# taz.de -- Kampf gegen Privatschulen: Das Schulkartell schlägt zurück | |
> Die freien Schulen sollen den Staat weniger kosten: Brandenburg und | |
> andere Bundesländer haben dem Bildungspluralismus den Kampf angesagt. | |
Bild: Werden immer mehr in Privatschulen geschickt: Schüler in Brandenburg. | |
Wenn Monopolisten von Wettbewerbsverzerrungen sprechen, lohnt es immer, | |
genauer hinzuhören. Diesmal ist nicht die Rede von Microsoft oder der | |
Deutschen Bahn, sondern von der Bildungspolitik in Brandenburg. Die | |
Landesregierung tut etwas gegen Wettbewerbsverzerrung. Sogar die heilige | |
Kuh "Tarifvertrag" kommt dabei unter die Räder - wenn es nur dem Wettbewerb | |
dient. Die Kritiker von Rot-Rot werden eines Besseren belehrt. Die Linken | |
haben ihre realsozialistische Vergangenheit genauso abgestreift wie die | |
Sozialdemokraten ihre Staatsfixierung und setzen jetzt auf Wettbewerb im | |
Bildungswesen. | |
Seit 1989 mit der DDR auch deren Volksbildungsministerium von der | |
friedlichen Revolution hinweggespült wurde, blühte in Brandenburg langsam, | |
aber stetig neben dem staatlichen Schulwesen ein Schulwesen in freier | |
Trägerschaft auf. Engagierte Eltern gründeten Montessori-Schulen, andere | |
gewannen kirchliche Träger für die Gründung konfessioneller Schulen. Manche | |
Kommunen machten sich nach der Schließung der staatlichen Schule im Dorf | |
für die Gründung einer freien Schule stark und sicherten damit das Bleiben | |
junger Familien im Ort. In jüngster Zeit kamen auch solche Schulträger | |
hinzu, die mit einer Schulgründung Geld verdienen wollen. | |
Obwohl die Förderung der freien Schulen seit den 90er Jahren kontinuierlich | |
zurückgefahren wurde, tat dies dem Gründungsboom keinen Abbruch. Noch im | |
Februar diese Jahres wurde auf einer Fraktionsklausur der SPD daher | |
verkündet, der Aufbau der freien Schulen im Land sei nunmehr abgeschlossen, | |
man habe nämlich Westniveau erreicht. | |
Der Parlamentarische Dienst des Landtags belehrte daraufhin die SPD, dass | |
auch in Brandenburg das Grundgesetz gelten würde und dass die Gründung von | |
Schulen in freier Trägerschaft ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht ist, | |
das nicht von einer Landtagsfraktion ausgesetzt werden kann. Daraufhin | |
entschloss man sich im Bildungsministerium (MBJS), die Zuschüsse zu freien | |
Schulen jährlich um 2 Prozent zu senken. | |
Auch hier verwies der Parlamentarische Dienst auf eine Grenze. Die | |
Förderung darf nicht auf null reduziert werden, weil die Landesverfassung | |
die Bezuschussung ausdrücklich vorschreibt. Dies ist auch deshalb laut | |
Grundgesetz notwendig, damit an den freien Schulen keine Auslese nach dem | |
Geldbeutel passiert. In empirischen Untersuchungen zeigt sich: Es sind | |
nicht die besonders reichen Eltern, die ihre Kinder auf freie Schulen | |
schicken, sondern es sind die bildungsinteressierten, die sich das was | |
kosten lassen, was beim Staat umsonst ist. | |
## Zunehmender Anreiz für die Privatschulen | |
Obwohl die Bedingungen für freie Schulen also schlechter sind als für | |
staatliche, kehren immer mehr Eltern den staatlichen Schulen den Rücken und | |
wechseln zu freien Trägern. Umso erstaunlicher ist, dass die | |
Landesregierung nun Maßnahmen ergreifen will, um die | |
Wettbewerbsverzerrungen von freien und staatlichen Trägern zu beenden. | |
Derzeit werden noch 94 Prozent der Personalkosten gefördert, die Sachkosten | |
sind vom Träger respektive den Eltern über ein Schulgeld zu tragen. | |
Ungefähr 65 Prozent der Gesamtkosten einer Schule in freier Trägerschaft | |
muss der Staat tragen. Wenn er die Schule selbst tragen würde, würde ihn | |
das 35 Prozent mehr kosten. | |
Hier hat das Bildungsministerium angekündigt einzugreifen und die | |
Ungerechtigkeit zu beenden. "Wir müssen das Ungleichgewicht im Wettbewerb | |
zwischen freien und staatlichen Schulen wieder ins Lot bringen", sagt seine | |
Sprecherin. Wer nun allerdings erwartet, die Schulen in freier Trägerschaft | |
