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# taz.de -- Feldbefreier stehlen Wachdienstdokumente: Die vermummten Landfreund…
> Wachleute eingeschlossen, Feld zerstört. Jetzt kam heraus: Die Aktivisten
> ließen auch Wachdienst-Dokumente mitgehen. Die liegen der taz vor, einige
> sind hier verlinkt.
Bild: Biovativ-Geschäftsführerin Kerstin Schmidt spricht von 250.000 Euro Sch…
BERLIN taz | Die Täter kamen nachts, und sie waren vermummt. Ihr Ziel: Die
Versuchs- und Demonstrationsanlage für gentechnisch veränderte Pflanzen im
sachsen-anhaltischen Üplingen. Einmal auf dem Gelände, nötigten sie laut
Polizei einen Wachmann "unter Vorhalt von Pfefferspray", sein Handy
herauszugeben. Einen anderen Wächter sollen sie im Wachhaus bedroht haben -
damit sie ungestört gentechnisch veränderte Kartoffel-, Weizen- und
Maispflanzen aus dem Boden reißen und niedertreten konnten.
So geschehen in der Nacht zu Montag im "Schaugarten Üplingen", einem
wissenschaftlichen Besuchsgarten, in dem Interessierte nach Darstellung der
Betreiber "Pflanzenforschung erleben", also gentechnisch veränderte
Pflanzen anschauen können.
Nun legen sie nach. In einem Bekennerschreiben und einer
Dokumentensammlung, die der taz in Kopie vorliegen, dokumentieren die
mutmaßlichen Feldzerstörer die Früchte ihres Beutezugs. Demnach haben sie
nicht nur – wie die Polizei zu Protokoll gab – 670 Quadratmeter Boden von
gentechnisch veränderten Pflanzen befreit, sondern bei ihrer Erstürmung
auch Dokumente des Wachdienstes abgeräumt.
## Projektwerkstatt Saasen
Diese anonym zugestellten Dokumentensammlung tauchte nun bei der
sogenannten [1][Projektwerkstatt Saasen] auf, ein Haus- und Politikprojekt
bei Gießen, in dem sich politische Aktivisten wie der bundesweit bekannte
Feldbefreier Jörg Bergstedt, die Politaktivistin Hanna Poddig sowie die als
"Eichhörnchen" bekannte Kletteraktivistin Cecile Lecomte vernetzen und
organisieren.
In dem Schreiben bedanken sich die Urheber des Bekennerschreibens für
Vorträge der Initiative über Verflechtungen zwischen Gentech-Konzernen und
Genehmigungsbehörden – denn das bunte, anarchisch anmutende Haus in der
kleinen Ortschaft ist so etwas wie die Zentrale der radikalen
Feldbefreiung, seitdem der Gentechnikgegner Bergstedt vor Jahren mit
öffentlichen Protestaktionen, Gerichtsprozessen und bundesweiten
Vortragstouren auf die Gefahren der umstrittenen Technologie hinweist.
"wir.waren.entsetzt", heißt es in dem Schreiben der mutmaßlichen
Feldbefreier. "wir.haben.uns.um.das.handwerkliche.gekuemmert.
mögen.sie.ab.heute.jammern. (…)
wir.wollten.den.betrüger_INNEN.und.lügner_INNEN.das.handwerk.legen." Ihre
Aktion sei "die.quittung.fuer.die.verbrecher_INNEN", so heißt es darin
weiter.
## "ein.paar.vermummte.landwirt_INNEN.und.freund_INNEN"
Auch zum Hintergrund der Täter geben die Dokumente Hinweise. Die Absender
bezeichnen sich als "ein.paar.vermummte.landwirt_INNEN.und.freund_INNEN".
Das passt zu der Tatsache, dass viele Bauern – vor allem biologisch
wirtschaftende – Angst davor haben, gentechnisch veränderte Pflanzen
könnten ihre Ernte verunreinigen. Der Kampf um das Gengut, er nimmt eine
neue Qualität an.
Auch östlich von Rostock waren am Wochenende des Nachts mit sehr ähnlichen
Mitteln Aktivisten organisiert gegen Wachleute und umstrittenes Saatgut
vorgegangen. Die Polizei sprach daraufhin von einer neuen Qualität der
Gewalt.
Doch dass sie zu rabiat gegen die Wachleute vorgegangen sein könnten, das
wollen die radikalen Feldbefreier nicht auf sich sitzen lassen.
"wir.haben.alle.menschen.so.behandelt, daß.ihnen.nichts.passiert.ist.
uns.aber.auch.nicht", heißt es in dem Bekennerschreiben. Dass bei den
entschlossenen Übergriffen tatsächlich niemand verletzt worden war, hatte
zuvor bereits die Polizei bestätigt.
## Bekennerschreiben wohl echt
Für die Echtheit des Bekennerschreibens spricht, dass es laut
Projektwerkstatt in einem Briefumschlag mit weiteren Unterlagen kam, die
sich leicht als mit hoher Wahrscheinlichkeit authentisch einstufen lassen:
Dokumente des Wachdienstes, die die Täter bei ihrer Aktion entwendet haben
wollen. Diese Dokumente, die ebenfalls der taz vorliegen, enthalten
beispielsweise eine Liste mit Festnetz- und Handynummern der Betreiber des
Schaugartens.
