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# taz.de -- Streit um Vitamin D: Sonne aus der Pillenpackung
> Unter Wissenschaftlern tobt ein Streit, wie hoch der optimale
> Vitamin-D-Spiegel ist. Zu wenig führt wohl zu Knochenschwäche, zu viel zu
> Krebs.
Bild: Vitaminkur – oder in die Sonne. Das macht manchen aber wieder Angst vor…
Vitamin D soll vor Herzkrankheiten, Krebs, Depressionen, grippalen Infekten
und Autoimmunerkrankungen schützen. Doch nun haben sich Wissenschaftler in
Sachen Vitamin D gehörig in die Haare bekommen.
Vitamin D ist ein Stoff, den der Mensch großenteils mithilfe von
UVB-Strahlen in der Haut bildet. In der Nahrung findet sich nur wenig
Vitamin D. Aber schon darüber, was der optimale Bedarf ist, ist sich die
Fachwelt uneins.
So hat das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) Ende vergangenen
Jahres in einem Report konstatiert: Werte von unter 20 Nanogramm Vitamin D
pro Milliliter Blut seien als unzureichend anzusehen und führten zu
schlechter Knochengesundheit. Und dafür müssten Kinder und Erwachsene 600
IU (international units) Vitamin D täglich aus der Nahrung aufnehmen. Dass
höhere Werte ein Schutz für die viel zitierten Krankheiten wie Diabetes
oder Krebs sind, lasse sich jedoch mangels guter, klinischer Studien nicht
belegen.
Der IOM-Report hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Michael Holick,
Vitamin-D-Koryphäe von der University in Boston; USA, hält diese
Empfehlungen schlichtweg für falsch: "Viele Daten sagen, dass mindestens 30
ng/ml Blut nötig sind, damit sich gesundheitliche Effekte einstellen."
Zudem könne man mit der neuen Zufuhrempfehlung keineswegs seine Blutwerte
aufbessern.
## "Vitamin D ist kein Medikament"
Fakt ist, dass es zu Vitamin D fast nur sogenannte Beobachtungsstudien
gibt, und die beweisen keine Ursache-Wirkung-Beziehung. "Aber Vitamin D ist
kein Medikament, das man in klinischen Studien auf seine Wirkung
untersuchen kann. Dass bakteriell belastetes Brunnenwasser oder
Zigarettenrauch ein Risiko ist, hat man auch nicht in solchen Studien
überprüft", argumentiert etwa Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler und
Buchautor ("Heilkraft D", Systemed Verlag, 2010).
In Deutschland haben 60 Prozent der Erwachsenen laut Daten des
Robert-Koch-Instituts einen Vitamin-D-Wert von unter 20 ng/ml – geht man
nach den Empfehlungen des IOM-Reports, ist das ein Mangel. Um
gegenzusteuern, Einige Mediziner plädieren für Vitamintabletten, wie etwa
die Altersforscherin Heike Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich. Sie
glaubt, dass so vor allem Senioren und Frauen nach den Wechseljahren ihr
Risiko für Knochenbrüche um etwa 20 bis 30 Prozent senken könnten.
Bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hält man auch
ein Vitaminplus in Pillenform für sinnvoll, etwa wenn Kinder stundenlang
vor dem Computer sitzen. Nicolai Worm empfiehlt allen Menschen im Winter,
wenn kein Vitamin D aus der Sonne aufgebaut wird, Hilfe aus der
Pillenpackung. Und zwar in relativ hohen Dosierungen von über 1.000 IU,
aber nur in Absprache mit einem Arzt.
## Immer mehr Ärzte verschreiben Vitaminkuren
Tatsächlich verschreiben immer mehr Ärzte ihren Patienten eine Vitaminkur,
besagen zumindest Zahlen aus den USA. In den letzen zwei Jahren wurden
doppelt so viele Vitamin-D-Tabletten verkauft wie zuvor.
Einen allzu laxen Umgang mit dem Vitamin bewerten jedoch Onkologen als
kritisch, denn: Die Studien, die die Wirkung von Vitamin-D-Tabletten bei
verschiedenen Krebsarten untersucht haben, waren widersprüchlich. "Bei
Prostata-, Speiseröhren- und Pankreas-Krebs etwa war das Risiko durch
Vitamin D eher erhöht", sagt die Krebsexpertin Leena Hilakivi-Clarke von
der Georgetown University. "Wie Vitamin-D-Tabletten wirken, ist individuell
sehr unterschiedlich." So könnten etwa Mikrotumore durch eine Vitaminkur
erst recht wachsen.
Auch Hartmut Glossmann, Mediziner an der Universität Innsbruck meint:
"Pillen reichen nicht, weil Sonnenstrahlen viel mehr gute Wirkungen haben,
als nur Vitamin D zu liefern." Wärme und Licht der Sonne sind gut fürs
Gemüt. Zudem kann UV-Strahlung auch ohne Mithilfe von Vitamin D direkt das
Immunsystem puschen und Entzündungen eindämmen.
