# taz.de -- Nazis in Sachsen: Am Ende der Selbsthilfe | |
> In einer sächsischen Kleinstadt gibt es eine "National befreite Zone". | |
> Jugendliche und ihre Eltern fühlen sich hilflos und wissen nicht mehr, | |
> was sie tun sollen. | |
Bild: Die Politik des Wegschauens: Im sächsischen Limbach-Oberfrohna will nich… | |
LIMBACH-OBERFROHNA taz | Die Einladung klang eher wie ein Hilferuf. Unter | |
geradezu konspirativen Umständen sind Medienvertreter von linken | |
Jugendlichen in eine Privatwohnung in Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz | |
bestellt worden. | |
Es geht um die Auseinandersetzung mit den Nazis am Ort. Die Jugendlichen | |
mit den Piercings und den bunten Haaren nehmen sie noch eher sportlich. | |
Aber ihre Eltern, denen die Fensterscheiben eingeworfen werden, weil sie im | |
Fernsehen gegen die Rechten ausgesagt haben, denken daran, aus der | |
Kleinstadt wegzuziehen. | |
500 Meter entfernt liegt an der Sachsenstraße der Ort der jüngsten | |
Auseinandersetzungen. Die Fenster sind mit Spezialgittern geschützt, die | |
Eingangstür zur Straße verbarrikadiert. Am 8. Juli soll hier ein neuer | |
Treff der alternativen "Sozialen und Politischen Bildungsvereinigung" | |
eröffnet werden. Nach Attacken auf Autos des Vereins zogen in der | |
Pfingstnacht etwa 20 Rechte mit Schlägern und Holzlatten bewaffnet vor das | |
Haus. Kulturdezernent Dietrich Oberschelp, "Präventionsbeauftragter" der | |
Stadt und in solchen Fällen anzurufen, war nicht erreichbar. Also griff man | |
zur Selbsthilfe und verjagte die Nazis. | |
Ein gefundenes Fressen für die eintreffende Polizei. Weil der Hauptfeind | |
immer links steht, beschaffte sie sich binnen Minuten einen | |
Hausdurchsuchungsbefehl. Gläser mit Sand und ein bisschen Kaliumnitrat aus | |
einem Schulgartenprojekt reichten aus, einen Sprengstoffverdacht in die | |
Welt zu setzen. | |
Im Nachhinein wird nun mit den Journalisten viel darüber diskutiert, dass | |
es wohl auch kontraproduktiv war, im Haus Böller, Schlagringe, Schleudern, | |
Stahlkugeln und Sturmhauben aufzubewahren. Oberbürgermeister Hans-Christian | |
Rickauer, selbstverständlich Christ, selbstverständlich CDU und seit 20 | |
Jahren Platzhirsch im Rathaus, kann daraufhin im Stadtspiegel von | |
"Waffenarsenalen" schreiben und davon, dass "linksorientierte Personen | |
rechtsorientierte krankenhausreif prügeln". | |
## Subkulturelles rechtslastiges Milieu | |
Für das Rathaus sind das banale Schlägereien zwischen Jugendlichen. Nur | |
nicht den Ruf der Stadt schädigen. "Der OB ist froh, endlich auch ein | |
linksextremes Problem zu haben", sagt ein Vater, Lehrer am Gymnasium. Jens | |
Paßlack vom Mobilen Beratungsteam spricht von einer verfestigten rechten | |
Szene am Ort. Seit drei Jahren agiert sie immer dreister mit zahlreichen | |
Überfällen und Körperverletzungen. Höhepunkt war bislang der Brandanschlag | |
auf einen Jugendclub im vorigen November, verübt von einem 19-jährigen | |
Rechtsextremisten. Das Haus ist noch immer nicht wieder nutzbar. | |
"Eigentlich bedarf es gar keiner rechten Strukturen", sagt Paßlack. Denn | |
unter den Bürgern der Stadt gebe es ein subkulturelles rechtslastiges | |
Milieu, Leute, die es richtig finden, "wenn dieses linke Ding abgefackelt | |
wird". Eltern meist aus bildungsbürgerlichen Kreisen aber, die das "Bunte | |
Bürgerforum für Demokratie" gegründet haben, wurden nach ihren Angaben vom | |
CDU-Politiker Jan Hippold unter Druck gesetzt. Der gründete daraufhin ein | |
"Bündnis gegen Extremismus", zu dem er einen NPD-Stadtrat gleich mit | |
einlud. | |
An diesem Abend in der Wohnung findet niemand einen Ausweg aus dem Klima | |
der Angst. Der müsse wohl von oben kommen, sagt jemand. Man ist sich nicht | |
einmal einig, ob weitere Presseartikel mehr schaden als nützen. Gelächter, | |
als die Rede auf den Kurzbesuch von Innenminister Markus Ulbig im Januar | |
kommt. Der ließ sich ablichten und sagte dann in die Mikrofone, er freue | |
sich, "dass in Limbach-Oberfrohna nichts unter den Tisch gekehrt wird". Die | |
Stadt sei bei der Extremismus-Bekämpfung auf einem guten Weg. | |
30 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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