hintergrund sind offensichtlich | |
Befürchtungen der Regierung, dass die Umwälzungen in den arabischen Ländern | |
auf China übergreifen könnten." So seien laut Pleiter vor allem auch | |
Internetnutzer, die etwa über Twitter-Accounts verfügten, besonders von | |
diesen Repressionen betroffen. | |
Da Chinas politisches System nicht transparent sei, könne laut Pleiter nur | |
spekuliert werden, ob die jetzige Repressionswelle etwas mit dem im Oktober | |
2012 anstehenden Führungswechsel an der Spitze der Kommunistischen Partei | |
zu tun habe, meint Pleiter. | |
"Auf jeden Fall geht die jetzige Repression über das sonst für politisch | |
heikle Zeiten übliche Maß wie etwa vor der jährlichen Tagung des Nationalen | |
Volkskongresses im März hinaus", sagt der China-Experte. | |
Pleiter hält die Repressionswelle für ein Zeichen der Verunsicherung der | |
politischen Führung, was sich auch im harten Durchgreifen gegen die nur | |
allergeringsten Anzeichen zu sogenannten Jasmin-Protesten zeige, zu denen | |
es eben gar keine größeren Ansätze gegeben habe. "Chinas Führung ist | |
offenbar auch wegen der sozialen und ethnischen Spannungen im Land | |
verunsichert", sagt Pleiter und erinnert an die Unruhen 2008 in Tibet und | |
2009 in Xinjiang ("Ostturkestan"), "wo die Spannungen seitdem ja nicht | |
wirklich behoben sind." | |
Auffällig sei auch, dass sehr mutige Menschenrechtsaktivisten wie etwa der | |
Anwalt Teng Biao inzwischen völlig verstummt seien, nachdem sie über Wochen | |
mutmaßlich von Regimeschergen entführt worden waren. Der Rechtsexperte und | |
Todesstrafengegner Teng war bereits einmal im März 2008 für zwei Tage | |
entführt worden, im Mai 2008 verlor er seine Anwaltslizenz. Trotzdem war er | |
nicht zum Schweigen zu bringen. | |
Am 20. Februar dieses Jahres, als Unbekannte im Internet zu Demonstrationen | |
nach arabischem Vorbild aufriefen, wurde Teng dann zusammen mit zwei | |
befreundeten Anwälten entführt. Erst am 29. April wurde er freigelassen und | |
hat sich seitdem nicht mehr öffentlich geäußert. "Wenn so mutige Menschen | |
wie Teng sich nicht mehr äußern", sagt Pleiter, "zeigt dies, wie stark die | |
Repression ist." | |
## Liu Xiaobo ist der prominenteste Fall | |
Neben den besorgniserregenden jüngeren Fällen gibt es auch weiterhin die | |
Fälle von Bürgerrechtlern, die bereits in den letzten Jahren festgenommen | |
wurden. Der prominenteste ist zweifellos der 55-jährige | |
Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der seit Dezember 2009 eine elfjährige | |
Haftstrafe verbüßt. "Von ihm wissen wir eigentlich seit letztem Oktober | |
nichts mehr", sagt Pleiter. | |
Im Oktober 2010 war dem Philosophiedozenten und Leiter des unabhängigen | |
chinesischen PEN, der zu den Initiatoren der ein Mehrparteiensystem | |
fordernden "Charta 08" zählt, der Friedensnobelpreis zugesprochen worden. | |
Liu war schon im Dezember 2008 verhaftet worden. Seine Frau Liu Xia war | |
seitdem die Hauptinformationsquelle über ihn, doch sie steht längst unter | |
Hausarrest. "Seitdem gibt es keine Zugangsmöglichkeiten mehr zu ihm", so | |
Pleiter. | |
Auch die Familienangehörigen haben unter der Repression zu leiden. "Kinder | |
von politischen Gefangenen werden häufig bis in die Schule hinein von der | |
Polizei verfolgt, was sie stigmatisiert. Auch die Nachbarn, Vermieter und | |
Arbeitgeber bekommen das mit, was einen unheimlichen sozialen Druck | |
aufbaut", so Pleiter. "Menschen verlieren ihre Arbeit, weil Arbeitgeber es | |
nicht wagen, diese Menschen weiter zu beschäftigen. | |
Jüngere Beispiele zweier älterer Fälle sind die Schicksale des blinden | |
Anwalts Chen Guangcheng und des früheren Aids- und Umweltaktivisten Hu Jia. | |
Chen steht seit der Entlassung aus der Haft im September unter Hausarrest. | |
Seine Frau Yuan Weijing schilderte vergangene Woche in einem offenen Brief, | |
wie im Februar bis zu 80 Männer unter Führung eines ranghohen KP-Mitglieds | |
das Haus der Familie stürmten und ihren Mann bis zur Bewusstlosigkeit | |
schlugen und auch sie verprügelten. Seitdem stehe die ganze Familie | |
einschließlich der fünfjährigen Tochter unter Hausarrest. | |
Zeng Jinyan, die Ehefrau von Hu Jia, dessen dreieinhalbjährige Haftstrafe | |
wegen "umstürzlerischer Aktivitäten" eigentlich an diesem Sonntag abläuft, | |
war am letzten Sonntag nach der Rückkehr aus der Provinz am Flughafen | |
Peking zunächst von acht Unbekannten weggebracht worden. Später wurde sie | |
aber wieder freigelassen. Sollte ihr Mann jetzt trotz vollständiger | |
Verbüßung seiner Haftstrafe nicht freikommen, wäre dies ein weiteres | |
Zeichen für die anhaltende Repression in China. | |
24 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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