# taz.de -- Post-Black-Metal: Die tote Haut des Klischees abstreifen | |
> US-Bands wie Liturgy erneuern Black Metal musikalisch. Sie stehen auch | |
> für die Abkehr vom düsteren Kirchenanzünder-Image, das die | |
> skandinavischen Erfinder des Genres pflegten. | |
Bild: Gar nicht düster, und sie zerfallen im Sonnenlicht auch nicht zu Staub: … | |
Kurz nach dem letzten Song des Abends steht ein ganz in schwarz gekleideter | |
Mann vor dem Levee Club am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte und zündet sich | |
eine Zigarette an. Dann fasst er das Dargebotene aus seiner Sicht zusammen: | |
"Das war doch Kinderkacke. Null Show. Keine Gefahr. Die Amis könnens | |
nicht." | |
Gemeint sind Liturgy aus New York, die kurz zuvor aufgetreten sind. Sie | |
bilden die Speerspitze der neuen US-Black-Metal-Szene. Ihr Sound ist roh, | |
manchmal bestialisch laut. Eckpunkte sind monoton-sägende "dagga-dagga" | |
Gitarrenriffs, Schlagzeugstakkato - natürlich spielt der Drummer eine | |
Doublebassdrum - und das Gegrunze des Sängers, weit jenseits von | |
Schmirgelpapiergeräuschen angesiedelt. Selbst unter Metal-Hardlinern fallen | |
im Zusammenhang mit Liturgy schon mal Worte wie "Krach" oder "unhörbar". | |
Anziehungskraft bezog Black, das Esoterischste aller Metal-Subgenres jedoch | |
nie ausschließlich aus seiner Musikalität. Sein Reiz lag in all den bei | |
Satanisten beliebten umgedrehten Kreuzen und beschworenen Dämonen. Black | |
Metal spielte mit der Aura des Bösen. | |
## Durchgeknallte Nihilisten | |
Als das Genre Ende der Achtziger Jahre in Skandinavien entstand, waren die | |
Mitglieder der meisten Bands tatsächlich Satanisten oder Agnostiker. Sie | |
sehnten die vollständige Zerstörung des Christentums herbei, dessen | |
Missionare, aus ihrer Sicht, Skandinavien einst seiner alten nordischen | |
Kultur beraubt hatte. Für die moderne Gesellschaft mit ihrem hedonistischen | |
Lebensstil empfanden skandinavische Black-Metaller nur Verachtung. Diese | |
zutiefst misanthropische Einstellung führte tatsächlich zu Gewalt. Gräber | |
wurden geschändet, Kirchen wurden angezündet, sogar vor Mord schreckten | |
einzelne Musiker nicht zurück. Der rechtsradikale Sänger der norwegischen | |
Band Burzum Varg Vikernes tötete einen ehemaligen Bandkollegen mit 23 | |
Messerstichen und prahlte damit, jahrhundertealte Stabkirchen angezündet zu | |
haben. | |
So hatte Black Metal Ende der Neunziger den Ruf weg, ein Genre voller | |
durchgeknallter Nihilisten zu sein, die den "unheiligen Krieg" predigten. | |
Um keine andere Musikrichtung ranken sich ähnlich viele Gruselgeschichten. | |
So nutzte die Band Mayhem den Selbstmord ihres Sängers als Idee zur | |
Coverillustration eines Bootlegs. Manche Black-Metaller verstümmelten sich | |
angeblich auf der Bühne mit Fleischermessern. Und kaum eine Band, die nicht | |
in "Corpsepaint" auftrat, der schwarz-weißen Leichenschminke, die die | |
Musiker wie Zombies aussehen lässt. | |
Da verwundert es nicht, dass manche Zuschauer enttäuscht zurückblieben, als | |
Liturgy im Frühjahr ihre erste Europatour absolvierten. Denn die Amis | |
stellten keine blutigen Schweinsköpfe auf die Bühne. Die vier Musiker, alle | |
Mitte 20, treten immer in normalen Straßenklamotten auf. Ungeschminkt. Man | |
hätte sie auch für eine Indie-Band halten können. Ihr Interesse gilt einzig | |
der Musik, nicht der Show. | |
"Die tote Haut der Klischees muss entfernt werden, um die lebende Seele des | |
Black Metal neu zu erforschen", sagt Liturgy-Sänger Hunter Hunt-Hendrix, | |
der Philosophie an der New Yorker Columbia University studiert. | |
Hunt-Hendrix hat Liturgy 2005 gegründet. Seiner Band geht es zurzeit | |
