# taz.de -- Kommentar pazifistische Wortschöpfung: Linguistische Intervention | |
> Wer Atomwaffen baut, nennt sich "Gesellschaft für Wirksysteme". Mit immer | |
> neuen Wortkreationen versuchen PR-Manager, das Image der Kriegsindustrie | |
> aufzupolieren. | |
Wenn es gegen Mitternacht bei mir klingelt, ist es entweder meine Mutter | |
oder mein alter Bekannter Henning, der davon ausgeht, dass alle Menschen - | |
so wie er - zu dieser Tageszeit zu Hochform auflaufen. Henning benutzt mich | |
als linguistisches GPS, anhand unserer späten Gespräche kann er bestimmen, | |
ob er sich auf dem richtigen Weg befindet. Er ist offiziell PR-Manager für | |
IQ Data Solutions (zugegeben, den Namen habe ich erfunden, aber sein | |
Arbeitgeber, den ich nicht nennen darf, heißt so ähnlich). In Wirklichkeit | |
arbeitet er als Sprachentwickler, als Wortumrüster. | |
Die technische Entwicklung eines Produkts ist seiner Auffassung nach im | |
Vergleich zu dessen richtiger Benennung die leichtere Aufgabe ("Als BADEDAS | |
noch UHU hieß" lautet einer seiner Vorträge). Seine Auftraggeber sind | |
Unternehmen, Ministerien und internationale Organisationen. Hennings Arbeit | |
setzt öffentliche Maßstäbe, doch sein Wirken bleibt geheim. Wenn sich ein | |
Produzent von Massenvernichtungswaffen "Gesellschaft für Wirksysteme" | |
nennt, war im Hintergrund Henning am Werke. Oder, wenn diese Systeme keine | |
"Killer-Apps", sondern "Wirkfunktionen" aufweisen (Pleonasmen gehören zu | |
seinen beliebtesten rhetorischen Instrumenten). Und wenn die neueste, | |
selbstgesteuerte Rakete "Fire And Forget" heißt, hatte Henning einen guten | |
Tag. | |
## Sprache muss sensibel sein | |
"Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs", seufzt Henning am Telefon. "Uns | |
ist gelungen, wovon Generationen von Pazifisten nur geträumt haben: Wir | |
haben den Krieg abgeschafft. Sag mir, wo wird überhaupt noch Krieg | |
geführt?" Das kenne ich schon, das ist eines von Hennings Leitmotiven, | |
darüber kann er sich stundenlang auslassen. "Wir haben die älteste Geißel | |
der Menschheit entschärft. Und nun muss ich hören, die Nato käme mit einem | |
Einsatz in Libyen nicht zurande. Ja, meine Güte, es ist halt nicht einer, | |
es sind Dutzende von Einsätzen auf der ganzen Welt. Nur haben wir sie | |
sprachlich so gut camoufliert, dass selbst die Verteidigungsminister sie | |
gelegentlich übersehen. Wir reden von humanitären Interventionen zum Schutz | |
von Zivilisten, von Geheimaufträgen und soldatenfreien Eingriffen." | |
Hennings Sprachsensibilität schlägt so genau aus wie ein Geigerzähler. | |
"Das hast du mir alles schon zigmal erzählt", unterbreche ich ihn. "Gibt es | |
etwas Neues?" "Hast du gehört, was der Pressesprecher von Präsident Obama | |
von sich gegeben hat: ,Wir können uns nicht aus Libyen zurückziehen, weil | |
wir gar nicht in Libyen sind.' Großartig, nicht wahr? Wieso ist mir das | |
nicht eingefallen? Die haben es echt raus in Washington, von denen können | |
wir uns eine Scheibe abschneiden. ,Wir leiten den Abzug ein, indem wir | |
weitere 30.000 Truppen einsetzen.' Einfach genial, das wird ein Klassiker. | |
Überhaupt, bei der kreativen Gestaltung des Wortes ,withdrawal' dürfte noch | |
einiges möglich sein, da können wir uns auf was gefasst machen. Obwohl, was | |
die Unternehmungen in Libyen betrifft, haben wir in Europa bislang gute | |
