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# taz.de -- Debatte Mauerbau: Der Westen und seine Mauer
> In einem Monat werden wieder all die falschen Geschichten erzählt Dann
> ist das 50-jährige Jubiläum des Mauerbaus in Berlin. Zeit für eine
> Reflexion.
Bild: Der 50. Jahrestag des Mauerbaus - Gelegenheit, noch einmal neu auf die de…
Mauerbauer hatten schon mal einen besseren Ruf. Nebukadnezar zum Beispiel.
Der kam mit seiner Mauer in das Guinessbuch der Rekorde, das damals bloß
noch nicht so hieß. Auch ließ das Altertum lediglich sieben Rekorde zu. Die
sieben Weltwunder also: Das älteste waren die Pyramiden von Gizeh, und dann
kam schon die Mauer des Nebukadnezar.
"Was kein König vor mir getan hat, tat ich, 4.000 Ellen Land (etwa zwei
Kilometer) seitwärts der Stadt, fern, unnahbar, ließ ich eine gewaltige
Mauer, gen Osten zu, Babylon umschließen. Ich vollendete Babylon." Es gilt
demnach: keine Vollendung ohne Mauer! Je größer ein Herrscher, desto
mächtiger die Mauern, die er baut. Natürlich hatte schon Nebukadnezars
Vater Mauern gebaut, und nicht nur eine. Und mit jeder wuchs der Ruhm. Denn
das Allerheiligste, das Wohlzuumschließende lag innen. Auch den Chinesen
würde nie einfallen, sich für ihre große Mauer zu schämen.
Umso bemerkenswerter ist es, dass heute wohl nicht nur den Deutschen bei
dem Wort Mauer zuerst die Berliner Mauer einfällt, und das nicht als
Ruhmes-, sondern als Schandmal. Vielleicht lässt sich bei keiner
Architekturform ein größerer Bedeutungswandel konstatieren.
## Wozu Geschichtsbücher?
Ersetzt der Anblick der Berliner Mauer nicht ganze Geschichtsbücher? Man
meint sofort zu sehen, was der Sozialismus war: ein aggressives,
menschenverachtendes, totalitäres System. Kein Monat mehr, und wir werden
uns landauf, landab daran erinnern. Und ist es nicht schön zu wissen, dass
so viel Ungemach schließlich bis zu uns geführt hat, den Guten, Wahren,
Befreiten und Schönen? Es gibt nur ein Problem. Die Guten, Wahren und
Schönen sind nicht unbedingt die Hellsten. Und eine Tendenz zur
Unterreflexion der eigenen Geschichte zeichnet sich schließlich schon seit
21 Jahren ab. Kommt es 21 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung immer
noch aufs Rechthaben an?
Der 50. Jahrestag des Mauerbaus wäre eine gute Gelegenheit, noch einmal neu
auf die deutsch-deutsche Geschichte zu sehen, nur probehalber und weil man
mit zwei Augen viel besser sieht. Oder gar mit geschlossenen Augen? Dem
allzu Offensichtlichen einen Augenblick lang nicht trauen, es nicht schon
für die Wahrheit halten! Was wäre, wenn der Osten die Mauer gar nicht
allein gebaut hätte? Es geht hier um gemeinsame Urheberrechte.
Behaupten wir probeweise, der erste Mauerbauer war der britische
Premierminister Churchill. Gleich nach dem Krieg, am 5. März 1946, beschwor
er den Eisernen Vorhang, der von nun an Europa teile, undurchdringlich wie
eine Mauer, "von Stettin am Baltischen Meer bis Triest an der Adria". Mauer
oder Vorhang, wer will da streiten? Auf die Undurchdringlichkeit kommt es
an. Und auch die Mauer sollte schließlich keine Mauer werden, sondern ein
Zaun, ein Stacheldrahtzaun natürlich. Andererseits war es nicht Churchill,
sondern Joseph Goebbels, der dieses Bild fand, als er ein Jahr zuvor, im
Februar 1945 begründete, warum die Wehrmacht gegenüber der Roten Armee
niemals aufgeben könne: weil sich andernfalls "sofort ein eiserner Vorhang
heruntersenken würde, hinter dem dann die Massenabschlachtung der Völker
begänne".
