# taz.de -- Ausstellung zur Nachhaltigkeit: Es muss halt immer alles wachsen | |
> Eine Ausstellung im Kunstverein Frankfurt am Main zeigt, wie sich | |
> zeitgenössische Künstler mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. | |
Bild: Parkettkrieg an der Chicagoer Börse: Die Videoinstallation "All that is … | |
BERLIN taz |Tausende von Handys. Alle Größen, alle Formen, alle Farben. Ein | |
Meer von leicht gekrümmten Ovalen aus Leichtmetall mit den | |
charakteristischen Druckknöpfen liegt auf einem riesigen Haufen. Der kleine | |
Schönheitsfehler dieser Miniatur-Fetische: Sie sind längst ausrangiert. | |
Leider findet sich das Bild des amerikanischen Fotografen Chris Jordan | |
nicht gleich im Eingang des Frankfurter Kunstvereins. Man muss ein Magazin | |
mit dem Titel "Denkanstöße" im zweiten Stock durchblättern, um es zu | |
entdecken. "Cell Phones" bringt das ganze Drama, um die die Ausstellung | |
"Die Metapher des Wachstums" kreist, auf den Punkt: Die wahnwitzige | |
Verschwendung von Rohstoffen auf der Welt. Abfall, den der technische | |
Fortschritt produziert. Der Rausch des viel, mehr, unendlich viel mehr. | |
Bezeichnenderweise hat Jordan der Serie, der das Bild entstammt, den Titel | |
"Intolerable Beauty" gegeben. | |
Stattdessen trifft man im Foyer auf einen riesigen Haufen Kaffee. 400 Pfund | |
davon hat der Künstler Thomas Rentmeister auf den Boden des Hauses | |
geschüttet. Darüber leuchtet einsam eine rote Glühbirne. Ein Hauch von | |
Coffee-Shop liegt in der Luft. Kaffee als sorgsam austariertes Sinnbild der | |
Globalisierung, des exzessiven Genusses und als wachstumsfördernder Humus. | |
Wir haben verstanden. Die gleiche Durchschlagskraft wie Jordans Bild hat | |
Rentmeisters Installation aber nicht. | |
Trotzdem: Angesichts der Bedrohung, zu der sich das zivilisatorische | |
Konzept "Wachstum" ausgewachsen hat, ist es gar nicht genug zu loben, dass | |
die drei Kunstvereine in Frankfurt am Main, Hannover und im schweizerischen | |
Baselland mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes gemeinsam eine | |
innovative Themenausstellung aus der Taufe gehoben haben, wie man sie sich | |
häufiger wünschte. | |
In jeder Bundestagsdebatte wird der Fetisch des Wachstums mit einer | |
Inbrunst beschworen, als habe es vor 40 Jahren nicht den Bericht des Club | |
of Rome über die "Grenzen des Wachstums" gegeben. Aber wahrscheinlich nützt | |
es nichts, der Politik immer nur den Spiegel der exakten Wissenschaften | |
vorzuhalten. Jetzt muss die Ästhetik ran. | |
## Naturmetaphern immer immun gegen Gesellschaftskritik | |
Es gehört zu den Paradoxa des Wachstumsdiskurses, dass sein Leitbegriff | |
ausgerechnet der Biologie entlehnt ist. Der passt aber so gar nicht zu dem | |
Stoffwechsel mit der Natur, den sich die Menschheit zu Zwecken massenhafter | |
Konsumbefriedigung angewöhnt hat. Dort endet Wachstum bekanntlich. Aber | |
Naturmetaphern haben den Vorteil, dass sie immun gegen Gesellschaftskritik | |
sind: Es muss halt alles immer wachsen. | |
Dabei gönnt der Mensch der Natur das organische Recht, das die Metapher | |
aufruft, kaum irgendwo. Mit ihm sucht sich auch die große Fantasie von der | |
Nachhaltigkeit zu legitimieren. Die Bilder unmerklich konturierter | |
Nadelholzgewächse, die der Fotograf Ulrich Gebert in britischen Parks | |
aufgenommen hat, sind ein fast unheimliches Sinnbild für den tatsächlichen | |
Umgang mit ihr: Kontrolle, Verformung und Selektion. | |
Die Frankfurter Ausstellung überzeugt, weil Kurator Holger Kube Ventura | |
seinen Parcours nicht alarmistisch engführt. Zwar gibt das | |
Künstlerkollektiv Mindpirates ein paar didaktische Denkanstöße. In seiner | |
raumfüllenden Installation "Verschwendung ist die größte Energiequelle" | |
plakatiert es Zahlen und Fakten zum weltweiten Ressourcenverbrauch an die | |
Wand: Weltweit werden pro Jahr 600 Milliarden Plastiktüten produziert. | |
Natürlich geht es nicht ohne politische Kunst: In der Videoinstallation | |
"All that is solid melts into air" des Amerikaners Mark Boulos stehen sich | |
zwei Schauplätze der wachstumshungrigen Globalisierung direkt gegenüber: | |
Rechts tobt der Parkettkrieg an der Chicagoer Börse. Links proben | |
nigerianische Fischer den Aufstand gegen die dort gehandelten Ölmultis. | |
Deren Absturz thematisiert das Duo bankleer in seiner Arbeit "Headfonds": | |
Hinter dem Schutzwall seiner Computer mit abgestürzten Aktienkursen steigt | |
die Figur eines Mannes steil mit dem Kopf zuerst durch die Glasdecke. | |
## Papierkorb mit 23,5 Karat Gold | |
Die Ausstellung lotet auch die Ambivalenzen eines in Misskredit geratenen | |
Begriffs aus. Indem sie zwei profane Alltagsgegenstände wie eine Leiter und | |
einen Papierkorb mit 23,5 Karat Gold belegt, markiert die amerikanische | |
Künstlerin Sylvie Fleurie den Wechsel vom Gebrauchswert zum Tauschwert, der | |
Triebkraft hinter dem Prinzip Wachstum. Der Lockung von Luxus und Glamour | |
kann man sich aber genauso wenig entziehen wie dem Bild der pink wuchernden | |
Orchidee auf einer Wandtapete der Mindpirates. | |
Der hypertrophe Parasit ist Verschwendung pur. Ohne ihn gäbe es womöglich | |
keine Evolution. Gerade deren unnütze Auswüchse produzieren Schönheit. Als | |
negatives Pendant dazu fungiert Peter Buggenhouts Skulptur "The blind | |
leading the blind". In den von dicken Staubschichten überzogenen Skulpturen | |
aus nicht beschreibbaren Resten und Formen wird das Prinzip Werden und | |
Vergehen endgültig zu der abstrakten Metapher, die der Ausstellungstitel | |
verspricht. So klug und assoziationsreich diese Ausstellung | |
zusammengestellt ist. So sehr vermisst man den Blick der Kuratoren über den | |
prekären Ist-Zustand hinaus. Folgt dem Zeitalter des Wachstums das der | |
Askese, geht es um kreative Verschwendung oder doch eher um Verzicht? Die | |
zeitgenössische Kunst geriert sich gern als die bessere Wissenschaft. Da | |
muss es doch irgendein Bild geben, das konkret macht, was der Ökonom | |
Hans-Christoph Binswanger im Katalog zum Überleben empfiehlt: Mäßigung, | |
intelligent schrumpfen. | |
10 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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