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# taz.de -- Dyskalkulie hat fatale Folgen: Zahlenchaos im Kopf
> Menschen mit einer Rechenschwäche fällt es schwer, Mengen und Zahlen
> größenmäßig voneinander zu unterscheiden. Hilfe für Betroffene sollte
> möglichst früh kommen.
Bild: Wenn das nicht klappt, ist Hilfe notwendig.
BERLIN taz | "Bei einer Rechenschwäche hat ein Kind große Probleme, das
Rechnen zu erlernen", schreibt eine Forschergruppe um Brian Butterworth von
der Universität zu London in einem aktuellen Review.
"Die Betroffenen haben grundlegende Schwierigkeiten mit Zahlen und Mengen."
Diese stehen für Größen, und normalerweise gibt es so etwas wie einen
inneren "Zahlen-" und "Mengenstrahl": Ein gesundes Kind erkennt, ob eine
Zahl größer ist als eine andere oder ob eine Menge mehr Elemente als eine
andere enthält. Kindern mit einer Rechenschwäche, auch Dyskalkulie genannt,
gelingt dies hingegen nicht.
Oft scheitern sie dann in der Schule bereits an einfachen Aufgaben im
Bereich von Einspluseins oder Einmaleins. Sie schaffen es beispielsweise
nicht, das Ergebnis von 4 plus 9 oder 7 mal 6 zu "automatisieren".
Da die Resultate solcher Aufgaben ihnen nicht in Sekundenschnelle
einfallen, müssen sie mühsam zählen - immer wieder.
Eine Rechenschwäche kommt statistisch gesehen relativ häufig vor. Bis zu
sieben Prozent aller Menschen sind davon betroffen, ein im Gegensatz zur
Leseschwäche oder Legasthenie wenig beachteter Umstand. Die Folgen sind
fatal - sowohl für den Betroffenen als auch für die Gesellschaft.
Zumeist tritt die Rechenschwäche unabhängig von anderen kognitiven
Fähigkeiten auf. Manchmal sind jedoch auch diese teilweise eingeschränkt.
So treten bei Rechenschwachen eine Legasthenie oder eine Störung der
Aufmerksamkeit etwas häufiger auf als bei anderen Kindern.
## Frust in der Schule
##
Oft beobachtet man aber auch Verhaltensstörungen. Dies ist zumindest
teilweise darauf zurückzuführen, dass es für Betroffene nicht einfach ist,
mit einer Dyskalkulie fertig zu werden. Denn diese Teilleistungsschwäche
hat häufig schlimme Folgen.
Da die Kinder sich in der Welt der Zahlen nicht zurechtfinden können,
häufen sich die Misserfolge in der Schule. Vielen Kindern droht der Wechsel
in eine Förderschule. Übel gelaunt fürchten die Kinder den
Mathematikunterricht und halten sich für minderwertig.
Bis heute sind die Ursachen einer Dyskalkulie nicht eindeutig geklärt. Die
Experten gehen davon aus, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen: soziale
und schulpädagogische Einflüsse, genetische Veranlagung und
Hirnreifestörung. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen über
angeborene "Kernkompetenzen" verfügen, die es ihnen ermöglichen, Zahlen und
Mengen nach ihren Größen zu unterscheiden.
Die Steuerzentren für diese Kernkompetenzen liegen vermutlich in den
Scheitellappen des linken und rechten Großhirns. In Abhängigkeit von den
Lernvorgängen in Kindheit und Jugend und der wachsenden Kapazität des
Arbeitsgedächtnisses entwickeln sich verschiedene Zahlenrepräsentationen im
Gehirn - Zahlwörter etwa oder arabische Ziffern.
Diese Repräsentationen bilden sich als Netzwerke von Nervenzellen
hauptsächlich in Bereichen des Stirnhirns und den Scheitellappen aus. Bei
Kindern mit Rechenschwäche kommt es zu Störungen des Aufbaus dieser
Nervenzellenstrukturen.
Es gibt viele Ansätze, mit denen die Leistung von Kindern mit geringen
rechnerischen Fähigkeiten verbessert werden kann. Wichtig ist jedoch, dass
von einer Rechenschwäche Betroffene zunächst die grundlegende Idee von
Zahlen und Mengen verstehen.
Übungen dazu sollten so früh wie möglich beginnen, am besten schon bei den
ersten Schwierigkeiten im Kindergarten oder der Grundschule.
## Arbeitslos und krank
Zwar ist die Therapie kostspielig, man geht jedoch davon aus, dass die
Investition 12- bis 19-mal zurückbezahlt wird: Bei einer unbehandelten
Rechenschwäche ist das Risiko hoch, dass der Betroffene den Staat teuer zu
stehen kommt. Häufig leben Rechenschwache im sozialen Abseits, finden keine
Arbeit und sind krank.
Noch immer fehlt es an speziell ausgebildeten Lehrkräften. Eine Hilfe
können neue spielartige Softwareprogramme bieten, die abstrakte Zahlen mit
Bedeutung füllen. Das Training am Computer zielt darauf ab, die
grundlegenden Schwierigkeiten mit Zahlen und Mengen zu überwinden und die
Präzision des inneren "Zahlenstrahls" zu erhöhen. Beim Number-Race-Spiel
beispielsweise besteht die Aufgabe darin, möglichst schnell das größere
Feld von zwei Feldern zu finden.
Die Größe des Felds kann durch eine Menge von Goldmünzen, arabische Ziffern
oder gesprochene Worte repräsentiert werden. Die Software passt sich den
Fähigkeiten des Lernenden an, indem sie die Unterschiede zwischen den
Feldern verkleinert, wenn sich die Ausführung verbessert.
Zudem gibt es ein Feedback: Das Kind erfährt vom Computer, was richtig und
was falsch war. Auch bei einem anderen anpassungsfähigen Spiel, genannt
Graphogame-Maths, vergleicht das Kind Felder von Objekten miteinander, aber
hier sind die Mengen klein und können gezählt werden.
In einer Untersuchung an 6- und 7-Jährigen, die einen Kindergarten
besuchten, zeigten beide Programme Wirkung: Nach 10 bis 15 Minuten
Spielzeit pro Tag über drei Wochen kam es zu einer deutlichen Verbesserung
beim Zahlenvergleichen - eine grundlegende Fähigkeit zum Erlernen des
Rechnens.
3 Jul 2011
## AUTOREN
Claudia Borchard-Tuch
## TAGS
Nobelpreis
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