## Krieg nach dem Krieg
Frühere Mauerbauer wie Nebukadnezar errichteten Mauern als Symbol ihrer
Stärke, noch der von Churchill so früh proklamierte Eiserne Vorhang war ein
Ruf nach Stärke, ja mehr noch: Er war der erste Ruf nach dem Krieg nach dem
Krieg. Die Nationalsozialisten hatten gehofft, gar nicht erst die Waffen
niederlegen zu müssen, weil es doch gleich weiterginge gegen den
eigentlichen Feind: den Feind im Osten. Die Westalliierten - schließlich
mit der Sowjetunion verbündet - wollten aber doch erst einmal einen Punkt
setzen.
Mehr als ein Punkt wurde es denn auch nicht. Oder wie konnte ein Land, das
den schlimmsten Krieg seit Menschengedenken angezettelt hat, ohne jede
Läuterung so schnell zum Verbündeten werden? Man könnte natürlich auch
sagen, der erste Kölner Nachkriegsoberbürgermeister war der Erste, der die
Mauer ausgerufen hatte, noch vor Churchill, nämlich im Oktober 1945. Der
von Russland besetzte Teil sei für Deutschland auf absehbare Zeit verloren,
hat er gesagt.
Churchill ließ den Eisernen Vorhang in Stettin beginnen. Konrad Adenauer
aber machte keinen Unterschied zwischen den Ländern der sowjetischen
Besatzungszone, Pommern, Ostpreußen und den anderen. Er nahm die offizielle
Haltung des späteren Weststaates vorweg: Den Anspruch auf die Ostgebiete
hielt man aufrecht, suspendierte ihn nur wegen Undurchsetzbarkeit. Die
Oder-Neiße-Grenze erkannte man nie an. Noch Helmut Kohl machte es ganz am
Ende nur beiläufig. Wegen Unpopularität.
## Der schwächelnde Osten
Der Westen betrieb die Teilung Deutschlands. Vor dem unheimlichen Gast im
Osten wollte man sich in Sicherheit bringen, auch wenn man die kleinere
Hälfte des Landes so ganz den Kommunisten auslieferte. Vom Zeitpunkt der
Währungsreform in den Westsektoren erfuhr die Sowjetunion durch einen
britischen Diplomaten und hatte gerade noch Zeit genug, das Währungsvakuum
zu verhindern. Dass man die DM auch in den Westsektoren Berlins einführen
könne, glaubten nicht einmal die Amerikaner, Engländer und Franzosen. Bis
ihnen Clay und Reuter erklärten, dass die Russen gar nichts machen können,
wenn sie keinen Krieg beginnen wollten.
Und so war es. Die Blockade war im Grunde eine Reaktion der Ratlosigkeit,
Westberlin leistete sich sogar die Gegenblockade: nun auch keine Versorgung
aus dem Osten mehr zu wollen. Die Luftbrücke war nicht notwendig, sie war
ein genialer Streich. Welche Suggestion! Wie souverän hier der Stärkere den
Schwachen spielte. Den Schwachen mit Mut zur großen heroischen
Freiheitstat. Kaltes Kriegsglück.
Und es blieb dem Stärkeren treu. 1961 brauchte der Westen nicht einmal mehr
mitzumachen. Stattdessen baute die DDR die Mauer, keine Nebukadnezar-Mauer,
sondern eine Mauer aus Schwäche. Gab es eine Alternative? Aber ja. Sie
hätte sich für beendet erklären können.
20 Jul 2011
## AUTOREN
Kerstin Decker
## TAGS
D-Mark
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