Eine Stichprobe der taz ergab, dass die hier dokumentierten Rufnummern mit
den tatsächlichen übereinstimmen. Die Polizei bestätigte indes, dass die
Feldzerstörer etwa das Dienstbuch der Wächter entwendet hätten. Den der taz
vorliegenden Unterlagen liegt eine Seite daraus bei.
Die Papiere zeigen, dass die Gentech-Industrie ihre Gegner gezielt
beobachtet. So lag den Wachleuten etwa ein Dossier über den radikalen
Feldbefreier Jörg Bergstedt vor. Darin dokumentiert: Fotos von Bergstedt,
ein Wikipedia-Eintrag über dessen Aktivitäten und die Anweisung, sofort
Alarm zu schlagen, falls Bergstedt "an dem Bewachungsobjekt auftaucht".
Wörtlich warnt die Zentrale der Firma ABS Sicherheitsdienst, die die Anlage
in Üplingen schützen soll: "Herr Bergstedt schreckt nicht vor Gewalt
gegenüber dem Bewachungsobjekt oder dem Bewachungspersonal zurück."
Hintergrund ist offenbar, dass Bergstedt rechtskräftig wegen einer
Feldzerstörung verurteilt wurde. Bergstedt selbst wundert sich über diese
Einordnung. Gegenüber der taz sagte er: "Es gibt keinen dokumentierten
Vorgang, der belegt, dass ich jemals Wachmänner angegriffen hätte."
## Bergstedt: "rechtfertigender Notstand"
Doch auch Bergstedt ist kein Kind von Traurigkeit: "Radikal gewaltfrei bin
ich auf keinen Fall", sagte er der taz. "Wenn man das begründbare Ziel hat,
eine effektive Feldbefreiung durchzuführen, ist es nicht nur eine legitime
Strategie, sondern schlichtweg eine Notwendigkeit, den Wachleuten die
Möglichkeit zu nehmen, bei der Polizei anzurufen." Der Aktivist begründet
seine politischen Aktionen mit einem "rechtfertigenden Notstand" - weil
seine moralische legitime Position einsam "dem kompletten Staatspotenzial"
entgegenstünde.
Vor Gericht hatte diese Argumentation allerdings bislang noch nie Bestand.
Gleichzeitig konnte Bergstedt aber auch nie gewalttätiges Verhalten
nachgewiesen werden. Ein Urteil wegen Körperverletzung eines Polizisten
wurde 2007 vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Ob er selbst an den
letzten Aktionen beteiligt war, will Bergstedt nicht sagen, "um das
Ermittlungsfeld für die Polizei nicht ohne Not einzuschränken".
Auch die ebenfalls im Umfeld der Saasener Projektwerkstatt aktive Hanna
Poddig wollte sich von den Aktionen nicht distanzieren. "Ich freue mich
über die kaputten Felder", sagte sie der taz. Auch sie sieht in den
Feldbefreiungen des Wochenendes eine neue Qualität. "Die sehr organisierte
Art des Angriffs auf die Felder habe ich in der Vergangenheit so noch nicht
wahrgenommen." Von einer Eskalation der Gewalt könne aber nicht gesprochen
werden. Schließlich sei niemandem etwas passiert.
## Strategien der Betreiber
Bei ihrem mutmaßlichen Beutezug in dem Wachhäuschen wollen die
Feldzerstörer auch Infomaterial der Sicherheitsfirma über Demonstrationen
von Gentechnik-kritischen Bauern gefunden haben. Zudem gewährt eine
Dienstanweisung Einblicke in die Strategien der Betreiber, wie mit
Besuchern und Störern umzugehen sei.
So unterteilt der Wachschutz die zu erwartenden Besucher des Geländes in
"am Thema Gentechnik interessierte Personen", in "Personen mit ausgeprägter
Gentechnik-kritischer Einstellung" und "Personen mit militantem Verhalten
und Zerstörungsvorsatz", auf die jeweils unterschiedlich zu reagieren sei.
An "Interessierte" wie Bürgerinitiativen, Journalisten oder
Kommunalpolitiker sollten die Wächter Infomaterial verteilen.
## Bei Gesichtsmaske: Polizei
Sollten sich dagegen Gentechnikkritiker wie etwa Greenpeace-Mitglieder in
verdächtiger Weise dem Gelände nähern, so müsse die Polizei gerufen werden.
Bei Militanten, die "mit großer Wahrscheinlichkeit nachts tätig und mit
Gesichtsmasken vermummt sind", sollten sie "sofort die Polizei anfordern"
und sich in ihrem Wachcontainer zurückziehen. Denn: "Gewalt gegen
Wachpersonal wird rücksichtslos eingesetzt", heißt es da.
Offen bleibt allerdings, was die Gentechnikgegner mit der Veröffentlichung
der Dokumente bezwecken wollen. Denn die Dossiers und Warnungen, die sich
aus Material aus öffentlichen Quellen speisen, beschreiben, was der Ansturm
auf das Gentechnikgelände in Üplingen in der Nacht zu Sonntag mit sehr
konkreten Fakten hinterlegt hat: Die Gentechnikgegner sind im Kommen. Und
sie kommen auch nachts.
15 Jul 2011
## LINKS
[1] http://www.projektwerkstatt.de/pwerk/saasen.html
## AUTOREN
J. Maurin
M. Kaul
## TAGS
Anti-Atom-Bewegung
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