prächtig. Die Musikpresse überschlägt sich förmlich mit Elogen. Ihr Label | |
Thrilljockey nennt die Musik der New Yorker bereits Post Black Metal. In | |
der Tat haben Liturgy das Genre ein Stück verändert und damit | |
massentauglich gemacht. Hunt-Hendrix hat dazu ein zwölfseitiges Essay mit | |
dem Titel "Transcendental Black Metal" geschrieben. Es beschreibt die | |
Neuerfindung einer verfemten Musikrichtung in vier Abschnitten. | |
## Das Leben bejahen | |
"Lange Zeit stand der amerikanische Black Metal im Schatten des | |
skandinavischen", schreibt Hunt-Hendrix. Doch damit sei es nun vorbei. Die | |
Zukunft der Musikrichtung lege nicht weiter in rechtsradikalem Hass und | |
Misanthropie. Stattdessen beschreibt er eine Vision frei von nihilistischer | |
Ideologie, da diese nur Stillstand bedeuten könne. Seine Form von Black | |
Metal bejaht das Leben und versteckt sich nicht hinter "Kostümen oder | |
Esoterik". Und noch entscheidender: Für Hunter Hunt-Hendrix sind das keine | |
leeren Worthülsen, er versucht seine Gedanken auch musikalisch zu | |
verankern. | |
Einer der Kernbestandteile des Black Metal war bislang sein "Blastbeat". | |
Ultraschnelle, immergleiche Attacken auf der Double-Basstrommel, die wie | |
ein pyroklastischer Strom durch die Landschaft donnerten. Liturgy haben den | |
"Blastbeat" nun zum "Burstbeat" weiterentwickelt. Auf ihrem neuen Album | |
"Aesthetica" spielt Drummer Greg Fox zwar größtenteils auch mit | |
unglaublichem Tempo, aber seine Beats atmen. Sie ebben auf und ab, | |
repräsentieren dabei den Kreislaufs des Lebens. Die Band lebt von dieser | |
Dynamik. Fox variiert sein Spiel alle paar Sekunden, rhythmisch meist | |
hochkomplex. Liturgy legen darüber Gitarrenriffs, deren Hymnenhaftigkeit | |
man anmerkt, dass Hunter Hunt-Hendrix sich für experimentelle | |
Streicherwerke des 20. Jahrhunderts interessiert, wie die des Italieners | |
Giacinto Scelsi. Zwischen den Songs stehen experimentelle Gesänge, die | |
zwischen eigentümlich und großartig changieren. "Aesthetica" ist definitiv | |
eine der sonderbarsten Alben des Jahres. | |
## Am Lagerfeuer | |
Doch all das ändert nichts daran, dass Liturgy allein auf weiter Flur sind. | |
In New York spielen zwar noch die ebenfalls hochgelobten Krallice (Ryan | |
Adams setzte sie auf Platz 2 seiner Lieblingsalben 2008), aber anschließend | |
bedarf es schon einer Reise von fast 7.000 Kilometern, um die nächste | |
bedeutende US-Black-Metal-Band zu verorten, bis an die Westküste nach | |
Olympia im Bundesstaat Washington. Dort leben die vier Mitglieder von | |
Wolves In The Throne Room, ganz im Sinne von Henry David Thoreau, auf einer | |
abgelegenen Selbstversorgerfarm. Ihre Songs schreiben sie in den | |
angrenzenden Wäldern am Lagerfeuer. | |
Liturgy werden oft mit ihnen verglichen, weil auch Wolves In The Throne | |
Room vollständig auf Satanismus und Christenhass verzichten. Stattdessen | |
verbinden sie Black Metal und Ökologie. "Ich bin immer wieder überrascht, | |
dass nicht mehr Bands diese Verbindung sehen, gerade weil Black Metal so | |
naturbezogen ist", sagt Aaron Weaver, der Schlagzeuger der Band. Ihre | |
Lebensweise bedeutet die völlige Umkehrung der europäischen | |
Black-Metal-Attitüde. Nachhaltigkeit statt Zerstörung. Leben statt Sterben. | |
Doch ganz von der Faszination der inszenierten Todessehnsucht kann sich | |
auch der amerikanische Black Metal nicht lösen. Fragt man Hunter | |
Hunt-Hendrix, was er von der schwarz-weißen Leichenschminke hält, gesteht | |
er: "Ich liebe Corpsepaint." Tragen würde er es trotzdem nicht. "Viel zu | |
theatralisch!" | |
22 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Robert Iwanetz | |
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