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# taz.de -- Griechischer Künstler zur Staatskrise: "Ein Segen für das Land"
> Die politische Elite Griechenlands? Durch und durch korrumpiert, sagt der
> Kulturschaffende Nikos Veliotis aus Athen. Die Gesellschaft sei von einem
> System des Nepotismus durchdrungen.
Bild: Slogan, Slogans, Slogans: Der Bürgermeister von Theben, Spyros Nikolaou,…
taz: Herr Veliotis, wie lebt es sich in einem Land am Rande des
Staatsbankrotts?
Nikos Veliotis: Es fühlt sich seltsam an, muss ich zugeben. Mich beunruhigt
die allgemeine Apathie. Aber was ich eine positive Entwicklung finde, ist,
dass sich am Platz vor dem Parlament in Athen seit einigen Wochen jeden Tag
Bürger friedlich versammeln. Junge wie alte. Sie fühlen sich keiner Partei
oder politischer Linie zugehörig. Auf der anderen Seite ist unsere
Gegenwart in Griechenland von unerhörten Spannungen geprägt, auch von
großer Unsicherheit. Einheimische Medien, Zeitungen, Radio und TV finden
auf die rasanten Entwicklungen keine Antworten. Sie verschlimmern die Lage
noch. Um mich zu informieren, muss ich ins Internet und auf ausländischen
Seiten surfen.
Reden Sie denn beim Bäcker auch über die Entwicklungen?
Die kleinen Leute haben die Schnauze gestrichen voll. Und sie haben den
Respekt vor den Politikern verloren. Deshalb finde ich, auch wenn sie
unpolitisch sind, die Proteste vor dem Parlament wichtig. Ich habe noch nie
so viele respektlose Griechen gesehen. Die Leute haben nicht mehr so viel
Angst. Denn es ist zu befürchten, dass die Modernisierung Griechenlands
nicht automatisch zu einer gerechteren Politik führen wird. Die Anhebung
der Steuern wirkt etwa eher wie eine Panikreaktion. Vielleicht ist das ja
gewollt. Wenn man die Menschen panisch macht, kann man sie leichter
regieren.
Wie würden Sie das Parteiengefüge im griechischen Parlament
charakterisieren?
Die Politik in Griechenland wird von einem Zweiparteiensystem bestimmt. Es
ist dieses System, das in eine fundamentalen Krise geraten ist. Wissen Sie,
es gibt ja weitere Parteien, auf der Linken und auf der Rechten, aber alle
politischen Gruppierungen unterstützen die Aufteilung der beiden mächtigen
Parteien, die seit 40 Jahren in unserem Land Bestand hat. Die
Ministerpräsidenten, jeweils gestellt von einer der beiden Parteien,
stammen von drei Familien ab. Und sie regieren nach dem Prinzip des
Nepotismus. Die politische Elite ist durch und durch korrumpiert. Momentan
ist die einzige Hoffnung, dass wir das endlich begreifen.
Können Sie das Prinzip des Nepotismus näher erläutern?
Viele Griechen haben stets nach Aussichten für ihre beruflichen Karrieren
gewählt. Umgekehrt wurden, solange ich mich erinnern kann, Stimmen von
Politikern gekauft. Das funktioniert, indem man bei einer Wahl Kandidat XY
unterstützt, der dann für den Neffen einen Job klarmacht. Ich kenne
ungezählte solcher Fälle. Ich meine, es ist nicht so, dass man nur durchs
Leben kommt, wenn man dieser Logik folgt. Wenn es so wäre, hätte ich mein
halbes Leben arbeitslos sein müssen. Aber es geht einfach leichter, wenn
man vorhat, in den öffentlichen Dienst einzusteigen. Und das ist ja die
Wurzel des Übels. Der öffentliche Dienst in Griechenland ist ungesund
aufgebläht, er hat Tausende mehr Angestellte, als jeder öffentliche Dienst
im Rest der Welt benötigt. Das wussten alle, aber es war eben bequem. Dass
es jetzt nicht mehr so läuft, ist, man muss es so drastisch sagen, ein
Segen für das Land.
Wie das?
Für mich ist Griechenland keine funktionierende Demokratie. Wir brauchen
keine Revolution in den Straßen, wir brauchen eine Revolution in den
Köpfen. Es muss sich im Spirituellen etwas ändern, ich meine das nicht im
religiösen Sinne, ich meine das eher ethisch. Wie sollen Menschen ein
Gefühl für demokratische Grundprinzipien entwickeln, wenn es die Regierung
nicht vorlebt? Die Regierung hat in einer Grundsatzentscheidung
Sparprogramme beschlossen und Entlassungen im großen Stil angekündigt. Das
betrifft alle, außer die politische Klasse selbst. Bislang haben sich die
Parlamentsabgeordneten nach jeder Wahl immer schön die Diäten angehoben.
Erst kürzlich, zum ersten Mal, wurden die Politikerbezüge um 5 Prozent
gesenkt. Das ist doch eine Komödie. Als die ersten Anzeichen der Rezession
spürbar waren, kam zum Vorschein, dass 14.000 Menschen dem griechischen
Staat 36 Milliarden Euro an Steuergeldern schulden. Ich denke also, es gäbe
nach wie vor fairere Maßnahmen, als nun diese Malaise der ganzen
griechischen Bevölkerung als Sparprogramm aufzuzwingen.
Wie ist es denn um die Steuermoral der Griechen bestellt? Ist sie
tatsächlich so schlecht?
Ich glaube, das wird im Ausland ein bisschen zu drastisch gesehen. Unsere
Mentalität hat sich schon dahingehend geändert, dass die Menschen viel
stärker als früher bereit sind, Steuern zu zahlen. Außerdem wird gerne
übersehen, dass es Steuerflucht in allen Sektoren der Gesellschaft gibt,
auch bei den Reichen. Und bei multinationalen Konzernen. Nicht nur die
kleinen Leute bescheißen. Auf der anderen Seite war es lange vor der
Rezession auch schon schwierig, mit einem Kleinbetrieb über die Runden zu
kommen. Auch für mich als freier Kreativer war es früher leichter,
inzwischen ist es ein beständiger Kampf, die Budgets für Kultur werden
stetig gekürzt. Das Problem bleibt nicht auf Griechenland beschränkt.
Gibt es innerhalb Griechenlands große Unterschiede?
Im Norden ist der Wohlstand noch etwas größer. Dort leben viele Menschen
von ihren Ersparnissen. Auf dem Land und in den Kleinstädten geht es noch
recht beschaulich zu. Athen steht auch deshalb im Zentrum der Proteste,
weil es eine Großstadt mit dem ungelösten Problem der Einwanderung ist. Die
Politik hat das sträflich vernachlässigt. Rassismus ist in einem ungeheuren
Ausmaß im Alltag in Athen verbreitet. Es ist einfach komplettes Chaos.
Haben Sie schon mal daran gedacht, das Land zu verlassen?
Klar. Aber ich mag Griechenland, ich mag die Landschaft, ich mag die Sonne,
deshalb fühl ich mich zu Hause. Nur mit der Mentalität will ich mich nicht
abfinden.
Finden Sie den Druck, der gegen Griechenland beispielsweise von Deutschland
gemacht wird, unfair?
Ich glaube, Deutschland behandelt in erster Linie die Deutschen unfair.
Menschen mit Macht bestimmen immer über die Machtlosen.
19 Jul 2011
## AUTOREN
Julian Weber
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