# taz.de -- Klimawandel-Roman "Maeva!": Wir sind das Tätervolk | |
> Seattle ist überschwemmt und Kalifornien eine fiese Ökodiktatur: Dirk C. | |
> Fleck hat den Klimawandel-Roman "Maeva!" geschrieben. Eine Begegnung mit | |
> dem Autor. | |
Bild: Ökodiktatur? Dirk C. Fleck ist trotzdem gerne Zeitzeuge. | |
BERLIN taz | Gerade hat Dirk C. Fleck mit einer sehr charmanten Dame zu | |
Mittag gegessen. Nun sitzt er in einem Café in der Berliner | |
Rudi-Dutschke-Straße und ist von einer heiteren Entspanntheit. Das mildert | |
angenehm ab, wenn er über die "Tätergeneration" spricht - und nicht mehr | |
die Nazis meint. Sondern uns. Die Nachkriegsgenerationen, sagt er, | |
zerstören mit ihrer Art zu leben und zu wirtschaften die Lebensgrundlagen | |
ihrer Kinder und Enkel. "Und die Jungen haben es noch gar nicht gemerkt." | |
Im Grunde gebe es einen gesellschaftlichen Konsens, dass es keine Rolle | |
spiele, in welchem Zustand man die Welt hinterlasse. "Ökozid" nennt Fleck | |
das vom Menschen herbeigeführte Zusammenbrechen der Natursysteme. Für die | |
bisherigen Anstrengungen und die politischen und gesellschaftlichen | |
Vorstellungen, den Klimawandel erträglich zu gestalten, hat er ein schönes | |
Bild gefunden: "Wir stehen am Strand, ein Tsunami kommt, und wir pusten und | |
denken, wir könnten ihn damit aufhalten." Aber er sagt im gleichen Atemzug | |
auch, er sei "unwahrscheinlich gerne Zeitzeuge". | |
Fleck ist Hanseat, Jahrgang 1943, und hat gerade den Roman "Maeva!" | |
veröffentlicht, der den britischen Literaturgroßmeister Ian McEwan | |
nachdenklich machen sollte. McEwan hatte im Vorjahr den angeblich ersten | |
Klima-Großroman vorgelegt. "Solar" brachte das sich selbst genügende | |
Element des globalen Weltrettungszirkus auf den Punkt. Und war lustig, | |
immerhin. Flecks Roman "Maeva!" ist weitgehend humorfrei - entfaltet aber | |
eine zentrale Qualität: Im Gegensatz zu McEwan zwingt er einen, ernsthaft | |
über das eigene Leben nachzudenken. | |
"Maeva!" ist Flecks vierter Roman über die Erderwärmung und die Fortsetzung | |
von "Das Tahiti-Projekt", von dem nach seinen Angaben fast 40.000 Exemplare | |
verkauft wurden. Es ist die Geschichte einer jungen, polynesischen | |
Politikerin, die Geschichte von Maeva. Sie wird im Jahr 2028 zur | |
Präsidentin einer alternativen UNO gewählt und geht auf Weltreise, um | |
Verbündete zu sammeln für einen globalen Kampf gegen den Klimawandel. Die | |
Zukunft soll nicht primär auf Technologie und Ordnungspolitik beruhen, | |
sondern auf einem radikal anderen, einem ökosozialen Gesellschafts- und | |
Wirtschaftsmodell, das in Tahiti bereits gelebt wird - mit geschlossenen | |
Kreisläufen und regionaler Selbstversorgung. Postwachstumsökonomie also. | |
## "Nichts ist gesponnen" | |
Es ist höchste Zeit. Seattle ist gerade überschwemmt worden, Australien | |
nach Klimakatastrophen zum Ökoland konvertiert, und in den Industriestaaten | |
werden Nato und Militär gegen Klimaflüchtlinge eingesetzt, auch gegen | |
solche aus dem eigenen Land. Aufgrund der mittlerweile häufig | |
hereinbrechenden Katastrophen vom Kaliber New Orleans kann ihnen nicht mehr | |
geholfen werden. Stattdessen werden sie ohne Anklage in Guantánamo-artige | |
Lager weggesperrt, um die "staatliche Ordnung" aufrechtzuerhalten. | |
"Nichts ist gesponnen", sagt Fleck, schon gar nicht das | |
Flüchtlingsszenario. Das sei im Fall der USA längst Teil von | |
geostrategischen und sicherheitspolitischen Szenarien. Er hat die Romanform | |
gewählt, weil die Entwicklungen damit effektiver zu vermitteln seien. Im | |
Grunde hat er sogar die Nuklearkatastrophe von Fukushima in dem bereits | |
fertiggestellten Buch antizipiert: das Warnen der Seismologen, die | |
Behauptungen der Verantwortlichen, das AKW sei "sicher". | |
Fleck volontierte in den 60ern beim Spandauer Volksblatt, einer linken, | |
später eingegangenen Tageszeitung. Damals habe er "manchmal vor Glück | |
gesungen", weil er Journalist sein durfte. Sagt er wirklich. Meint er auch | |
wirklich so. Später arbeitete er bei der Hamburger Morgenpost und bei | |
Merian. Dann bei Markus Peichls gern mythisiertem Zeitströmungsmagazin | |
Tempo, das er "das größte Missverständnis meines Lebens" nennt und wo er | |
"nur Fassade" fand. | |
Nach der vierten spontanen Kündigung, diesmal bei der Woche, habe er es | |
dann endlich geschafft, "nicht mehr rückfällig zu werden", sich nicht mehr | |
korrumpieren zu lassen von Status, Eitelkeitsbefriedigung und fünfstelligem | |
(Mark-)Gehalt. Den "gehobenen Journalismus" hat er als | |
"Unterhaltungsindustrie" erlebt. "Qualitätsjournalismus" ist ein Wort, mit | |