## Renaissance des Sonnenbads
Wer also keine Pillen mag, der müsste im Sommer ausreichend Sonne tanken
und im Winter gar ins Solarium gehen. Doch wird man nicht allenthalben
gerade davor gewarnt?
Hautkrebsraten steigen seit rund 30 Jahren, daher haben die
Gesundheitsbehörden große Kampagnen gegen ausschweifende Sonnenbäder
initiiert und werben für einen vernünftigen Umgang mit der Sonne.
Schließlich ordnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) UV-Strahlung auf
der höchsten Krebsrisikostufe ein. So sollte man das Haus im Sommer nur mit
Hut und reichlich Sonnencreme verlassen, sowie die Mittagsstunden zwischen
11 und 15 Uhr in Innenräumen oder zumindest im Schatten zubringen.
Vor dem Bräunen auf der Sonnenbank wird dringend gewarnt "Der regelmäßige
Gang ins Solarium erhöht bei Frauen unter 35 Jahren das Melanomrisiko um 75
Prozent", erklärt Beate Volkmer von der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische
Prävention. Und diese Warnungen haben Wirkung gezeigt: Eine Umfrage des
Sportartikelherstellers Columbia aus dem Jahr 2009 hat aufgedeckt, dass
jeder zweite Befragte sein "Sonnen-Verhalten" in den letzten Jahren
geändert hat und vorsichtiger geworden ist. Auch die Solarienbetreiber
beklagen einen massiven Besucherschwund.
## 10 bis 20 Minuten ohne Sonnencreme
Doch die meisten Vitamin-D-Experten plädieren für ein Umdenken in Sachen
Sonne. "Mit den derzeitigen Empfehlungen zum Schutz vor Hautkrebs und
Falten ist die Bildung von Vitamin D fast unmöglich ist", meint Worm. "Man
sollte zweimal pro Woche je nach Hauttyp 10 bis 20 Minuten ohne Sonnencreme
auf Gesicht und Armen in die Sonne gehen, bei Vorbräunung sogar länger."
Sonnencreme mit einem hohen Lichtschutzfaktor blockiert die Bildung von
Vitamin D in der Haut komplett.
Auch Glossmann kritisiert die Angst vor der Sonne: "Es gibt tatsächlich
mehr tödlichen Hautkrebs seit rund 70 Jahren, aber vor allem bei
Indoor-Workern, nicht etwa bei Bauarbeitern. Regelmäßiges Sonnen schützt
also vor Melanomen", meint Glossmann. Er empfiehlt darum etwa täglich 10
Minuten in der Mittagssonne seine Vitamin-D-Speicher aufzustocken, da dann
das UV-Spektrum am besten sei.
Er sieht auch den Gang ins Solarium wohl dosiert als Heilmittel gegen
diverse Krankheiten. Worm und Glossmann betonen jedoch, dass in jedem Fall
Hautrötung oder gar Sonnenbrand zu vermeiden ist.
## Webseiten von Geschäftemachern
Während sich Wissenschaftler über das Vitamin zanken, sehen
Solarienhersteller und Vitaminpillen-Fabrikanten ihre Zeit als günstig an.
So findet man im Internet zahlreiche Informationsseiten, hinter denen die
Industrie steht.
Die Website [1][www.sonnennews.de] "Sonne ist Leben" bietet etwa
Informationen zu Sonne Haut, Solarien und wird von einer PR-Agentur
betrieben. Auch das "Sunlight Research Forum" (SFR) wurde von einem
ehemaligen Solarieningenieur gegründet. Zudem schmücken sich diese Akteure
zunehmend mit angesehenen Wissenschaftlern, veröffentlichen Interviews,
zitieren deren Studien.
Auch zu Vitamin-D-Tabletten und angereicherten Lebensmitteln findet man
verstärkt Werbung gekoppelt mit wissenschaftlichen Studien.
[2][www.Vit-D.info] hat etwa das Ziel, "umfassend und aktuell zum Thema
Vitamin D zu informieren". Der Betreiber DeltaStar ist spezialisiert auf
den Vertrieb von US-Vitalstoffpräparaten.
Die Gegenseite ist ebenso gut formiert. So gibt es etwa Verbindungen des
Industrieverbands Körperpflege und Waschmittel mit diversen
Forschungseinrichtungen. Auch der "Tag des Sonnenschutzes" am 21. Juni
wurde von medizinischen Berufsverbänden und der Kosmetikindustrie
organisiert.
15 Jul 2011
## LINKS
[1] http://www.sonnennews.de
[2] http://www.Vit-D.info
## AUTOREN
Kathrin Burger
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