Arbeit geleistet, findest du nicht auch? Die Nato hat schon 10.000 Einsätze | |
hinter sich, wurde vorhin in den Nachrichten gemeldet, das klingt doch | |
freundlich, geradezu diakonisch, als seien unsere Krankenwagen 24 Stunden | |
im Einsatz." | |
## Gelungene Wortumrüstungen | |
"Es ist spät, Henning, brennt dir was auf dem Herzen oder nicht?" Ich höre, | |
wie er am anderen Ende der Leitung seufzt. Er kann sich ausgiebig an | |
gelungenen Wortumrüstungen erfreuen und ist nahezu persönlich beleidigt, | |
wenn andere Menschen diese Leidenschaft nicht mit ihm teilen. | |
"Ihr Autoren verfügt durchaus über Talent in diesem Bereich, aber ihr lasst | |
es verkümmern." Das war Hennings Retourkutsche. "Nun, Jemen macht uns | |
Sorgen, da gibt es akuten Handlungsbedarf. Was hältst du von | |
,drohneninduzierte Schubser'?" "Nicht viel", antworte ich, "zu | |
schwerfällig, zu gewollt." "Wie recht du hast. Und wie wär's mit | |
,kybernetische Interventionen mit örtlicher Betäubung'?" "Besser, viel | |
besser." Ich höre Hennings erleichtertes Glucksen. | |
"Aber das sind Kleinigkeiten, das kriegen wir schon hin. Was mir wirklich | |
zu schaffen macht, ist unser großes Projekt, die gewaltigste Aufgabe, die | |
uns bislang gestellt worden ist. Wir müssen ,Verteidigung' an die globalen | |
Notwendigkeiten anpassen. Mit Begriffen wie ,Vorwärtsverteidigung' allein | |
ist es nicht getan, auch nicht mit kleineren semantischen Justierungen, | |
auch wenn die Kollegen da schon ziemlich einfallsreich waren - | |
,vorauseilende Verteidigung', ,vorweggenommener Gegenschlag', ,aktivierende | |
Verantwortung für die Zukunft'. So gut das klingt, es wird nicht | |
ausreichen. Was mir vorschwebt, ist eine Umpolung der herrschenden Logik." | |
"Wie das?", frage ich, meine Neugier ist nun tatsächlich geweckt. | |
## Gewalt ist die beste Prävention | |
"Wir sind bislang davon ausgegangen, dass jeder Eingriff und jeder Einsatz | |
Folge einer zu überwindenden Bedrohung war. Das ist anstrengend und | |
manchmal beim besten Willen nicht hinzubiegen. Stattdessen sollten wir | |
Bedrohungen postulieren, die die gewünschten Einsätze rechtfertigen. Irak | |
war ja ein erster Schritt in diese Richtung, aber sehr stümperhaft | |
ausgeführt, dilettantisch. Wir müssen uns befreien von den Kausalitäten des | |
20. Jahrhunderts - drehen wir das Ganze auf den Kopf: Was immer wir | |
unternehmen, es wird schon das eine oder andere gesellschaftliche | |
Krankheitssymptom lindern, schließlich gibt es fast überall Korruption oder | |
Machtmissbrauch oder Gewalt. Wieso sollen wir also auf akute Bedrohungen | |
warten?" "Mit anderen Worten", unterbreche ich ihn, "die Ursache des | |
Friedens ist ein Mangel an Krieg." | |
"Das ist hässlich und ungenau formuliert. Aber du verstehst schon, was ich | |
meine. Die Dinge falsch benennen, heißt das Unglück der Welt zu vergrößern. | |
Weißt du, wer das geschrieben hat?" Ich verneine mit schläfriger Stimme. | |
"Es war Albert Camus und es ist mein Leitgedanke. Wann immer ich an unserer | |
Arbeit zweifle, führe ich mir die Weisheit dieses Satzes vor Augen, und | |
dann wird mir wieder bewusst, wie existenziell wichtig das ist, was ich | |
leiste." "Gute Nacht, Henning", sage ich und lege auf. | |
29 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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