# taz.de -- Plagiate und Doktorarbeiten: "Wir müssen genauer hinschauen" | |
> Koch-Mehrin und Guttenberg: Hochschulrektoren-Chefin Wintermantel über | |
> Lehren aus den Promotionsaffären und die Betreuung von jungen | |
> Wissenschaftlern. | |
Bild: Skeptisch: Margret Wintermantel, Präsidentin der deutschen Hochschulrekt… | |
taz: Frau Wintermantel, ich habe Ihnen mal eine Promotion aus dem Bereich | |
Medizin mitgebracht. Hätten Sie dafür einen Doktortitel vergeben? | |
(blättert in der Arbeit) Ich habe nicht genügend medizinisches Fachwissen | |
für eine fundierte Beurteilung. Aber etwas dünn kommt mir die Arbeit schon | |
vor. | |
Hier wird auf Daten zurückgegriffen, die der Verfasser gar nicht selbst | |
erhoben hat. Als Ergebnis werden seitenfüllende Grafiken präsentiert wie | |
diese: Geschlechtsverteilung der Patienten, 96 männlich, 20 weiblich. | |
Ja, das sind viele Tabellen (blättert weiter). Letztlich kann man aber den | |
Gehalt einer Arbeit nicht außerhalb des Fachs beurteilen. | |
Karl-Theodor zu Guttenberg hat zwei Drittel seiner Arbeit abgekupfert, | |
Silvana Koch-Mehrin "nur" ein Drittel. Ist es nicht peinlich für die Unis, | |
dass diese Betrugsfälle durch eine Riege von ehrenamtlichen | |
Internetdetektiven aufgedeckt wurden und hochdotierte Professoren nichts | |
gemerkt haben? | |
Es stimmt nicht, dass die Hochschulen erst durch "Internetdetektive" auf | |
Plagiate aufmerksam wurden. Auch im Fall Guttenberg kam der erste Impuls | |
aus der Wissenschaft. Es hat in der Wissenschaft wie in anderen | |
Lebensbereichen leider immer Betrügereien gegeben. Und auch früher wurden | |
Plagiate aufgedeckt. Wir haben diese schlimmen Fälle nicht gebraucht, um | |
genauer auf die Doktorarbeiten zu schauen. | |
Die interne Kontrolle funktioniert also bestens? | |
Sie scheint ja nicht so zu funktionieren, wie es nötig wäre, sonst hätte es | |
diese Fälle nicht gegeben. Die Hochschulen müssen da genauer hinschauen und | |
die Einhaltung der Standards wissenschaftlicher Arbeit prüfen. Es braucht | |
Wahrhaftigkeit und Vertrauen. | |
Was wollen Sie tun? | |
Wir können als Hochschulrektorenkonferenz nichts vorschreiben, sondern nur | |
Empfehlungen geben. Das wollen wir und deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe | |
eingerichtet, die sich mit der Weiterentwicklung der Qualitätsstandards bei | |
Promotionen beschäftigt. Man wird sich dabei weniger auf die | |
Betrugsperspektive konzentrieren, sondern auf die Frage, wie sichergestellt | |
wird, dass in Promotionen Forschung von hoher Qualität betrieben und damit | |
Beiträge zur wissenschaftlichen Erkenntnis im jeweiligen Fach geleistet | |
werden. | |
Welcher Art könnten diese Empfehlungen sein? | |
Ich stelle mir vor, dass alle Doktorandinnen und Doktoranden ihren Platz in | |
der Fakultät haben, mit ihrem Thema in ein größeres Forschungsprogramm und | |
somit in einen wissenschaftlichen Diskurs mit ihren Betreuerinnen und | |
Betreuern eingebunden sind. Sie sollten ihre Erkenntnisfortschritte | |
regelmäßig vortragen und ihre Ergebnisse müssen sie auf nationalen und | |
internationalen Konferenzen präsentieren dürfen. Die Idealvorstellung ist, | |
dass sich Betreuer und Doktorand jeden Tag sehen und dass ein | |
Vertrauensverhältnis zwischen ihnen besteht. | |
Wann wird die Hochschulrektorenkonferenz diese Empfehlungen herausgeben? | |
Wir werden sie voraussichtlich Ende nächsten Jahres vorlegen. | |
Sehen Sie den Doktortitel durch die jüngsten Betrugsfälle entwertet? | |
Aus meiner Kenntnis der deutschen Universitäten sage ich deutlich: Nein! | |
Ich weiß, wie viele junge Leute mit Intelligenz, Fleiß, Redlichkeit und | |
Wahrhaftigkeit ihre Doktorarbeit anfertigen. Sie wissen, dass sich weder | |
die Manipulation von Daten noch der Diebstahl von Ideen noch das Plagiieren | |
lohnt. Insofern bekümmert mich das nicht so sehr. | |
Im Ernst? Die Stimme der Hochschulen sagt zu einem der größten jüngeren | |
Skandale in ihren Häusern: ist mir egal? | |
Die betroffenen Hochschulen haben Konsequenzen gezogen. Wirklich schockiert | |
war ich über die Gespräche außerhalb der Hochschulen. Ernst zu nehmende | |
Leute haben mit den Schultern gezuckt und gesagt: Was ist daran so schlimm, | |
dass hier geschummelt wurde, jeder von uns hat doch mal in der Schule | |
abgeschrieben. Das hat mich entsetzt. Es war für mich ein Zeichen, dass die | |
Bedeutung der hohen Standards in der Wissenschaft vielen nicht bewusst ist. | |
Die Promotionsquote in Deutschland ist doppelt so hoch wie in den USA. | |
Jedes Jahr werden 25.000 Promotionen vorgelegt. Glauben Sie, dass diese | |
alle Erkenntnisfortschritte liefern, oder promovieren nicht viele Leute des | |
Titels wegen? | |
Die Mehrheit der Doktoranden promoviert aus Interesse am Thema. Es ist | |
sicher eine Fehlentwicklung, wenn Leute meinen, sie müssten nur des Titels | |
wegen promovieren. | |
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele medizinische Doktorarbeiten das | |
Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Und doch wird ein | |
Viertel aller Doktorarbeiten pro Jahr in diesem Bereich geschrieben, für 80 | |
Prozent der Medizinstudenten ist der Doktor der Regelabschluss. | |
Das wird ein Thema unserer Arbeitsgruppe sein. Ein Problem ist sicher, dass | |
medizinische Doktorarbeiten studienbegleitend und ziemlich flott | |
geschrieben werden. Aber auch in der Medizin muss der Anspruch des | |
Erkenntnisfortschritts gelten. | |
Soll ich Ihnen noch verraten, von wem die Arbeit stammt, die ich | |
mitgebracht habe? | |
Namen tun hier nichts zur Sache. | |
Die Doktorarbeit "Einfluss der prophylaktischen Sotalapplikation auf die | |
Inzidenz des postoperativen Vorhofflimmerns im Rahmen der aortokoronaren | |
Bypassoperation" wurde von FDP-Chef Philipp Rösler 2002 an der | |
Medizinischen Hochschule Hannover eingereicht. | |
27 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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