# taz.de -- SPD denkt über Untätigkeitsklage nach: Machtkampf ums Wahlrecht | |
> Im Streit um ein neues Wahlrecht droht die SPD der Koalition mit dem | |
> Verfassungsgericht. Ein Gutachten belegt: Neuwahlen wären nicht möglich. | |
Bild: Nicht untätig: Der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der SPD, … | |
BERLIN taz | Im Streit um das Wahlrecht droht die SPD der schwarz-gelben | |
Koalition mit dem Bundesverfassungsgericht. Wenn die Koalition bis Ende | |
September keine Regelung verabschiede, werde die SPD-Fraktion eine | |
"Untätigkeitsklage" einreichen, kündigte der parlamentarische | |
Fraktionsgeschäftsführer, Thomas Oppermann, am Mittwoch in Berlin an. | |
Sollte Schwarz-Gelb bei seinem Entwurf bleiben und ihn mit der eigenen | |
Mehrheit beschließen, werde es eine Normenkontrollklage geben. "Der | |
Vorschlag der Koalition ist ein noch verfassungswidrigerer Entwurf als das | |
jetzt bestehende Wahlrecht", sagte Oppermann. Nur ein ganz neuer Vorschlag | |
würde die SPD vom Gang nach Karlsruhe abhalten. | |
Mit der Doppeldrohung zieht die SPD die Daumenschrauben in einer | |
monatelangen Auseinandersetzung an. Das Bundesverfassungsgericht hatte | |
bereits im Juli 2008 die bisherige Wahlregelung für verfassungswidrig | |
erklärt, die Richter monierten den Effekt des "negativen Stimmgewichts". | |
Sie beauftragten den Gesetzgeber, bis zum 30. Juni dieses Jahres eine | |
Alternative zu finden. | |
Die Frist verstrich, ohne dass Schwarz-Gelb eine Gesetzesänderung im | |
Bundestag beschlossen hätte. Die Koalition reichte allerdings in letzter | |
Minute den strittigen Entwurf ein. Als "negatives Stimmgewicht" bezeichnet | |
man einen paradoxen Effekt, der bei Bundestagswahlen bisher möglich ist. | |
Dabei kann es passieren, dass eine Partei durch zusätzliche Zweitstimmen | |
bei einer Wahl weniger Mandate erhält, als wenn sie etwas weniger Stimmen | |
bekäme. Der Wählerwille kann also in sein Gegenteil verkehrt werden. | |
## Oppermann stellte Gutachten vor | |
Die Koalitionäre legten zuletzt einen Entwurf für eine Neuregelung vor, der | |
nach der Sommerpause weiter beraten werden soll. Künftig soll demnach jedes | |
Bundesland separat seine Volksvertreter in den Bundestag entsenden. Anders | |
als bisher sollen die Zweitstimmen nicht mehr zwischen den Ländern | |
verrechnet werden. Überhangmandate soll es weiter geben. Diese entstehen | |
dann, wenn durch die Erststimmen mehr Direktkandidaten einer Partei gewählt | |
werden, als ihr durch die Zweitstimmen im Parlament zustehen. | |
Unions-Fraktionsvize Günter Krings verteidigte den Gesetzentwurf der | |
Koalition. Der Effekt des negativen Stimmrechts entstehe "durch das | |
Zusammenspiel der Mandatsverrechnung zwischen den Ländern und | |
Überhangmandaten", sagte Krings am Mittwoch. "Unser Gesetzentwurf | |
korrigiert den Kern des Problems, indem er auf die Verbindung der | |
Landeslisten verzichtet. Er ist die einfachste und logischste Lösung." | |
Oppermann stellte ein Gutachten des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten | |
Hans-Jürgen Papier vor. Danach ist das jetzige Wahlrecht nicht mehr | |
anwendbar. Würde momentan ein neuer Bundestag gewählt, hätte laut Papier | |
eine "Wahlprüfungsbeschwerde" Erfolg: Das heißt, das Verfassungsgericht | |
müsste die Wahl für ungültig erklären, und das Parlament würde aufgelöst. | |
Papier bescheinigt den Koalitionären in dem Gutachten einen | |
"Verfassungsverstoß" durch die Tatsache, dass sie keine Neuregelung auf den | |
Weg bringen. Eine Klage hält er für zulässig. | |
Die Sozialdemokraten wollen die schwarz-gelben Koalitionäre auf diesem Weg | |
zum Handeln zwingen, wie Oppermann sagte. "Wir werden sie auf jeden Fall | |
verklagen", kündigte er an. Lediglich ein völlig neuer Entwurf der | |
Koalition könnte das verhindern. Der bisherige Entwurf sei "nicht | |
reparabel", sagte der SPD-Politiker. Sollte ein alternativer Vorschlag von | |
den Koalitionären kommen, werde seine Fraktion diesen zügig prüfen und über | |
weitere Schritte entscheiden. | |
Die SPD präferiert ein Wahlrechts-Modell, bei dem Überhangmandate | |
ausgeglichen werden. Krings sagte zu dem SPD-Vorschlag: "Eine solche Lösung | |
korrigiert das negative Stimmgewicht nicht, sie dämpft allenfalls den | |
politischen Effekt." Die Lösung werde damit dem Auftrag des | |
Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht. "Sie würde zudem den Bundestag | |
stark aufblähen, weil hohe Zahlen von Ausgleichsmandaten anfielen", sagte | |
Krings weiter. | |
Krings verteidigte das Festhalten an Überhangmandaten. "Überhangmandate | |
können Mehrheiten stabilisieren, sie stärken das Modell der Volkspartei", | |
sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion. | |
"Deshalb wundert mich schon, dass die SPD so stark auf einen Ausgleich | |
pocht. Das muss man wohl als Ausdruck der Resignation werten." | |
13 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
G. Repinski | |
U. Schulte | |
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