werden künftig die gleichen Personalkosten bekommen wie die staatlichen und | |
vielleicht sogar noch einen Sachkostenzuschuss, damit sie alle in den | |
Wettbewerb um die besseren Konzepte treten können, der sieht sich | |
getäuscht. | |
Die brandenburgische Landesregierung hat nämlich eine ganz eigene | |
Auffassung von Wettbewerb. Die Wettbewerbsverzerrung sieht sie darin, dass | |
immer mehr Eltern ihre Kinder nicht in ihre schönen staatlichen Schulen | |
schicken wollen. In der Ideologie der Landesregierung bedeutet dies, dass | |
"die Situation für freie Träger sehr gut ist". Dem müsse abgeholfen werden, | |
indem in den nächsten Jahren nicht nur 2 Prozent weniger Geld zur Verfügung | |
gestellt wird, sondern bis zu 20 Prozent. Mit einem solchen Schlag gegen | |
das freie Schulwesen hatte keiner gerechnet. Er sucht in der Bundesrepublik | |
seinesgleichen. | |
## Lehrermangel und Überzahl von Kindern | |
Eine andere Deutung der Flucht aus dem staatlichen Schulwesen Brandenburgs | |
liegt dem teilnehmenden Beobachter näher. An den staatlichen Schulen | |
herrscht Lehrermangel. Unterricht fällt in Größenordnungen aus und kann | |
nicht vertreten werden, weil die vorgesehene Vertretungsreserve von 3 | |
Prozent schon von dauerkranken Kollegen aufgebraucht ist. | |
In Schulleistungsvergleichen, ob in Englisch, in der politischen Bildung | |
oder bei Pisa, ist Brandenburg zuverlässig ganz hinten mit dabei. In | |
Flexklassen, die mit ihrem jahrgangsübergreifenden Konzept in den ersten | |
drei Jahren eine besondere pädagogische Herausforderung darstellen, pfercht | |
das staatliche Schulamt nicht nur ausnahmsweise 30 Kinder - obwohl das | |
Handbuch maximal 25 vorsieht. Dass Schulkonferenzen und Kommunen als Träger | |
deswegen kopfstehen, ficht das Schulamt nicht an. Es plant mit Lehrkräften, | |
die sich schon längst aus Brandenburg verabschiedet haben, und baut | |
potemkinsche Dörfer mit dauerkrankem Personal. | |
Dass hier selbst Eltern zu freien Trägern flüchten, die eigentlich ein | |
staatliches Bildungswesen für alle wollen, kann man ihnen nicht verdenken. | |
Statt aber an diesen unhaltbaren Zuständen in der öffentlichen Schule etwas | |
zu ändern, setzt man auf den Schneewittcheneffekt: Derjenige, der besser | |
ist als man selbst, muss weg. Und wenn das allmähliche Erdrosseln nicht | |
mehr hilft, dann greift man eben zur Keule. | |
## Schneewittcheneffekt | |
Besonders perfide ist dabei das Argument des Ministeriums, dass die freien | |
Träger zur Kompensation der wegfallenden Zuschüsse sich ja nicht an die | |
Tarifverträge halten müssten. Es dürfte ein einmaliger Vorgang sein, dass | |
ein sozialdemokratisch geführtes Ministerium zum flächendeckenden Bruch der | |
Tarifverträge auffordert. Wie das der Wettbewerbsverzerrung um die raren | |
Lehrkräfte im Land entgegenwirken soll, wenn der Monopolist nach Tarif | |
bezahlt, die Mittbewerber dies aber vom Monopolisten untersagt bekommen, | |
bleibt das ewige Geheimnis der rot-roten Landesregierung. Irgendwer hat | |
dort in der Schule anscheinend nicht richtig aufgepasst, als das Thema | |
"Wettbewerb" drankam. | |
Während man gewöhnlich unter einem fairen Wettbewerb versteht, dass es | |
annähernd gleiche Startchancen gibt und die besseren Entwürfe sich | |
durchsetzen, definiert die brandenburgische Landesregierung Wettbewerb so, | |
dass der Monopolist den Mitbewerbern die Mittel nimmt, denn allein ihre | |
bloße Existenz ist ja der Beweis, dass es ihnen noch zu gut geht. Mit | |
Bildungspluralismus hat das nichts mehr zu tun - hier geht es um nichts | |
weniger als um den Versuch der Rückverstaatlichung des Bildungswesens. Ein | |
Versuch, der Erfolg verspricht, denn der größte freie Schulträger im Land | |
hat alle bereits angelaufenen Gründungen abgesagt. In Potsdam suchen | |
deshalb 50 Oberschüler eine neue Schule. | |
20 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Henning Schluss | |
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