dem er nur noch sehr vorsichtig umgeht. Es sei nicht leicht, auf sehr viel | |
weniger Geld umzustellen, aber er wollte "die knapp bemessene Zeit meiner | |
Existenz" nicht länger vergeuden. Sondern nutzen für Dinge, die ihm wichtig | |
sind. Seither ist er mit seinem Thema unterwegs, mit Lesungen, Vorträgen, | |
in Schulen, im [1][Internet]. | |
Das Interessante ist, dass bei Fleck Abrechnungen nicht selbstgerecht | |
klingen und Predigten nicht über-ichig. Freunde beschreiben ihn als | |
"uneitel", und so wirkt er auch. Sein Roman-Anti-Held ist jedenfalls nicht | |
zufällig der Exjournalist Cording, der sich von einem vordergründig | |
"kritischen" Umweltmagazin verabschiedet hat, weil es in Wahrheit eine | |
Greenwashing-Maschine für Großkonzerne war, die selbstredend in Wahrheit so | |
weitermachten wie immer. Auf der einen Seite hat Flecks Romanwelt ein | |
ökologisches Momentum aufgenommen. Immer mehr Staaten sagen sich von der | |
ressourcenzerstörenden Art des Wirtschaftens los und schließen sich der | |
neuen Union von Maeva an, die eine "Politik des Herzens" - das heißt, auf | |
Öl, Kohle, Atom und Börsen wird verzichtet - predigt, was dann doch ein | |
bisschen kirchentagsmäßig rüberkommt. | |
## Ökodiktatur als Konsequenz der Politik | |
Auf der anderen Seite ist der aus Kalifornien und Oregon bestehende neue | |
Ökostaat "Ecoca" mit seinen autofreien Städten eben kein gelebtes | |
ökosoziales Paradies, sondern eine Ökodiktatur, in der das Internet | |
geschlossen ist, das Reisen verboten, das Gebären nur auf Gutschein erlaubt | |
ist und die Verantwortlichen der alten Welt in Schauprozessen abgeurteilt | |
werden. | |
Ah, und besonders schön: Wer beim verbotenen Autofahren erwischt wird, muss | |
sich zur Strafe in ein Auto setzen und dann werden die Abgase eingeleitet. | |
Nicht tödlich, aber so, dass der Ökoverbrecher selbst angetan bekommt, was | |
er der Umwelt antut. Welt-Oberökoskeptiker Ulf Poschardt und die | |
Wachstumsfreunde der FAZ, die bereits angesichts des | |
baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vor einer | |
Ökodiktatur warnen, werden es mit Begeisterung lesen: Alles noch viel | |
schlimmer! | |
Flecks Heldin Maeva distanziert sich selbstredend von Ecoca. Aber in der | |
Realität sieht er – nach einem vorübergehenden Faschismusausschlag – eine | |
Ökodiktatur auf uns zukommen, als mittelfristige Konsequenz der Politik von | |
heute. "Wir brocken sie unseren Kindern grade ein." Es sind die Kinder der | |
Tätergeneration, die in seinem Roman die Wende herbeiführen wollen -und | |
dann bei der Durchsetzung ihrer hehren Ziele verhärten und selbst zu | |
Verbrechern werden, wie jenes Kommando junger Umweltaktivisten, das in der | |
Einstiegsszene einen US-General liquidiert, der die Bürgerrechte für | |
Klimaflüchtlinge außer Kraft setzen half. Wer da nicht an die RAF denkt, | |
ist selbst schuld. | |
Gut, die polynesische Utopie kommt ein bisschen utopisch daher, manche | |
Actionszene etwas kolportagehaft, und die Rettung der Welt durch das | |
weibliche Prinzip ("Politik des Herzens") duftet nach dem spirituellen | |
Frauenkreis Tübingen. Dennoch ist "Maeva!" kein folkloristisches | |
Klimarührstück, sondern ein Steinbruch der Inspiration. Fleck positioniert | |
sich mit dem Buch auf der Seite jener, die nicht an eine | |
praktisch-technologische Lösung glauben, sondern die Lösung nur in | |
radikalem Mentalitätswandel und Konsumverzicht sehen. | |
## Das "grüne Erwachen" ist ein Placebo | |
Wie viele, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen, ist Dirk C. Fleck | |
hin- und hergerissen zwischen neuer Hoffnung durch die leichte, | |
gesellschaftliche Bewegung der Gegenwart und dem Wissen, dass alles doch zu | |
langsam geht, viel zu wenig ist und der westliche Mensch nicht zu diesem | |
radikalem Mentalitätswandel neigt. Aber hat nicht gerade die | |
CDU/FDP-Bundesregierung den Atomausstieg wiederhergestellt? | |
Fleck lächelt. | |
Und hat nicht der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg die | |
ökosoziale Wende ausgerufen? | |
"Wenn wir nicht diese Giga-Probleme hätten in der Welt", sagt er, "dann | |
wäre das ein schöner, liberaler, frischer Wind". Aber angesichts der | |
Realität sei selbst das "grüne Erwachen" letztlich nur ein Placebo. | |
Geht alles schlimm aus? Das weiß man nicht, denn "Maeva!" endet mit einem | |
Cliffhanger. | |
Dirk C. Fleck: "Maeva!". Greifenverlag, 332 S., 19,90 Euro | |
13 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.maeva-roman.de/ | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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