# taz.de -- BESSER ARBEITEN: "Die Lösung für viele Probleme" | |
> Kürzere Arbeitszeiten sanieren die Sozialkassen und erhalten die | |
> Gesundheit, sagt Margareta Steinrücke von der Arbeitnehmerkammer. Sie | |
> fordert den Sechs-Stunden-Tag. | |
Bild: Gute Ansätze gibt's auch in Bremen - beispielsweise bei den Stahlwerken. | |
taz: Frau Steinrücke, Deutschlands Beschäftigte müssen im Durchschnitt | |
1.655 Stunden im Jahr arbeiten. Das ist EU-weit der zweitniedrigste Wert. | |
Sie wollen die Arbeitszeit noch weiter senken. Weshalb? | |
Margareta Steinrücke: Es gibt hier faktisch fünf bis sechs Millionen | |
Arbeitslose. Das ist ein unmöglicher Zustand, der durch die | |
Arbeitszeitverlängerungen der letzten Jahre verschärft wird. Menschen haben | |
keine Zeit, sich um ihre Familien zu kümmern, die geschlechtergerechte | |
Verteilung von Arbeit wird immer schwieriger. Dem wollen wir etwas | |
entgegensetzen. | |
Ihre Initiative hat das "ABC der Arbeitszeitverkürzung" veröffentlicht hat. | |
Was ist das? | |
In der Bremer Arbeitszeitinitiative haben sich Arbeitnehmerkammer, der DGB | |
und die Einzelgewerkschaften, die Arbeitnehmerorganisationen der Kirchen | |
und Attac zusammengeschlossen. Wir halten die Arbeitszeitverkürzung für die | |
Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme - und für ökonomisch machbar. Das | |
haben wir in unserem "ABC" durchdekliniert. Damit wollen wir die Argumente | |
für kürzere Arbeitszeit bekannt machen. | |
Wie lange sollten die Menschen denn arbeiten? | |
Laut Berechnungen des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft müsste die | |
Arbeitszeit auf 28,8 Stunden fallen, um alle arbeitsuchenden Menschen auf | |
dem derzeitigen Produktionsniveau zu integrieren. Wir würden etwa 30 | |
Stunden vorschlagen. | |
Und wie kommen Sie darauf? | |
In der Krise 2009 gab es enorme indirekte Arbeitszeitverkürzung. In dem | |
Jahr wurde durchschnittlich 30 Stunden gearbeitet. Das Bruttosozialprodukt | |
schrumpfte um 5,6 Prozent, die Arbeitslosigkeit wuchs aber nur um ein | |
Prozent. Im Ausland wird dies als "deutsches Beschäftigungswunder" | |
bezeichnet. Es gelang durch Kurzarbeit, Arbeitszeitkontenabbau und | |
beschäftigungssichernde Arbeitszeitverkürzung. Arbeitszeitverkürzung hat | |
sich in der Praxis bewährt. | |
Sie wollen das auch außerhalb von Krisenjahren - bei vollem Lohnausgleich, | |
nehme ich an? | |
Bei den unteren Lohngruppen ja. Die können auf keinen Cent verzichten. Das | |
Land Bremen muss 102 Millionen Euro im Jahr für ,Aufstocker' aufwenden, die | |
so wenig verdienen, dass sie trotz Erwerbstätigkeit auf ergänzende | |
Sozialleistungen angewiesen sind. Das ist ein Unding. | |
Und andere Lohngruppen? | |
Die mittleren müssten teilweisen Lohnausgleich bekommen, höhere nicht | |
unbedingt. | |
Den Sozialkassen täte das aber nicht gut. | |
Alle, die dann nicht mehr arbeitslos oder in Minijobs beschäftigt wären, | |
würden so viel mehr in die Sozialkassen einzahlen, dass die sinkenden | |
Beiträge mittlerer und hoher Einkommen überkompensiert würden. Ein voller | |
Lohnausgleich für alle wäre aber auch möglich. | |
Weshalb? | |
Die Produktivität wächst durch Arbeitszeitverkürzung, das kommt den | |
Arbeitgebern direkt zugute. Bei einem Sechs-Stunden-Tag ist man | |
ausgeruhter, es gibt weniger Arbeitsunfälle. Die schnellen mit zunehmender | |
Arbeitszeit in die Höhe. | |
Glauben Sie, dass die Arbeitgeber das alles auch so sehen? | |
Die wenigsten Arbeitgeber sind so einsichtig. Sie sehen es nicht oder geben | |
es nicht zu, weil sie zu sehr in ihrer engen Einzelkapitallogik gefangen | |
sind. | |
Viele Branchen leiden unter Fachkräftemangel. Wenn Pfleger demnächst nach | |
sechs Stunden nach Hause gehen, bekommen Krankenhäuser und Heime aber ein | |
echtes Problem. | |
Das ist verkehrt herum gedacht. Die Hälfte aller Beschäftigten geht viel | |
früher als mit 65 in Rente. Die immer intensivere und teils längere Arbeit | |
zieht oft unendliche Krankschreibungen und psychische Erkrankungen nach | |
sich. Durch kürzere Arbeitszeiten bleiben ältere Beschäftigten länger | |
gesund. Hinzu kommt das Arbeitskräftepotenzial von Frauen, die wegen | |
Kindern pausieren. Ein Sechs-Stunden-Tag würde viele von ihnen locken - | |
damit lässt sich Kinderbetreuung viel besser vereinbaren als mit acht | |
Stunden. | |
Die deutsche Industrie hält die Sozialabgaben ohnehin für viel zu hoch, | |
höhere Löhne gelten als Gift für den Standort. Was sagen Sie dazu? | |
Wir haben in Deutschland die niedrigsten Lohnstückkosten in Europa. Die | |
Lohnkosten in den Schwellenländern können wir sowieso nicht einholen, das | |
ist auch gar nicht erstrebenswert. Ohnehin lohnt die Produktionsverlagerung | |
in Billiglohnländer sich nicht. Eines von vier in der Vergangenheit an | |
Billigstandorte abgewanderten Unternehmen ist zurückgekommen. | |
Haben Sie mit ihrer Initiative schon Gehör gefunden? | |
Es gibt in Bremen einige Unternehmen, die Ansätze zur Arbeitszeitverkürzung | |
umsetzen, wie Becks oder Arcelor Mittal. Dort gibt es einen | |
Teillohnausgleich. Viele Arbeitnehmer, auch aus den unteren Lohngruppen, | |
haben sich dort für eine kürzere Wochenarbeitszeit entschieden. Sie haben | |
gemerkt, wie schön es ist, etwas mehr Zeit zu haben. | |
19 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |